USA
Assistenzärzt*innen am Montefiori Medical Center im New Yorker Stadtteil Bronx versuchen seit 2020 eine Gewerkschaft zu gründen. Sie wollen gegen die Arbeitsdichte und die Unterbesetzung kämpfen. Das Krankenhaus spielt eine wichtige Rolle als Ausbildungskrankenhaus und für die Grundversorgung der ärmeren Bevölkerung des Stadtteils. Die Unzufriedenheit der Beschäftigten wuchs durch Forderungen nach persönlicher Schutzausrüstung und Impfungen während der Covid 19 Pandemie.
In einem sehr interessanten Interview mit dem Magazin Jacobin schildern zwei junge Ärzt*innen ganz ähnliche Probleme und Situationen wie in Deutschland. Sie berichten, dass die Weiterbildungszeit von vielen als notwendiges Übel auf dem Weg zu einem Beruf mit guter Bezahlung und viel Prestige gesehen wird. Das hindere viele Assistenzärzt*innen daran, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die Unterbesetzung, vor allem auch von Pfleger*innen und anderen Berufsgruppen sei ein großes Problem für die ärztliche Arbeit. Sie sorgen sich um die Gesundheitsversorgung, die sie den Patient*innen bieten. Nun wollen sie die Arbeitsbedingungen der Assistenzärzt*innen und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zusammen denken und dafür mit der Gewerkschaft für Pflegekräfte und der Gewerkschaft für Assistenzberufe zusammen arbeiten. Dabei geht es auch um Klinikschließungen und Umstrukturierungen, die vom Krankenhausbetreiber auf Empfehlung der Consulting-Agentur McKinsey geplant wurden und die die Versorgung des armen Stadtteils verschlechtern würde.
»Our patient care is only going to be as good as our treatment of the workers in the hospital.« Noa Nessim, Ärztin in Weiterbildung, Allgemeinmedizin am Montefiore Medical Center
Quellen
- https://jacobin.com/2022/11/montefiore-medical-center-residents-doctors-union/
- https://www.thenation.com/article/activism/montefiore-hospital-union-cir/
- https://gothamist.com/news/more-than-1000-doctors-in-training-at-bronx-hospital-announce-unionization
- https://www.thecity.nyc/2022/11/2/23437761/residents-union-push-montefiore-committee-interns
Griechenland
Die griechische Regierung der Partei Nea Dimokratia hat einen Gesetzentwurf zur Umstrukturierung des öffentlichen Gesundheitswesens erarbeitet. Das von der stellvertretenden Gesundheitsministerin Mina Gaga ausgearbeitete Gesetz ist unter dem Namen »Gaga-Gesetz« bekannt. Unter anderem soll die Vollzeit-Beschäftigung von Ärzt*innen in öffentlichen Krankenhäusern abgeschafft und stattdessen die gleichzeitige Anstellung in Privat-Praxen und -Kliniken vorangetrieben werden. Auch Universitätsmediziner*innen und Professor*innen soll es in Zukunft möglich sein, nebenbei in Privatkliniken beschäftigt zu werden. Außerdem ändern sich die Weiterbildungsbedingungen. Für ihre Weiterbildung müssten junge Ärzt*innen in Zukunft in weit entfernte Regionen umziehen.
Gegen diesen Gesetzentwurf gingen am 1. Dezember viele Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen auf die Straße und trugen ihren Protest vor das Parlament in Athen. Viele Ärzt*innen-Organisationen und Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen. Sie sehen im »Gaga-Gesetz« eine weitere Kommerzialisierung und Privatisierung des Gesundheitssystems und die Gefahr, dass Patient*innen zu out-of-pocket-payments gedrängt werden, um an Leistungen zu kommen. Außerdem befürchten sie, dass junge Ärzt*innen aufgrund der geänderten Weiterbildungsordnungen vermehrt zur Auswanderung gedrängt werden.
Leider hat der Protest sein Ziel nicht erreicht: Das Gesetz wurde am 2. Dezember verabschiedet und wurde am 7. Dezember im offiziellen Amtsblatt veröffentlicht. Das wird die Proteste sicher nicht beenden, aber die Strategie des Widerstands wird nun eine andere sein müssen. Die nächsten Parlamentswahlen sind in Griechenland aktuell für September geplant, aber es gibt viele Diskussionen darüber, ob sie nicht vorgezogen werden sollen. Das Frühjahr wird also spannend werden.
Quellen
- https://www.makthes.gr/antidraseis-iatron-sto-neo-nomoschedio-gkagka-katargei-ton-dimosio-charaktira-tis-ygeias-611566
- https://peoplesdispatch.org/2022/11/30/health-workers-in-greece-protest-casualization-of-doctors-in-public-hospitals/
- https://left.gr/news/nea-kinitopoiisi-enantia-sto-nomoshedio-dialysis-toy-esy-tin-pempti-112-sti-voyli
Großbritannien
In Großbritannien starteten im Dezember die angekündigten berufsgruppenübergreifenden Streiks im National Health Service (NHS), über die wir in der letzten Ausgabe kurz berichtet hatten. Am 15.12.2022 fand der erste von zwei eintägigen vom Royal College of Nursing ausgerufenen Streiks statt, an dem sich zehntausende Pflegekräfte beteiligten. Es war der erste Massenstreik von Pflegekräften seit der Gründung des NHS.
Direkt anschließend an den zweiten Streiktag der Pflegenden folgte am 21.12. der Streik der Rettungsdienste. Im Vorfeld hatte die Regierung Angst geschürt und die Bürger*innen aufgerufen, keine Verletzungen zu provozieren. Vor Kontaktsportarten, Alkoholkonsum und unnötigem Autofahren wurde gewarnt. Gesundheitsminister Stephen Barclay schrieb in einer Zeitungskolumne: »Die Rettungsdienst-Gewerkschaften haben die bewusste Wahl getroffen, den Patienten Schaden zuzufügen«. Dabei wurde selbstverständlich auch während des eintägigen Streiks eine Notfallversorgung aufrechterhalten und sehr viele Rettungssanitäter*innen waren im Einsatz. Die Gewerkschaften betonen, dass es im Gegenteil der Normalzustand ist, der die Patient*innen gefährdet.
Tatsächlich verließen von Juni 2021 bis Juni 2022 zehn Prozent der Rettungssanitäter den NHS, der gerade in einer historischen Krise steckt. Überarbeitung und Personalmangel führen zu ernsthaften Versorgungsproblemen. Laut einer Studie des Guardian fehlen alleine in England 133.000 Vollzeitstellen im NHS. Dafür werden nicht zuletzt die Austeritätsmaßnahmen der konservativen Regierung verantwortlich gemacht.
Die Gewerkschaften fordern nun für die Beschäftigen eine mindestens inflationsangepasste Lohnerhöhung. Da sich die Regierung bislang unnachgiebig zeigt, sind weitere Streiks im Januar angekündigt. Es ist zu erwarten, dass sich mit den Physiotherapeut*innen und Hebammen sogar noch mehr Berufsgruppen anschließen. Am 9.1. haben auch Assistenzärzt*innen über Aktionen abgestimmt. Derweil plant die Regierung Gesetzesänderungen, die Streiks für verschiedene Berufsgruppen erschweren sollen.
Quellen
- https://www.theguardian.com/society/2022/dec/22/nhs-faces-months-of-disruption-as-unions-ramp-up-campaign-of-strikes
- https://www.theguardian.com/society/2023/jan/04/nhs-staff-share-despair-working-at-breaking-point
- https://www.theguardian.com/uk-news/2023/jan/05/anti-strike-legislation-could-worsen-nhs-services-labour-says-rachel-reeves
- https://www.theguardian.com/society/2023/jan/02/intolerable-nhs-crisis-to-continue-until-april-health-leaders-warn
- https://www.wsws.org/de/articles/2022/12/17/nust-d17.html
- https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169587.grossbritannien-streiken-fuer-die-gesundheit.html
(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Viel zu tun im Gesundheitswesen. Entprivatisierung, Demokratisierung, Vergesellschaftung, Nr. 4, Dezember 2022)