GbP 1-2015 Editorial

29 Jahre nach der Deklaration der Ottawa-Charta

In der Ottawa-Charta der WHO wurde 1986 ein partizipativer und salutogenetischer Ansatz der Gesundheitsförderung formuliert: »Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können.« Damit greift die Charta das Wissen um psychologische und soziale Determinanten von Krankheit und Gesundheit emanzipativ auf.

Nur kleinschrittig kommt hier zu Lande dieser Ansatz der Gesundheitsförderung voran. Viele Jahre dauert beispielsweise nun schon die Diskussion um das Präventionsgesetz an. Die Bundesregierung hat jetzt einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt, der z. Zt. parlamentarisch beraten wird. Der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bereitet dabei die angeblich unzureichende Einbindung von Ärzten in die Präventionsstrategie Unbehagen. In einer gemeinsamen Stellungnahme anlässlich dessen erster Lesung fordern sie ein »umfassendes ärztliches Präventionsmanagement«. Selbstredend müsse die vertragsärztliche Versorgung stärker in die Präventionsbemühungen eingebunden werden. Jan Lukas setzt in seiner Kritik des Gesetzentwurfes gänzlich andere Schwerpunkte.

Prävention wird bei uns häufig noch ausschließlich als (individuelle) Verhaltensprävention gedacht. Martin Becker setzt sich in seinem Beitrag kritisch mit Mythen der Vorbeugung auseinander. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir Ärztinnen und Ärzte Medizin machen, und wie wir uns dazu verhalten sollten, stehen im Mittelpunkt des Buches »Klassenmedizin« von Bernd Kalvelage. Nadja Rakowitz stellt es vor.

Prävention spielt auch eine wichtige Rolle in dem Modellprojekt zur integrierten Versorgung »Gesundes Kinzigtal«. Eine zentrale These der Akteure lautet dabei: Trotz Kostenreduktion ist eine bessere Medizin möglich. Ingelore Fohr berichtet über eine vom Arbeitskreis Niedergelassene im vdää angeregte Fahrt in das Kinzigtal und von den dort geführten vielschichtigen Diskussionen. Als Dokumentation eines Präventionsversagens kann die Presseerklärung des vdää zum Acineto baumanii – Ausbruch an der Uniklinik Kiel gewertet werden, die wir in dieser Ausgabe dokumentieren.
Mit einem gänzlich anderen Bereich der Gesundheitspolitik beschäftigt sich Ulrike Faber. Sie geht in ihrem Beitrag der Frage nach, was die seit 2011 geltende frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln bisher gebracht hat. Der frühen Nutzenbewertung kommt aktuell insbesondere auch bei der Diskussion um die extrem hochpreisigen Hepatitis C – Medikamente eine besondere Bedeutung zu.

Eine zentrale Rolle in den politischen Diskussionen der letzten Jahre spielt für den vdää die Auseinandersetzung mit den DRG`s als Finanzierungsinstrument der stationären Versorgung. Wir möchten daher ganz besonders auf die Tagung »Krankenhaus oder Fabrik – Was tun gegen die Kommerzialisierung der Krankenhäuser?« am 29/30. Mai 2015, an deren Vorbereitung der vdää intensiv beteiligt ist, verweisen. Selbstredend sind alle Leserinnen und Leser herzlich eingeladen, an der Tagung, die Auftakt zu weiteren Aktivitäten sein soll, teilzunehmen.

Immer wieder erreichen den vdää Anfragen mit der Bitte um medizinische Unterstützung/Versorgung hungerstreikender Flüchtlinge. Dies stellt die beteiligten Ärztinnen und Ärzte vor zahlreiche ethische und medizinische Probleme. Dankenswerterweise hat eine Autorengruppe von vdää-ÄrztInnen dazu eine praxisorientierte Handreichung erstellt. Insbesondere die medizinethischen Erwägungen sind auch für nicht unmittelbar Betroffene von Interesse. Wir dokumentieren einen Teil der Einführung. Das gesamte Dokument steht auf unserer Website als Download zur Verfügung. Eine Printversion ist geplant.
Viel gelobt wurde unsere Sonderausgabe zu den Folgen der Austeritätspolitik im griechischen Gesundheitswesen. Wir dokumentieren in dieser Ausgabe von GbP erste Schritte der neuen griechischen Regierung. Das Thema Austerität und Gesundheit soll uns auch in den nächsten Ausgaben dieser Zeitschrift regemäßig begleiten. Dabei werden wir unseren Fokus verstärkt auch auf andere Länder richten. Nach den ursprünglichen Planungen der Redaktion sollte die erste Ausgabe des Jahres 2015 sich mit dem Thema »Soziale Determinanten des Gesundheitswesens« auseinandersetzen. Heft zwei sollte sich den »Grundlagen des Gesundheitswesens« widmen. Im Kontext mit unserer Jahreshauptversammlung wollten wir uns dann dem Thema »Flucht und Migration« zuwenden. Schließlich sollte die letzte Ausgabe des Jahres das Thema »Medizin und Nationalsozialismus« behandeln, da wir den Eindruck hatten, diese Thematik in letzter Zeit vernachlässigt zu haben. Soweit dieser Plan der Redaktion für das Jahr 2015.

Das erste Heft wurde von einer Gruppe aus Hamburg erstellt, die sich schon seit längerem mit dem Thema soziale Determinanten in der Medizin beschäftigt. Da wir zudem annehmen, dass dieses Thema über die Tagesaktualität hinaus von Bedeutung sein wird, hat die Redaktion nach längeren Diskussionen beschlossen, dieses Heft als Sonderausgabe im Frühsommer herauszugeben.
So kommt es, dass Sie nun – leider etwas verspätet – eine Ausgabe mit dem Schwerpunkt Prävention in den Händen halten.
Wir möchten zum Schluss noch auf eine weitere Änderung bei der Gestaltung von GbP hinweisen. Jahrelang zeichnete Wulf Dietrich dankenswerterweise für das Editorial verantwortlich. Zukünftig wollen wir dies in der Redaktion rotieren lassen.

Herzlichst Ihr
Bernhard Winter

(aus Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Prävention, 1/2015)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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