Es geht auch ohne
Ärztliche Selbstorganisation in Großbritannien
Großbritannien kommt ohne Pflichtmitgliedschaft in ärztlichen Organisationen aus. In England werden die Angelegenheiten der Ärzteschaft im Wesentlichen durch die British Medical Association (BMA) wahrgenommen. Die BMA ist eine der ältesten Medizinerorganisationen der Welt. Sie wurde bereits 1832 gegründet, zunächst als wissenschaftlicher Zusammenschluss von Ärzten. Im Laufe der Zeit übernahm sie auch organisatorische Funktionen im Gesundheitswesen. Sie war beteiligt an der Ausformulierung der medizinischen Ausbildungsstandards und nahm dann auch Einfluss auf die Gesetzgebung in Großbritannien. Sie bekam im ersten Weltkrieg den Auftrag, die zivile und auch militärische medizinische Versorgung im Land zu organisieren.
Die Mitgliedschaft in der BMA ist freiwillig. Es sind heute ca. 170 000 Ärztinnen und Ärzte sowie MedizinstudentInnen in ihr organisiert, bei einer Gesamtzahl von ca. 180 000 praktizierenden Ärztinnen und Ärzten. Seit 1971 ist die BMA offiziell als Gewerkschaft anerkannt. Sie vertritt alle im National Health Service (NHS), dem staatlichen Gesundheitsdienst, angestellten Ärztinnen und Ärzte und handelt mit Gesundheitsministerium deren Gehälter aus. Zurzeit läuft in Großbritannien ein von der BMA initiierter Streik der Jungärzte, bei dem es um die Einstiegsgehälter und die Entlohnung junger MedizinerInnen geht. Die nächsten Streikaktionen in den Kliniken sind für Anfang April geplant.
Außerdem gibt die BMA das British Medical Journal heraus, eine der am meisten angesehenen wissenschaftlichen Medizinerzeitschriften der Welt. Diese Zeitschrift ist insbesondere führend in Fragen der medizinischen Ethik.
Die BMA begreift sich als demokratische Organisation, in der die Mitglieder die Politik bestimmen. Jährlich tagt die Generalversammlung (Annual Representative Meeting), bei der ca. 600 Delegierte über die Politik und Arbeit der BMA entscheiden. Wie demokratisch diese Wahlen ablaufen, lässt sich von außen nicht beurteilen.
Es ist also in Großbritannien auch ohne eine körperschaftlich organisierte Ärzteschaft möglich, die Interessen der Ärzteschaft gegenüber den staatlichen Stellen zu vertreten. Bei freiwilliger Mitgliedschaft sind dennoch praktisch alle Ärztinnen und Ärzte des NHS in der BMA organisiert. Eine Kassenärztliche Vereinigung braucht es natürlich nicht, da die MedizinerInnen im staatlichen Gesundheitswesen nicht nach ihren erbrachten medizinischen Leistungen sondern mit festen Gehältern bezahlt werden (nähere Informationen zum NHS siehe Gesundheit braucht Politik 2/2014).
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ärztliche Standesorganisationen, 1/2016)