Jeder, der kann, darf
Zur Gebührenordnung für Ärzt*innen
Die Ärzte und das Geld – ein altes und immer noch leidiges Thema. Die Gebühren-Ordnung für Ärzte (GOÄ) regelt die Vergütung von Ärztinnen und Ärzte gegenüber PatientInnen, die nicht gesetzlich versichert sind. Im Wesentlichen findet sie Anwendung bei der Abrechnung ärztlicher Leistungen bei privat versicherten und beihilfeberechtigten PatientInnen. Sie soll den Wildwuchs ärztlicher Abrechnungen einschränken und die Rechnungsstellung transparenter machen. Ärzte dürfen ihre Leistungen nicht frei kalkulieren, sondern unterliegen dieser Gebührenordnung.
Ähnliche Regelungen gelten für Rechtsanwälte oder Architekten. Im Prinzip eine vernünftige Regelung. Die vertragsärztlichen Leistungen werden dagegen über den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet. Die GOÄ wird als Rechtsverordnung vom Ministerium für Gesundheit erlassen. Es hat sich eingebürgert, den Entwurf einer ärztlichen Gebührenordnung in die Verantwortung der Selbstverwaltung der Ärzteschaft zu legen. Obwohl diese selbst keine Körperschaft des öffentlichen Rechtes sondern nur als rechtsfähiger Verein organisiert ist, obliegt der Bundesärztekammer, in der immerhin ca. 50 Prozent angestellte Ärztinnen und Ärzte, die im Prinzip nicht von der GOÄ profitieren, zwangsorganisiert sind, die Verhandlung über die GOÄ und damit die Verbindung zu den privaten Versicherungsträgern. Dies ist eine wesentliche Aufgabe der Kammern.
Obgleich immer wieder angemahnt, wurde die GOÄ seit über 20 Jahren im Wesentlichen nicht mehr geändert. Natürlich konnte die Ärzteschaft neue technische Leistungen über so genannte Analogziffern abrechnen. Auch können Leistungen innerhalb eines Gebührenrahmens vom einfachen bis zum dreieinhalbfachen Satz je nach Zeitaufwand und Schwierigkeit abgerechnet werden. Mit Zustimmung der Patienten können auch höhere Steigerungssätze vereinbart werden.
Seit Jahren nun versuchte die Bundesärztekammer, einen komplett neuen Entwurf der GOÄ auszuarbeiten. Vom Ministerium bekam sie die Auflage, einen gemeinsamen Entwurf mit der privaten Versicherungswirtschaft und den für die Beihilfe zuständigen Stellen vorzulegen. Erst wenn dieser gemeinsame Entwurf vorläge, wollte das Ministerium über die Rechtsverordnung entscheiden. Ein entsprechender Entwurf wurde Ende 2015 nach langen und zähen Verhandlungen vorgelegt. Die Verabschiedung dieser Verordnung ist, da sie in die Rechte der Bundesländer eingreift, bundesratspflichtig. Deshalb ist auch fraglich, ob der jetzige Entwurf verabschiedet werden wird, da die SPD schon Ablehnung im Bundesrat signalisiert hat.
Der vdää tritt seit seiner Gründung für ein einheitliches Krankenversicherungssystem für alle Bürger ein. Daher ist aus Sicht des vdää neben dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für die Abrechnung von Leistungen bei gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten, auch kein paralleles Abrechnungssystem notwendig. Im Gegenteil, ein solches paralleles System ist die Grundlage für eine Zwei-Klassen-Abrechnung – insbesondere dann, wenn die Vergütung gleicher Leistungen zu völlig unterschiedlichen Preisen erfolgt. Bekanntermaßen ist die Abrechnung von Leistungen bei privatversicherten Patienten für die ÄrztInnen weitaus lukrativer als bei gesetzlich Versicherten. So ist die Gleichbehandlung gleicher Fälle – unabhängig vom Versichertenstatus – nicht gewährleistet. Die Gleichbehandlung muss sich auf Gleichheit des Zugangs zur Versorgung und deren Qualität beziehen. All das ist mit dem Zwei-Klassen-System von GKV und PKV nicht erreichbar.
Im Januar 2016 wurde nun auf Verlangen von drei Landesärztekammern ein außerordentlicher Deutscher Ärztetag einberufen. Einziger Tagesordnungspunkt war die Novellierung der GOÄ bzw. die Kritik am vorliegenden Entwurf. Die Kritiker des Entwurfes warteten mit einer absurden Argumentation auf: Die Freiheit der ärztlichen Tätigkeit würde durch die Beteiligung von privaten Krankenversicherungsträgern und der Beihilfe eingeschränkt. Die Privat-Abrechnung sei ausschließlich eine Angelegenheit zwischen Arzt und Patient, in die sich keine dritte Stelle einmischen dürfe.
Es ist geplant, dass eine gemeinsame Kommission von Ärzte- und Versicherungsvertretern eingerichtet wird, die die die Anwendung und Weiterentwicklung der GOÄ begleiten soll. Schon jetzt gibt es einen gemeinsamen Bewertungsausschuss, der analoge Abrechnungsempfehlungen entwickelt. Dass schließlich die Versicherungsträger für die Behandlung aufkommen müssen und dass sie deshalb natürlich ein Recht auf die Bewertung der Vergütung haben, interessierte die ärztlichen Kritiker nicht. Einige Kritiker erwarteten auch, dass es einen 30-prozentigen Inflationsausgleich für die Preissteigerungen der vergangenen Jahre geben müsse – was natürlich Traumtänzerei realitätsferner Ärztefunktionäre ist. Nicht der Patient, sondern der Arzt steht hier im Mittelpunkt des Interesses.
Aus Sicht des vdää war dies eine unsinnige Diskussion, an der sich deshalb etliche unsere Delegierten gar nicht mehr beteiligen wollten. Unter dem ideologischen Deckmantel der Freiberuflichkeit sollen hier die monetären Interessen von Teilen der Ärzteschaft durchgesetzt werden. Als Ergebnis verabschiedete der Sonderärztetag eine Resolution, die den bisher vorliegenden Entwurf des Vorstands der Bundesärztekammer unterstützte.
Da er für ein einheitliches Versicherungs- und Abrechnungssystem eintritt, hält der vdää eine Revision der GOÄ für überflüssig. Schon der jetzige Entwurf der GOÄ – soweit er bisher bekannt ist – enthält keinerlei Elemente einer modernen Krankenversicherung:
Es fehlen:
- eine Qualitätssicherung der erbrachten Leistung,
- Qualitätsanforderungen an den Leistungserbringer und seine Gerätschaften,
- eine gesicherte Bedarfsplanung,
- Mengenbegrenzungen,
- Arzneimittelrichtlinien,
- Nutzenbewertung von Arzneimitteln,
- Maßnahmen zur Verhinderung überflüssiger und schädlicher Leistungen.
Solange es noch eine GOÄ geben muss, wären dies die Mindestforderungen an eine Neufassung. Da es keine zentrale Abrechnungskontrolle durch eine KV-ähnliche Einrichtung und keinerlei Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen gibt, herrschen in der PKV chaotische Abrechnungsbedingungen. Jeder, der kann, darf. Behandlung von in der PKV versicherten Patienten ist weiterhin wilder Westen: Dort herrschen Über- und Fehlversorgung sowie Abrechnungs-Willkür. In ihrer Struktur ist die GOÄ ein Relikt aus Kaisers Zeiten. Jede Ärztin und jeder Arzt kann praktisch ohne Kontrolle und Nachweis seiner Fähigkeiten private Rechnungen nach der GOÄ stellen.
Natürlich waren diese Kritikpunkte nicht Thema auf dem Sonderärztetag in Berlin.
Die GOÄ, sollte sie dann wirklich kommen, wird auch weiterhin die Trennung in zwei unterschiedliche Abrechnungssysteme für verschieden versicherten Patienten zementieren und damit eine Zweiklassen-Medizin festigen.
Gefahr droht der GOÄ von zwei Seiten: Zum einen ist die Versicherungsindustrie nicht mehr besonders an der Aufrechterhaltung einer privaten Vollversicherung interessiert, da sie letztlich zu teuer und zu wenig lukrativ wird. Schon jetzt steigen einige Versicherungen aus dem Geschäft mit der privaten Vollversicherung aus. Zum anderen würde natürlich die Einführung einer Bürgerversicherung die Notwendigkeit einer zweiten Abrechnungsordnung obsolet machen. Es ist zu wünschen, dass dieser zweite Fall eintreten möge.
Und zu guter Letzt: Inzwischen hat sich die SPD festgelegt und wird einer Verabschiedung einer GOÄ im Bundesrat nicht zustimmen. Begründung: Sie wünscht eine einheitliche Vergütungsordnung für privat und gesetzlich versicherte Patienten. Hoffentlich bleibt sie dabei.
Und zu aller guter Letzt: Jetzt hat auch der Vorstand der Bundesärztekammer Mitte März den vorliegenden GOÄ Entwurf beerdigt – das Ende eines Trauerspiels.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ärztliche Standesorganisationen, 1/2016)