GbP 1-2017 Aufruf - Sven Johnstone

Ein Aufruf zur Mitarbeit

Die Arbeit der MediBüros und MediNetze

Sowohl im praktischen als auch im politischen Bereich gibt es viel zu tun und ich kann wahrscheinlich für alle MediBüros und MediNetze, auf jeden Fall aber für das MediBüro Hamburg sprechen, dass wir uns immer über Menschen freuen, die bei uns mitmachen wollen. Medizinische Kenntnisse sind nicht notwendig, können aber hilfreich sein. Meldet Euch bei Interesse am besten beim MediBüro oder MediNetz in Eurer Stadt.
Wir in Hamburg können Unterstützung gut gebrauchen.

http://medibuero-hamburg.org

040 / 350 177 222
www.medibueros.org (deutschlandweite Übersicht)

Trotz Versicherungspflicht gibt es in Deutschland viele Menschen, die keine Krankenversicherung und damit keinen Zugang zu Krankenversorgung haben. Es gibt unterschiedliche Gründe dafür: Viele sind sogenannte »Illegalisierte«, auch »Sans Papiers« (Französisch für »ohne Papiere«), deren Studierenden- oder Touristenvisa abgelaufen sind, deren Asylanträge abgelehnt wurden, oder die sich bei ihrer Einreise gar nicht erst bei den deutschen Behörden gemeldet haben. Viele von ihnen leben schon lange in Deutschland, arbeiten und wohnen hier und haben Familien. Häufig ist ihre Situation sehr prekär, da sie kaum Möglichkeiten haben, ihre Rechte einzufordern, und sie ständig von Abschiebung bedroht sind. Eine zweite große Gruppe von Menschen ohne Zugang zur Krankenversorgung sind Menschen aus EU-Ländern, die in ihren Herkunftsländern nicht versichert sind und in Deutschland keine sozialversicherungspflichtige Arbeit haben. Nach EU-Recht müssten ihre Herkunftsländer sie versichern. Darauf beruft sich der deutsche Staat, auch wenn sie (wie Roma im Südosten Europas) in ihren Herkunftsländern diskriminiert werden und deshalb nicht versichert sind. Eine weitere Gruppe, die in unserer alltäglichen Praxis allerdings kaum eine Rolle spielt, sind Menschen mit deutschem Pass, die aus der privaten Krankenversicherung gefallen sind, weil sie deren Basistarif nicht mehr bezahlen konnten. Allen gemeinsam ist, dass ihre Existenz auch dem deutschen Staat bekannt ist, der sich aber schon lange dagegen wehrt, seiner Pflicht, sie zu versorgen (u.a. nach UN-Sozialpakt Artikel 12)(1) nachzukommen. Es ist schwierig, genaue Zahlen für die einzelnen Gruppen zu nennen, da es sich eher um Menschen handelt, die nirgendwo verzeichnet sind. Schätzungen für Menschen ohne Papiere alleine in Hamburg liegen zwischen 8.000 und 32.000.(2)

Die ersten MediBüros gründeten sich Anfang der 90er Jahre. Die Menschen, die damals nach Deutschland kamen, um Asyl zu ersuchen, wurden nicht nur aus der Bevölkerung rassistisch angegriffen – die Geflüchteten sahen sich auch dem staatlichen institutionellen Rassismus gegenüber. Menschen wurden damals wie heute abgeschoben, auch wenn das für sie Verfolgung und Gefahren für Leib und Seele bedeutet. Sie werden in Lagern festgehalten, sodass sie weder Kontakt zu anderen Menschen aufbauen noch am Leben teilhaben können. Außerdem wird ihnen der Zugang zu öffentlichen Gütern, wie Bildung und Gesundheit, erschwert oder ganz verwehrt. Als Reaktion darauf verstehen sich MediBüros und MediNetze als solidarische antirassistische Initiativen. Wir fordern gute Krankenversorgung für Alle. Diese politische Positionierung, und die daraus folgende Arbeit, unterscheiden uns von anderen Einrichtungen, die medizinische Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherung leisten.

Praxis der MediBüros und MediNetze

MediBüros und MediNetze gibt es in vielen Städten in Deutschland (www.medibueros.org). Wir sind heterogene Gruppen, in vielen Städten beteiligen sich auch Menschen ohne medizinische Ausbildung. Allen gemeinsam ist, dass wir Menschen in Arzt-Praxen vermitteln, die günstig oder kostenlos die Behandlungen übernehmen. Aus Spenden können wir bei Behandlungskosten unterstützen und bei schwierigen Fällen versuchen wir, individuelle Lösungen zu finden. Uns ist wichtig, dass unser Angebot niedrigschwellig ist, weshalb wir u. a. kaum Daten über PatientInnen aufnehmen. Die Behandlung sollte möglichst der Regelversorgung entsprechen, weshalb wir in aller Regel darauf verzichten, Untersuchungen und Behandlungen selbst vorzunehmen. Allerdings kann unser Angebot die Qualität der Regelversorgung erreichen

Unter anderem deshalb und weil es nicht sein kann, dass Grundbedürfnisse, wie Krankenversorgung, von freiwilliger unbezahlter Arbeit abhängen, sind die meisten MediBüros und MediNetze auch politisch aktiv.

Allem voran steht die Durchsetzung einer von der Gesellschaft getragenen Krankenversorgung für Alle. Beispielsweise durch die Vergabe von anonymen Krankenscheinen (AKS) (Infos unter www.medibuero-hamburg.org/de/konzept-aks) an mittellose Menschen ohne Krankenversicherung. Außerdem gibt es eine Kampagne gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, das eine geringere Krankenversorgung als die Regelversorgung vorsieht – beispielsweise keine Behandlung von chronischen Krankheiten (Infos unter www.stopasylblg.de). Aus Berlin kam Ende 2016 die Initiative zu einer Kampagne, die auf die Abhängigkeit der Grundbedürfnisse (Gesundheit, Bildung, Wohnen etc.) Asylsuchender und anderer von freiwilliger unbezahlter Arbeit aufmerksam macht und die Notwendigkeit staatlicher Lösungen betont (Infos unter www.gefa.online).

Sven Johnstone – MediBüro Hamburg

Anmerkungen

1 www.sozialpakt.info/gesundheit-3269/
2 www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2014-08/illegale-fluechtlinge-hamburg

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Vom ÖGD zu New Public Health, 1/2017)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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