GbP 1-2015 Wulf Dietrich

Staatsmedizin?

Im Bayerischen Ärzteblatt vom Dezember letzten Jahres hat Dr. Max Kaplan einen Leitartikel zum Thema »Staatsmedizin« (siehe BÄB Heft 12/2014, S. 675) geschrieben, der Wulf Dietrich zum nebenstehenden Kommentar provozierte. Wir dokumentieren seinen Leserbrief und die Antwort von Max Kaplan, die beide im BÄB 3/2015, S. 116f. veröffentlicht wurden.

Leserbrief von Wulf Dietrich zu einem Leitartikel von Max Kaplan im Bayerischen Ärzteblatt

In seinem Jahresrückblick stellt Dr. Kaplan die ärztliche Selbstverwaltung in Kontrast zur Staatsmedizin. Er befürchtet, dass, wenn der Gesetzgeber das Stärkungsgesetz wie geplant verabschiedet, »ein Meilenstein hin zur Staatsmedizin gelegt« wird. Große Worte, doch was steckt dahinter? Was, bitte schön, soll denn Staatsmedizin sein? Wo beginnt der »Staat«?

Öffentliche Daseinsvorsorge ist Aufgabe des Staates. Da auch die Organisation des Gesundheitswesens dazu zählt, hat der Staat auch hier die Rahmenbedingungen abzustecken. Selbst die Kammern sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts mittelbare Staatsorgane. Der »Staat« ist der Ärzteschaft auch immer dann willkommen, wenn es um Finanzierungen geht, dieser also Geld gibt: sei es die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser, seien es die Zuschüsse zur ambulanten Weiterbildung der Allgemeinärzte oder Investitionszuschüsse für die Niederlassung in unterversorgten Regionen.
»Staatsmedizin« ist ein ideologischer Kampfbegriff, der zu Zeiten von Ulla Schmidt die geplanten Gesundheitsreformen unter Anspielung auf die DDR diffamieren sollte. Auch der Bundesärztekammerpräsident benutze auf dem 116. Deutschen Ärztetag in Hannover diesen Begriff, als er gegen die »Einheitsversicherung« – gemeint war die Bürgerversicherung – vom Leder zog. »Staatsmedizin« soll Ängste schüren und dabei die Realität verzerren.

Wer, wenn nicht die Politik, soll denn die Eckpfeiler unseres Gesundheitswesens definieren? Sollen es Helios und Asklepios oder Bayer und Roche tun? Hat nicht erst die Pharmafirma Gilead bewiesen, wie es läuft, wenn die ungebremsten Profitinteressen der Pharmaunternehmen die Kosten medizinischer Behandlungen diktieren? Und da soll kein gemeinsamer Bundesausschuss bremsend und regulierend eingreifen? Indem er eine diffuse Staatsangst schürt, verschleiert Dr. Kaplan die Probleme. Er greift den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als »eine Art Gesundheitsbehörde« an. Wie das? Sitzen sich im G-BA nicht Krankenkassen als Finanzier des Gesundheitswesens einerseits und Ärzteschaft und Krankenhäuser als Anbieter von Gesundheitsleistungen andererseits paritätisch gegenüber? Haben die Kassen denn nicht das Recht, über die Verwendung der 180 Milliarden Euro Beiträge ihrer Mitglieder mitzuentscheiden? Wo ist die »Staatsmedizin« bei dieser Art der Selbstverwaltung? Auch Termin-Servicestellen, immerhin bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und nicht im Ministerium angesiedelt, mögen ein bürokratischer Unsinn sein, haben aber mit »Staatsmedizin« nichts zu tun.
Und dass nur wir, also die Ärzteschaft, »die Qualität der ärztlichen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten zu bestimmen« haben, kann doch nicht ernst gemeint sein. Die Zeiten, in denen die Kassen der Ärzteschaft ihre Gelder ungeprüft zur Verfügung stellten, die sind schon lange vorüber. Auch daran ist die Ärzteschaft nicht ganz schuldlos. Der G-BA – übrigens keine staatliche Organisation, sondern Teil der Selbstverwaltung – ist heute eine gesundheitspolitische Institution, die auch von der Ärzteschaft akzeptiert werden sollte. Denn das ist vernünftig.

Auch der mit 300 Millionen Euro ausgestattete Innovationsfonds, der übrigens von Krankenkassen und Gesundheitsfonds – also aus Beiträgen der Versicherten – finanziert werden soll, ist der Ärzteschaft willkommen. Nur sollen, wenn es nach unserem Präsidenten geht, die Kammern daran beteiligt werden. Also sollen die Kammern zukünftig »innovative sektorübergreifende Versorgungsformen« betreiben. Die Kammern als Betreiber von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder Integrierter Versorgung (IV) in Konkurrenz zu den KVen? Auch hier ist kein »ordnungspolitischer Meilenstein hin zur Staatsmedizin« zu sehen.

Bei der Krankenhausbedarfsplanung zu viel »Staat« zu beklagen, ginge am Problem der Misere der Krankenhäuser vorbei, wo derzeit über 50 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser defizitär sind und ein eklatanter Investitionsstau besteht. In allen Bundesländern kommt der »Staat« seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nach. Hier ist also noch mehr »Staat« zu fordern.

Unser Gesundheitswesen wird nicht durch ein zuviel an »Staatsmedizin« bedroht oder beschädigt. Unser Gesundheitssystem wird vielmehr eklatant fehlgesteuert durch die einseitige ökonomische Orientierung an den Prinzipien von Markt und Wettbewerb. Dies geschieht vor allem zu Lasten der Patienten. Aber auch die Krankenhausärzte und die niedergelassenen Vertragsärzte können ein Lied davon singen. Es wäre die Aufgabe des Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), seinen Finger in diese Wunde zu legen. Etwas mehr Sachlichkeit und etwas weniger Polemik in der gesundheitspolitischen Diskussion täten der Ärzteschaft gut. Denn nur dann wird sie als ernsthafter Diskussionspartner von der Politik wahrgenommen werden.


Professor Dr. Dr. habil. Wulf Dietrich, Facharzt für Anästhesiologie, 80639 München

 Antwort von Max Kaplan

Die Kritik an meiner Verwendung des Begriffs »Staatsmedizin« kann ich nicht so stehen lassen, ist doch die Wortwahl meines Leitartikels allenfalls polarisierend, keinesfalls polemisch, was in einem Meinungsbeitrag jedoch auch erlaubt sein muss. Die Politik agiert zunehmend auf Kosten der ärztlichen Selbstverwaltung – darum geht es!

»Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus« heißt es bekanntlich im Artikel 20 des Grundgesetzes. Und dann? Der Souverän wird durch besondere Organe im Sinne der Gewaltenteilung vertreten. Im Gesundheitswesen haben wir uns auf ein korporatistisches Modell verständigt: staatliche Daseinsvorsorge und körperschaftliche Selbstverwaltung. Seit Jahren erleben wir allerdings, dass der Staat sich in origi­näre Aufgaben der (ärztlichen) Selbstverwaltung einmischt, ja diese teilweise übernimmt und nachgeordnete Institutionen, wie den G-BA, instrumentalisiert. Sieht man sich die Zusammensetzung des obersten Beschlussgremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen an, so bemerkt man schnell, dass wir Ärztinnen und Ärzte hier nur eine marginale Rolle einnehmen.

Der ehemalige Präsident der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe, verwendete den Begriff »Staatsmedizin« im Jahr 2006 im Vorfeld des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG). Hoppe kritisierte seinerzeit die vermehrte Einflussnahme des Bundesgesundheitsministeriums und die Kompetenzmehrung des G-BA. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen. Im Gesetzentwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) haben wir es mit der Etablierung von Termin-Servicestellen, dem Aufkauf von Arztsitzen in sogenannten überversorgten Regionen und der Öffnung der Kliniken für die ambulante Patientenversorgung zu tun. Klarstellen muss ich auch, dass ich beim Thema Innovationsfonds nicht an die Schaffung von »Kammer-MVZs« oder ähnlichen Konstrukte(n) gedacht habe. Vielmehr geht es mir um die Antragstellung bezüglich »innovativer sektorübergreifender Projekte«.

Einig bin ich mit dem Kollegen Dietrich, dass unser Gesundheitssystem »fehlgesteuert durch die einseitige ökonomische Orientierung an den Prinzipien von Markt und Wettbewerb« ist. Dies haben wir in den vergangenen Jahren wiederholt, ja fast gebetsmühlenartig, in zahlreichen Veranstaltungen, Veröffentlichungen, Pressemeldungen und nicht zuletzt anlässlich der Auftaktveranstaltung des 73. Bayerischen Ärztetages in Weiden 2014 mit dem Titel »Pay for Performance – die Lösung für die Medizin von morgen?« dargestellt und angeprangert.

Daseinsvorsorge des Staates und originäre Aufgaben der ärztlichen Selbstverwaltung – eine dialektische Beziehung also? Freiheit und Kontrolle – wie passen diese beiden Gegenpole zueinander? Vertrackterweise ist nie eines ohne das andere zu haben. Jede Seite hat ihren Auftrag, ihre Legitimation und ihre jeweiligen Grenzen, die man auch in Zukunft einhalten und respektieren sollte.

Ich danke Kollegen Dietrich ausdrücklich für seinen Diskussionsbeitrag, trägt doch jeder Beitrag zu einer weiteren Reflexion des Themas bei.

Dr. Max Kaplan,
Präsident der BLÄK

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Prävention, 1/2015)


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