GbP 1-2023 Kries

Wenn das Wasser zur Ware wird

Über die Privatisierung des Wassers in Chile - von Ruth Kries

Salvador Allende, 3 Jahre Hoffnung

Dieses Jahr markiert den 50. Jahrestag des Staatsstreichs, der die Regierung von Präsident Dr. Salvador Allende in Chile stürzte, dem weltweit ersten Marxisten, der durch einen demokratischen Prozess in diese Position gewählt wurde. Obwohl seine Regierung nur drei Jahre bestand, gelang es ihm, tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Maßnahmen umzusetzen, um den Bedürftigsten zu helfen. Noch bevor Allende sein Amt antrat, begannen die Vereinigten Staaten, angeführt von Nixon und Kissinger, und die CIA aufrührerische Versuche, Allende zu ermorden oder zu stürzen.

Pinochet, 17 Jahre Angst und Schrecken

Am 11. September 1973 ist es ihnen schließlich gelungen. Allende und Tausende von Chilen*innen wurden ermordet, Tausende verschwanden und über 100.000 wurden inhaftiert. 1.000.000 Menschen gingen ins Exil, dies sind mehr als 10% der Bevölkerung. Die vom Militär mit Hilfe der Vereinigten Staaten aufgezwungene Diktatur dauerte 17 Jahre. Sie brachte das neoliberale System hervor, das in Chile dank des Terrors der Diktatur erfolgreich implementiert wurde. 1980, sieben Jahre nach dem Putsch, erließ Pinochet eine neue Verfassung, in der der neoliberale schlanke Staat erklärt wurde: Privateigentum über alle Vermögenswerte des Landes wurde garantiert; dies ermöglichte die Privatisierung von natürlichen Ressourcen, grundlegenden Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Elektrizität, Telefone, Medien, Gesundheit und Bildung und natürlich auch Banken. Und zuletzt hatte dies die Entwicklung einer extraktiven Industrie ohne Respekt vor den Interessen der Natur und der Mehrheit der Bevölkerung zur Folge.

So begann das Drama, das Chile bis heute heimsucht: die Mega-Dürre. Obwohl das Land über eine der größten Süßwasserreserven der Welt verfügt, haben fast eine Million Chilen*innen keinen Zugang zu Trinkwasser, und mittelständische und kleine Landwirte müssen ihre Ernte aufgrund des Mangels an Wasser aufgeben.

Pinochet übergab die Oberflächen- und Tiefengewässer den Geschäftsleuten zu ihrer bedingungslosen und unbegrenzten Nutzung. Diese »Wasserrechte«, die den damals mächtigen Geschäftsleuten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, werden heute zu Wucherpreisen verkauft, an der Börse gehandelt und sind sogar mehr wert als die Avocado-Plantagen selbst, für die so viel Wasser gebraucht wird.

Vor dem Putsch war Chile auf einem großen Teil seiner 756.000 km2 großen Fläche in der Mitte und im Süden von autochthonen Wäldern mit Eichen, Coigües, Araukarien, Lärchen usw. bedeckt, die einige tausend Jahre alt sind. Zwischen 1973 und 2016 wurden ca. 19% der einheimischen Wälder abgeholzt und größtenteils durch schnell wachsende Baumplantagen für den Export von Holz und Papier nach Europa, in die USA und andere Staaten des globalen Nordens ersetzt. Diese Plantagen bedeuteten eine neue massive Enteignung des Territoriums der indigenen Völker wie der Mapuche, die nicht nur ihres Landes, sondern auch ihrer Wasserressourcen beraubt wurden, wodurch die Dürre und damit die Zerstörung der Umwelt riesiger Gebiete zunehmen.

Die Diktatur ging aber das System blieb

Chile geht inmitten der schlimmsten Wasserkrise aller Zeiten das Wasser aus. Die Regierung weist auf eine Verringerung der Ressourcen um fast 40% hin. Der Wasserstand der Flüsse ist auf einem historischen Tief und es gibt landesweit einen Rückgang der Niederschläge zwischen 60% und 80%. Laut dem World Resources Institute gehört das Land bis zum Jahr 2025 zu den 30 Ländern mit dem höchsten Wasserrisiko1 der Welt. Tatsächlich leben laut der Generaldirektion für Wasser (DGA) heute 47,7 % der chilenischen Bevölkerung unter Bedingungen der Wasserknappheit.

Die während der Pinochet-Diktatur erlassene chilenische Verfassung von 1981 betrachtet Wasser als soziales, aber auch als wirtschaftliches Gut. Sie trennt sein Eigentum von der Domäne des Staates, der die Rechte zur Nutzung des Wassers an Private vergibt – und zwar kostenlos.

Dies wurde nach der demokratischen Wende beibehalten und sogar vertieft, da auch das Wasser für die Privathaushalte privatisiert wurde. Dieser weitere Privatisierungsprozess begann 1998 unter der Leitung des christdemokratischen Präsidenten Eduardo Frei Ruiz-Tagle. Heutzutage zahlen die Menschen in Chile die höchsten Gebühren in ganz Lateinamerika für Trinkwasser, das sich im Besitz großer transnationaler Konzerne befindet. Insgesamt kontrollieren die Suez-Gruppe, Aguas de Barcelona, Marubeni und der Ontario Teachers’ Pension Fund Administrator aus Kanada 90 Prozent der Trinkwasserversorgung. Die Regierung von Präsident Sebastián Piñera, dem Vorgänger vom derzeitigen Präsidenten, erließ ein Gesetz, das es ihm erlaubte, mit der Versteigerung chilenischer Flüsse zu beginnen. Diesmal kann man Aktien kaufen, die es einem ermöglichten, das Wasser eines bestimmtes Flusses entsprechend seiner Strömung in Litern pro Sekunde zu nutzen. Der Fluss Maipo beispielsweise hat 8.130 Anteile, ein Anteil kostet etwa 67 Millionen chilenische Pesos (knapp 72.000 Euro) und gibt das Recht auf maximal 34 Liter pro Sekunde. Piñera kam an die Regierung mit der Mission, die Rechtssicherheit des Eigentums an Wasserrechten zu untermauern. Seinem Kabinett gehörten mehrere Minister*innen an, die Rechte zur Wassernutzung besitzen. Der prominenteste von ihnen ist der Landwirtschaftsminister Antonio Walker Prieto. Er und seine Familie besitzen mehr als 29.000 Liter pro Sekunde, was dem kontinuierlichen Wasserverbrauch von etwa 17 Mil­lionen Menschen entspricht.

Wasserintensive Rohstoffindustrien haben sich die chilenische Formel zunutze gemacht, um Grundwasserleiter zu übernutzen, Flüsse umzuleiten und Ackerland auszutrocknen, wie es bei den Mega-Avocado-Plantagen in Petorca in der Region Valparaíso oder den Holzfällergebieten in den Regionen Araucanía und Biobío im Süden der Fall ist. Inzwischen sind die Bewohner*innen dieser Gebiete gezwungen, sich mit Zisternenlastwagen zu versorgen oder Wasser zu rationieren.

Der Fall Petorca

Die Provinz Petorca liegt rund 200 km nördlich von Santiago, der Hauptstadt Chiles, und ist das Zentrum des Avocado-Anbaus in Chile. Mehr als die Hälfte der chilenischen Produktion stammt aus dieser Region. Die Produktion ist fest in den Händen großer Agrarunternehmen, die als Ergebnis des unerbittlichen Profitsystems, das während der Pinochet-Diktatur eingeführt und dann während der nachfolgenden Zivilregierungen verewigt wurde, die Wasserrechte erworben haben. Aufgrund des Anbaus von Avocados sind die Flüsse und Kanäle in Petorca ausgetrocknet. Obwohl der Wasservorrat der Flüsse Petorca 1997 und La Ligua 2004 für erschöpft erklärt wurden, konnten große Agrarunternehmen die Wassernutzungsrechte erhalten, auch wenn die Becken ausgeschöpft waren. Diese Unternehmer, die sich der Produktion und dem Export von Avocados verschrieben haben, erhöhen kontinuierlich die Produktion von Avocados, denn das Geschäft ist äußerst profitabel. Tonnen Avocados werden hauptsächlich aus Mexiko, aber auch aus Chile, Peru, Israel usw. nach Europa exportiert.

Es sind nicht die 30 Pesos, es sind die 30 Jahre. Unter diesem Motto gingen Chilen*innen im Oktober 2019 auf die Straße, um zu protestieren: Zunächst wegen der Preiserhöhung für Metro-Tickets und dann wegen der dramatischen Situation, die das Land in Bezug auf Bildung, Gesundheit und Armut erlebte – kurz gesagt, wegen der Unerbittlichkeit des erlebten Mangels an sozialer Gerechtigkeit. Millionen protestierten und forderten radikale Veränderungen durch eine neue Verfassung. Der neue Verfassungstext erklärt Wasser zu einem natürlichen Gemeingut, das sich nicht in der Wassergesetzgebung aneignen lässt. Er besagt, dass »die Ausübung des Menschenrechts auf Wasser, sanitäre Einrichtungen und das Gleichgewicht der Ökosysteme immer Vorrang haben werde« und dass es eine Pflicht des Staates sei, »Wasser in all seinen Zuständen und Phasen zu schützen«. Das Mandat des Rechts auf Wasser, der Entprivatisierung, sei klar und die Regeln zur Umsetzung dieses Mandats müssen partizipativ sein, mit Rücksprache mit den indigenen Völkern und mit einem Prozess der Bürgerbeteiligung, welcher auf ein populäres Gesetz des Wassers baue. Der Volksaufstand vom Oktober 2019 bis März 2021 wurde mit einem Kompromiss beendet: Eine neue Verfassung sollte demokratisch geschrieben werden. Der vom Verfassungskonvent vorgeschlagene Text wurde aber bei der Volksabstimmung im September letzten Jahres abgelehnt. Die Gründe sind vielfältig und schwer zusammenzufassen. Der heutige Präsident Gabriel Boric hat beim Amtsantritt die Verstaatlichung der Wasserversorgung versprochen. Seine Personalpolitik deutet aber auf das Gegenteil hin: Seit März 2023 hat er Jessica López zur Ministerin für Öffentliche Bauten gemacht – eine ehemalige Lobbyistin der privaten Wasserkonzerne. Es ist also nicht zu erwarten, dass etwas besser wird durch diese – vermeintlich – linke Regierung.

Der Kampf geht weiter!

Ruth Kries ist Kinderärztin und arbeitete bis zum Putsch von Pinochet in Chile; sie lebt und arbeitet seit ihrer Flucht 1973 in Deutschland und ist hier weiter politisch aktiv.

Quellenverzeichnis

(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ernährung und Gesundheit, Nr. 1, März 2023)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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