GbP 4-2022 Böhm / Rakowitz

Etikettenschwindel statt Revolution

Thomas Böhm und Nadja Rakowitz über die Vorschläge zur Reform der Krankenhäuser

Dass es in deutschen Krankenhäusern nicht rund läuft, wird in der bürgerlichen Öffentlichkeit spätestens seit Corona diskutiert. Dass das etwas mit der Finanzierung durch Fallpauschalen (sogenannte DRG) zu tun hat, ebenfalls. Dass die Zustände bisweilen dramatisch sind, hat aber nichts mit Corona zu tun, sondern gehört zum Alltag in einem Krankenhaussystem, dass durchökonomisiert wurde. Anfang Dezember hatte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) auf die »katastrophale Lage« in der Pädiatrie aufmerksam gemacht. Das DIVI spricht von fast 40 Prozent gesperrten Intensivbetten in den bei ihm gemeldeten Krankenhäusern. Der Grund für die Sperrung sei hauptsächlich der Personalmangel.(1)

Faktisch ist dieser Mangel das Resultat der Ökonomisierung der Krankenhäuser, die wir seit Einführung der Fallpauschalen 2004 erleben: Diese brachten die Möglichkeit, Profite und Verluste mit der Bewirtschaftung von Krankenhäusern zu machen. Die wirtschaftlichen Anreize sorgen in allen Krankenhäusern unabhängig von der Trägerschaft für Personalabbau auf der einen und Fokussierung auf lukrative Behandlungen auf der anderen Seite. Dies führt zu Unter- Über- und Fehlversorgung, weil die Leistungen nicht nach dem Bedarf der Patienten gesteuert werden, sondern über Preise. Um in der Konkurrenz eines solchen Preissystems zu bestehen, müssen die Abläufe beinhart auf Effizienz getrimmt werden. Mit kranken Kindern lässt sich das nur schwer machen. Die Pädiatrie ist deshalb im DRG-System nicht lukrativ; Abteilungen werden geschlossen oder das Personal flieht. Brandbriefe und Initiativen dagegen gibt es inzwischen viele.

Während des ganzen Jahres 2022 hat der Gesundheitsminister Lauterbach vielleicht deshalb immer wieder versprochen: »Kinderkliniken kommen aus der Fallpauschale, dann gibt es auch kein Defizit mehr.« Am 23.10. hat Lauterbach dann an prominenter Stelle im ZDF heute journal angekündigt, dass die von ihm eingesetzte Expertenkommission gerade an einem Konzept für eine »große Reform der Fallpauschalen, einer Überwindung der Fallpauschalen« arbeite. Das Fallpauschalensystem habe sich seit seiner Einführung, an der Lauterbach selbst beteiligt war, »so stark verselbständigt, dass der ökonomische Druck zu stark« sei. Von Daseinsvorsorge war plötzlich wieder die Rede und der von uns oft gebrauchte Vergleich mit der Feuerwehr, die auch bezahlt wird, wenn es nicht brennt, wird plötzlich nicht mehr ignoriert oder belächelt sondern zustimmend aufgegriffen. Ja, da wolle man hin. Ein paar Tage später in einer Talkshow nahm Lauterbach für seine Pläne gar das Wort »Revolution« in den Mund und etwas nüchterner sprach er dann von einer »dramatischen Entökonomisierung der Krankenhäuser«.

Am 6.12. stellte die 17-köpfigen Expertenkommission die »Revolution« in einer Pressekonferenz vor: Neben einigen Medizinern und Juristen sitzen in dieser Kommission eine Expertin für Pflege, ein Pharmazeut, ansonsten aber Volkswirte und Gesundheitsökonomen. Von letzteren aber nicht irgendwelche, sondern genau die Neoliberalen, die bislang immer nur dadurch aufgefallen sind, dass sie noch mehr Markt und Konkurrenz einführen und gleichzeitig Krankenhäuser schließen und zentralisieren wollen: Boris Augurzky und Reinhard Busse. Diese beiden haben zusammen mit Tom Bschor, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und langjähriger Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie der Schlosspark-Klinik Berlin, und Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin, die »Dritte Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung – Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung« (2) federführend erarbeitet (S. 32), die im Folgenden dargestellt und kritisiert werden soll. Die hier vorgestellte Kritik basiert auf ausführlichen Diskussionen im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, das eine 20-seitige Stellungnahme dazu erarbeitet hat.

Was glauben Sie, wer Sie sind? Bundespressekonferenz und Aktuelle Stunde

Zunächst fiel bei der Pressekonferenz (3) auf, dass Augurzky und Busse nicht mit auf dem Podium saßen, sondern neben dem Minister nur Praktiker aus der Kommission: Bschor, Karagiannidis, Gürkan, die im Moment u.a. stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Charité ist. Sowohl Lauterbach als auch Karagiannidis betonten, dass das vorgestellte Konzept ein »rein wissenschaftliches« sei, bei dem man die Lobbyisten aber auch die Politik ferngehalten habe. Der Sinn dieses Framings wurde dann in der Aktuellen Stunde des Bundestags am 15.12.2022 deutlicher. Hier sagte Lauterbach: »Wir wollen jetzt eine Entökonomisierung. Uns haben Sachverständige aus der Pflege, aus den Krankenhäusern, aus der Ökonomie beraten, die wir gebeten haben: Macht kluge Vorschläge, damit wir dieses ökonomische System überwinden! … Das sind kluge Vorschläge … Sie glauben, dass Ihre Vorschläge besser sind als die Vorschläge der Wissenschaft? Das ist eine Missachtung der Wissenschaft. Was glauben Sie denn, wer Sie sind?« (4)

Wir halten es für hochproblematisch, wenn Kritik im Parlament abzuwürgen versucht wird mit dem Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit eines politischen Vorschlags. Das unterstellt bzw. will uns weismachen, dass Wissenschaft – zumal Gesundheitsökonomie – im polit-ökonomisch luftleeren Raum agiere bzw. selbst nicht polit-ökonomische Prämissen und entsprechende Implikationen habe. Wie sehr sich die neoliberalen Vorstellungen ins das Konzept drängen, kann man sehen, wenn man sich die Vorschläge genauer anschaut.

Bankrotterklärung des DRG-Systems, aber keine Überwindung in Sicht

Während man bisher bloß ein paar Auswüchse zugestanden hatte, die innerhalb des Systems abgeschafft werden könnten, zeigten sich in jüngster Zeit, schon größere Risse im argumentativen Gebäude. Jetzt aber hatte man in der Pressekonferenz den Eindruck, dass es – zumindest, was die Problemanalyse angeht – zusammenfällt. Auch in dem Kommissionspapier lesen wir eine Bankrott-Erklärung des DRG-Systems (S. 6); viele Argumente von Kritikern werden plötzlich vom Gesundheitsminister selbst genannt. Mitnichten folgt daraus aber die vorher großangekündigte »Überwindung der DRG«. Bereits in der Präambel (S. 3) wird ausgeführt, dass es mit dieser nicht so weit her ist: »Die Kommission geht aber zugleich davon aus, dass Leistungsanreize erhalten bleiben müssen, weil auch eine ausschließlich leistungsunabhängige Vergütung – etwa in Form eines zu 100 Prozent garantierten Budgets oder einer Selbstkostendeckung – Fehlanreize setzt und erhebliche Risiken für eine patienten- und bedarfsgerechte Versorgung sowie finanzielle Risiken für die Kostenträger auslösen würde.«

Neben dem Eingeständnis, dass es nicht um die Überwindung der DRGs geht, ist interessant, dass die Kommission es offensichtlich für notwendig hält, sich von der von uns geforderten Selbstkostendeckung – über Jahrzehnte ein Unwort – abzugrenzen. Einmal abgesehen davon, dass ein »garantiertes Budget« etwas anderes ist als Selbstkostendeckung, weil im Rahmen von Budgets weiterhin Gewinne möglich sind und finanzielle Fehlanreize bestehen (Kostendumping, Verschiebung/Beendigung der Leistungserbringung bei Aufbrauchen des Budgets), stimmen die Argumente gegen Selbstkostendeckung nicht. Entgegen aller Behauptungen ist Selbstkostendeckung kein Selbstbedienungsladen, denn den Kassen gegenüber muss jährlich Rechenschaft darüber abgelegt werden, wie die Gelder der Kassen verwendet wurden. Der große Vorteil der Selbstkostendeckung liegt aber darin, dass gerade die bedarfsgerechte Versorgung in den Mittelpunkt des Handelns der Krankenhäuser gestellt werden kann, unbelastet von finanziellen Zwängen oder Erwägungen.

Was die Kommission aber suggerieren will, ist, dass ihr Vorschlag der Vorhaltepauschalen zumindest zum Teil eine solche Wirkung habe und zur versprochenen Entökonomisierung beitrage: Nachdem schon unter Jens Spahn die »Pflege am Bett« aus den DRG herausgenommen wurde (entspricht ca. 20% des Volumens der DRGs) und seitdem tatsächlich nach dem Prinzip der Selbstkostendeckung finanziert wird, soll es nun eine Vorhaltevergütung in Höhe von 20% der bisherigen DRG-Erlöse geben bzw. eine Vorhaltevergütung von 40% für Intensivmedizin, Notfallmedizin, Geburtshilfe und Neonatologie; die DRG werden in dieser Höhe abgesenkt. Die Einführung soll über eine Konvergenzphase von 5 Jahren (mit niedrigeren Prozentzahlen) erfolgen. Die Gesamtvergütung bleibt gleich, die Vergütung wird nur in anderer Form ausgezahlt.

Die Frage ist: Sind von der anderen Vergütungsform »Vorhaltefinanzierung« bedarfsgerechte und angemessene Effekte zu erwarten? Die Kommission sagt »ja« (S. 20), weil der Leistungsbezug (DRGs) nur noch teilweise vorhanden ist und damit der Druck niedriger werde und man sich wieder mehr medizinischen Fragen und Aufgabenstellungen widmen könne. Unsere Erfahrung sagt »nein«, weil auch und gerade von niedrigeren DRGs derselbe Anreiz zu Kostendumping und Mengenausweitung ausgeht – insbesondere, wenn die Höhe der Gesamtfinanzierung gleich bleibt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Gerade, weil die finanziellen Gestaltungspielräume eingeschränkt werden, wird der (phantasievolle) Leistungswettbewerb im »Rest-DRG-Bereich« noch mehr angefacht werden. Dies gilt insbesondere, weil diese Art der Vorhaltefinanzierung mitnichten eine Kostendeckung wie bei der Pflege am Bett darstellt, sondern eine alternative mengenabhängige Teilfinanzierung über ein Budget in einem weiterhin finanzgesteuerten Preissystem.

Neben ein paar anderen Details soll eine weitere Besonderheit für die Vergütung der Kinder- und Jugendmedizin gelten: Für die Vergütung der Behandlung von Kindern und Jugendlichen sollte aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität und des erhöhten Aufwands in der medizinischen Versorgung ein Sonderfonds aufgelegt werden. Aus dessen Mitteln sollte ein Aufschlag von bis zu 20% auf die bisherigen DRG-Erlösvolumina der Leistungsgruppen der Pädiatrie und Kinderchirurgie erfolgen, so das Kommissionspapier (S. 22). Grundsätzlich ist es richtig, dass die Kinder- und Jugendmedizin besser vergütet werden muss. Die Probleme liegen aber wieder im Detail: Zum einen ist unklar, ob der Sonderfonds on top kommt oder ebenfalls der generellen Deckelung unterliegt. Dann würde es sich nur um eine Umverteilung handeln: Was die Kinder- und Jugendmedizin mehr bekommt, würde bei den anderen abgezogen werden. Das größere Problem ist aber, dass die Erhöhung selbst an die abgerechneten DRGs gekoppelt ist und damit wieder mengenabhängig vergeben wird. Damit wird die finanzielle Steuerung über Preise sogar noch gestärkt. Abkehr vom DRG-System? Fehlanzeige

Noch deutlicher wird das bei der Verteilung des allgemeinen Vorhaltebudgets. Um diese zu verstehen, muss man zunächst wissen, welche Strukturreformen geplant sind. Die Krankenhäuser werden 3 Versorgungsstufen zugeteilt: Level I, Level II und Level III. Das ist nichts wirklich Neues und entspricht den altbekannten (zwischenzeitlich in vielen Bundesländern aufgegebenen) Versorgungsstufen aus den Krankenhausplanungen der Länder: Grundversorgung, Zentralversorgung und Maximalversorgung. Jedem Level sollen bundeseinheitliche Strukturqualitätsanforderungen und Leistungsgruppen zugeordnet werden. Es soll 128 Leistungsgruppen geben, die sich aus den Diagnosen und den Operations- und Prozedurenschlüsseln ergeben. Sie definieren den Versorgungsauftrag, also das, was die Krankenhäuser eines Levels behandeln dürfen. Krankenhäuser mit höhe- rem Level dürfen auch die Leistungsgruppen der niedrigeren Level behandeln.

Diese Aufteilung ist grundsätzlich sinnvoll. Aber welche Auswirkungen hat sie auf die flächendeckende Versorgung bei weiter bestehenden Preiselementen (DRGs)? Ein Problem ist, dass solche detaillierten Definitionen hohe Hürden darstellen und missbraucht werden können, um Krankenhäuser von der Versorgung auszuschließen. So erscheinen z.B. die Anforderungen für Level II auffallend hoch und können, so unsere Einschätzung, zu unsachgemäßen Schließungen führen. Daraus, dass dies auch ein Zweck der Reform ist, wird von Seiten der Kommission kein Hehl gemacht. Sie erwartet einen »deutlicher Anreiz zur engeren Kooperation zwischen Krankenhäusern (…) bis hin zum Austausch von Leistungsgruppen«. »Auch könnten verschiedene Standorte mit niedrigem Versorgungsgrad zu einem Standort mit hohem Versorgungsgrad fusionieren«. (S. 10). Die Kommission schlägt also Kooperation auf einem von schärfster Konkurrenz bestimmten Markt mit mächtigen privaten Akteuren vor. Das kann nicht ernst gemeint sein. Realistischer ist es anzunehmen, dass kleine Kliniken von größeren geschluckt oder schlicht »vom Markt genommen« werden.

Abschaffung der DRG – zusammen mit der Abschaffung kleiner Krankenhäuser?

Für einen Teil der Krankenhäuser des Level I (Grundversorger) ist ein kompletter Umbau geplant »Level-Ii-Krankenhäuser verbinden wohnortnah zumeist allgemeine und spezialisierte ambulante fachärztliche Leistungen mit Akutpflegebetten, in denen Patientinnen und Patienten z. B. zur Beobachtung und Basistherapie oder nach der Verlegung aus einem Haus der Regel-/Schwerpunkt- oder Maximalversorgung stationär überwacht und gepflegt werden können.« Die Leitung kann durch qualifizierte Pflegefachpersonen mit Zusatzweiterbildung erfolgen, die Vergütung erfolgt durch »sachgerecht kalkulierte, degressive Tagespauschalen (Tagessätze) für die Akutpflege«. (S. 16)

Auch dies ist keine sachgerechte Kostendeckung, denn Tagespauschalen haben den Anreiz, die Verweildauern zu verlängern – zumindest so lange, bis die Kosten den degressiven Tagessatz überschreiten. Dabei fällt wieder eine sachfremde Entscheidung (es lohnt sich nicht mehr) statt einer bedarfsgerechten (kann die Patientin aus medizinischer und pflegerischer Sicht schon entlassen werden?). Die Abrechnung der ärztlichen Leistungen erfolgt gesondert. Offensichtlich zielt dieser Vorschlag dahin, diese Krankenhäuser – zugespitzt ausgedrückt – in bessere Pflegeheime zu verwandeln. Er bedeutet eine Stärkung des niedergelassenen Bereichs und der Kassenärztlichen Vereinigungen. Damit werden die dort schon lange herrschende Ökonomisierung und Privatisierung weiter vorangetrieben und es wird den Private-Equity-Fonds ein neues Geschäftsfeld eröffnet. Der Vorschlag ist weit davon entfernt, die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen, was eigentlich notwendig wäre. Aber hier wird das Versprechen der Entökonomisierung so eingehalten, dass zwar die DRG nicht mehr gelten, dafür die Ökonomisierung des ambulanten Sektors.

Jetzt aber: Entökonomisierung und Unabhängigkeit von den Leistungen – oder doch nicht?

Nun aber zurück zu den Vorhaltepauschalen, dem Kern des Vorschlags zur dramatischen Entökonomisierung. Ausgangspunkt der Verteilung der Gelder sollen die jetzigen DRG-Erlöse der jeweiligen Leistungsgruppen sein. Sie sollen dann nach Fallzahlen (Jahre 2023 und 2024) auf die einzelnen Krankenhäuser verteilt werden. Ein klarer Mengenbezug, der das nächste Problem produziert: Wer es schafft in den nächsten beiden Jahren in seinen Leistungsgruppen die Fallzahlen zu steigern, ist Nutznießer – also wieder ein Anreiz zur Mengenausweitung. Das erkennt auch die Kommission, deshalb soll mittelfristig nach der Konvergenzphase auf einen anderen Verteilungsmechanismus umgestellt werden: Auf einen Mix aus Bevölkerungsbezug, Prozess- und Ergebnisqualität und Fallmenge.

Das Vorhaltebudget soll pro Leistungsgruppe vergeben werden. Es soll nur zugeteilt werden, wenn eine Mindestfallzahl in der jeweiligen Leistungsgruppe erreicht wird und die Höhe soll abhängig sein von der Zahl der zu versorgenden und versorgten Patienten (Bevölkerungsbezug). Was ist daran Vorhaltefinanzierung, was leistungsunabhängig? Tatsächlich ist das keine Vergütung für reale Vorhaltekosten, sondern einfach ein Budget, das zum einen Gewinne und Verluste erlaubt und zum anderen anfällig ist für finanzielle Fehlanreize. Im konkreten Fall ist es massiv leistungsabhängig, es soll zusätzlich noch zur finanziellen Steuerung von strukturellen Veränderungen eingesetzt werden und es ist nicht zweckgebunden (wie z.B. das Geld für die Pflege am Bett), so dass die Gelder für alles – incl. Ausschüttung als Dividende – eingesetzt werden können.

Es kommt noch toller. Den Autoren fällt auf, dass eine Zuteilung des Vorhaltebudgets nur nach dem Bevölkerungsbezug das »Risiko« bergen würde, dass »Krankenhäuser mit einer ungenügenden Behandlungsqualität, die von der Bevölkerung möglicherweise gemieden werden, lediglich aufgrund der Bevölkerungszuordnung ein hohes Vorhaltebudget erhalten« (S. 25) Es braucht also noch ein anderes Kriterium: Eines der beiden anderen Kriterien, das die leistungsunabhängige Vorhaltevergütung gewährleisten soll, ist – Überraschung – neben dem indirekten (s.o.) ein direkter »Mengenbezug«.

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der Frage, warum man nicht einfach die tatsächlichen Vorhaltekosten refinanziert oder besser die gesamten Personalkosten aus den DRGs ausgliedert? Wahrscheinlich doch deshalb, weil das eigentliche Ziel weiterhin ist, den Leistungsbezug zu erhalten und damit finanziell steuernd einzugreifen. Alle diese Ungereimtheiten sind die Folge davon, dass man weiterhin mit allen Mitteln die finanzielle Steuerung aufrechterhalten will, so dass Gewinne/Verluste weiterhin möglich sind.

Damit kommen wir zur dritten Komponente, nach der die Vorhaltebudgets verteilt werden sollen: zum Qualitätsbezug: »Je nach Leistungsgruppe sollen geeignete Kriterien der Prozess- und Ergebnisqualität die Höhe des Vorhalteanteils beeinflussen und damit gute Qualität fördern (…). Eine reine Orientierung an Qualitätsparametern wird von der Regierungskommission aber nicht empfohlen, weil die Messung von Prozess- und Ergebnisqualität nur eingeschränkt valide möglich ist und die besten Parameter für viele Leistungsgruppen strittig sind.« (S. 25) Die Parameter sind zwar strittig, aber sie machen es trotzdem. Auch hier muss die Frage gestellt werden: Was hat das mit den Vorhaltekosten zu tun? Es handelt sich doch auch wieder um den Ansatz, dass finanziell gesteuert wird (Belohnung/Bestrafung), anstatt die Qualität an allen bedarfsnotwendigen Standorten zu fördern und dort, wo es an Qualität mangelt, mehr Geld zu investieren und die Qualität anzuheben.

Wo man also hinschaut, bleibt es bei Mengen- oder gleich Geldsteuerung. Und man darf ja nicht vergessen, dass dir DRG-Logik noch bei 60 % der Einnahmen genauso am Werk ist wie früher. Kurzum, hier waren neoliberale bürgerliche Ökonomen am Werk und haben das gemacht, was sie können: Ein Konzept, wie sich Ökonomen die Gesellschaft bzw. das Gesundheitswesen vorstellen. Der Auftrag war anscheinend, die DRG aus der Kritik zu nehmen. Aber überall, wo sie ansetzen, kommt wieder Ökonomisierung heraus. Angereichert nun durch garantiert noch mehr Bürokratie, denn all diese Abgrenzungen und Kriterien müssen in die Praxis umgesetzt werden.

Thomas Böhm war Chirurg und ist jetzt aktiv im Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik«. Auf seinem Text zu den Reformvorschlägen und auf Diskussionen im Bündnis KH statt Fabrik basiert dieser Text. Er wird auch in der Zeitschrift konkret vom Februar 2023 erscheinen.

Anmerkungen

  1. »Katastrophale Situation«: Kinderkliniken ächzen unter dramatischem Bettenmangel, Redaktionsnetzwerk Deutschland 01.12.2022
  2. Siehe: 3te_Stellungnahme_Regierungskommission_Grundlegende_Reform_KH-Verguetung_6_Dez_2022_mit_Tab-anhang.pdf
  3. Anzusehen hier: https://www.youtube.com/watch?v=mIjLlmAshu0
  4. Nachzulesen hier: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20076.pdf#P.9074 – anzuschauen/ anzuhören hier ab Minute 8: https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7549519#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NTQ5NTE5&mod=mediathek

(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Viel zu tun im Gesundheitswesen. Entprivatisierung, Demokratisierung, Vergesellschaftung, Nr. 4, Dezember 2022)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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