Da hilft nur klebrigste Beharrlichkeit
Diskussion zu Klimawandel und Gesundheit unter Ärzt*innen
Am 11. Juni haben Robin Maitra, Katharina Thiede und Bernhard Winter, Delegierte der Gruppierung Ärzt*innen in sozialer Verantwortung beim Deutschen Ärztetag, diskutiert über Klimawandel und Gesundheit und die Rolle der Ärzt*innenschaft im Kampf gegen den Klimawandel. Die Fragen der Redaktion von GbP stellte Nadja Rakowitz, die das Gespräch moderierte. Wir hoffen, dass dies der Anfang einer größeren Diskussion sein wird. Es gibt noch viele Fragen, die wir nicht mehr diskutiert haben.
Gesundheit braucht Politik: Das Thema Klimakrise ist in der Ärzt*innenschaft und in den Ärztekammern angekommen. Der Ärztetag 2019 hat zu ethischem und nachhaltigem Investment der Versorgungswerke aufgerufen, die Ärztekammern wollen »klimaneutral« werden. Sind wir auf einem guten Weg mit diesem Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel?
Robin Maitra: Wir sind zwar auf einem sehr guten Weg, aber noch ist es nicht so, dass das als Top 1 der Probleme der Ärzt*innenschaft anerkannt ist. Beim Ärztetag 2019 haben wir ganz wichtige Zeichen gesetzt und eine Bewegung in Gang gebracht, die jetzt weiter Fortschritte macht. Wir hatten letztes Jahr den großen Klima-Ärztetag, der ganz wesentlich auf unser Betreiben hin erfolgt ist. Jetzt bewegt sich auch sehr viel in den Kammern und in den KVen und allmählich auch in den Versorgungswerken. Kurzum: Wir sind tatsächlich auf einem guten Weg, aber wir können sicher noch nicht die Hände in den. Schoß legen.
Katharina Thiede: Du hast recht, Robin viele Ärzt*innen nehmen den Kampf gegen die Klimakrise noch nicht als wichtige ärztliche Aufgabe wahr. Auf der anderen Seite ist aber durch diese Rezeption in die Breite der Ärztekammern ein Seriösitätsfaktor generiert worden, der es Ärzt*innen nahezu unmöglich macht zu sagen: Es ist kein Thema für uns. Und man darf den Aspekt Divest nicht vergessen. Wenn das wirklich grundsätzlich umgesetzt wird, ist das ein ernstzunehmender Hebel. Und da ist es hilfreich, dass die ärztliche Selbstverwaltung das Thema erkannt hat, weil die Menschen, die mitentscheiden in den Versorgungswerken, in der ärztlichen Selbstverwaltung vernetzt sind. Je klarer und je häufiger das Thema dort gesetzt wird, umso mehr kann es Einfluss auf Divest nehmen.
Bernhard Winter: Zweifelsohne sind Erfolge da in der Anerkennung des Themas. Das wäre vor fünf Jahren nie so in den Kammern anerkannt worden. Da will ich auch überhaupt nichts klein reden und da ist auch tolle Arbeit gemacht worden. Aber ich erlebe jetzt vieles, was von der offiziellen Ärztekammer kommt, als ziemliche Alibi-Veranstaltung. Man hängt sich jetzt das Label um, aber eigentlich will man wenig umsetzen – zumindest in Hessen. Das sollte uns nicht dran hindern, auch in diesem Gespräch noch mal kritischen Blick auf die Divest-Kampagne zu werfen. Ich würde jetzt eine steile These aufstellen: Wenn die Wirtschaftskrise so weitergeht, ist das Thema demnächst gestorben.
Katharina Thiede: Ich glaube auch, dass manche Projekte in ihrem Effekt auf den Fußabdruck gering sind. Ich denke aber, dass diese Aktivitäten in der ärztlichen Selbstverwaltung in der Regel kein Feigenblatt sind oder Greenwashing. Eher drücken sie die Hilflosigkeit aus, nicht genau zu wissen, wo man anfangen soll. Das muss man aber als etwas Positives ansehen: Hauptsache, man fängt endlich an zu handeln. Denn je mehr man sich damit befasst, umso mehr Gelegenheitsfenster werden erkannt, umso mehr Handlungsspielräume werden wir sehen, um auch wichtige, größere Projekte anzustoßen – und umso größer ist die Multiplikator*innenfunktion, die übernommen werden kann.
Robin Maitra: Das würde ich unterstützen. Und da bin ich ganz bei Dir, Bernhard, dass ganz viele Kolleg*innen sagen: Klimaschutz ist einfach nicht originäre Kammeraufgabe, weil nicht im Heilberufekammergesetz so festgehalten. Wir machen dann den Umweg über die gesundheitlichen Folgen, deshalb kriegen wir unsere Anliegen auch häufig durch. Auch wenn die Kammer vielleicht nur eine Alibi-Veranstaltung macht, dann hat das doch eine Breitenwirkung und hinterher geht es dann eben auch darum, was die Kolleg*innen machen – und was mit der weiten Bevölkerung passiert. Wir agieren als Ärzt*innen ja auch auf einem ganz weiten Feld, auf dem wir mit diesem Arzt-Sein öffentlichkeitswirksam sind und auch einen edukativen Effekt haben. Der Eigenbeitrag der Kammern ist – glaube ich – hinterher vergleichsweise gering, selbst wenn es da Leuchtturmprojekte gibt. Das Thema Divestment im Gesamtkontext voranzutreiben, finde ich ganz wichtig. Ob das nun wirklich Millionen Tonnen von CO2 vermeiden wird, ist noch mal eine andere Sache. Aber es wird in den Kammern, in den eigenen Gremien aufgenommen. Auch kleine Beiträge zählen und es wichtig, dass man anfängt. Oft wird bezogen auf den Klimawandel ein Bild von Ärzt*innen verwendet, das eine Ärzt*in mit Stethoskop zeigt, der oder die den Planet Erde in der Hand hält. Welche Rolle spielt die Ärzt*innenschaft im Kampf gegen den Klimawandel? Kommt Ärzt*innen eine besondere Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zu?
Katharina Thiede: Punkt 1: Ich denke nicht, dass es nur dieses eine Bild gibt, aber Bildsprache hilft natürlich, um etwas zu erklären. Und in dem Moment ist dieses Bild sehr gut. Es mag durchaus Zeiten geben, in denen es andere Bilder braucht, um in die Breite zu wirken. Um die gesundheitliche Dimension der Klimakrise zu vermitteln, haben die Ärzt*innen eine ganz wichtige Rolle. Die Auswirkungen auf ihre individuelle Gesundheit zu erkennen, hilft Menschen zu verstehen, dass sie auch für sich handeln müssen und dass sie die Handlung nicht an die nächste oder übernächste Generation delegieren können. Diese Kernbotschaft, ist extrem stark und wichtig. Ich hoffe schon, dass das Menschen, die man sonst schwerer erreichen würde, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht, packen kann und ihnen sagen: Du musst Deinen Beitrag leisten und zwar am besten im politischen Handeln oder auf Organisationsebene, weil der Beitrag groß ist, aber gerne auch im Kleinen. Und der zweite ganz wichtige Aspekt ist der primäre Präventionsaspekt: Je besser die Umweltbedingungen und die Klimabedingungen sind, umso eher können wir Gesundheit erhalten. Und drittens: Das andere zentrale Handlungsfeld ist die Anpassung an die Klimakrise. Da die gesundheitlichen Auswirkungen enorm sein werden, ist es klar, dass wir uns dieser Aufgabe annehmen.
Bernhard Winter: Von Deinen drei Punkten möchte ich Dir bei dem zweiten vollkommen zustimmen. Bei dem ersten Punkt möchte ich Dir vehement widersprechen: Ich habe niemandem zu sagen: Du musst das und das jetzt machen für die zukünftige Generation. Ich kenne von vielen Patient*innen ihre Lebensumstände relativ gut und weiß auch, dass sie diese gar nicht so ändern können, wie z.B. ich es kann. Ich muss denen erstmal gar nichts sagen, sondern: Für uns alle muss sich etwas ändern. Das würde ich aber keinesfalls personifizieren. Zum dritten Punkt mit dem Anpassen an die Klimakrise: Natürlich müssen wir das machen, aber das machen wir ja auch ohne Klimakrise. Natürlich berate ich seit eh und je meine Patient*innen mit entsprechenden Erkrankungen, was sie zu tun haben, wenn es besonders heiß ist. Wir müssen aber – und das wäre für mich ein zentraler Punkt – den Leuten klar sagen: Wir werden Euch nur partiell helfen können, wenn es so weitergeht. Wir werden ein paar Anpassungsleistungen machen können beim Bluthochdruck und ähnlichem. Aber es wird viele Themen geben, bei denen wir genauso hilflos sein werden wie sonst die Gesellschaft. Das sollten wir auch betonen.
Katharina Thiede: Ich habe nicht gesagt, dass wir Patient*innen sagen müssen, was sie zu tun haben. Das habe ich an keiner Stelle formuliert, sondern dass die Erkenntnis zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise auf die eigene, individuelle Gesundheit oder die einer dritten Person, ein klarer Motivator dafür ist, ins Handeln zu kommen. Dem kannst Du gerne widersprechen.
Bernhard Winter: Ok, dann nehme ich das zurück. Bei mir ist es so angekommen.
Robin Maitra: Seit dem Bericht des Club of Rome 1972 wird über die Umweltzerstörung geredet und es ist nichts passiert. Erst seit es Fridays For Future gibt, passiert etwas. In dem Moment, wo wir diese Bilder mit der Erde auf der Intensivstation verwendet haben, ist es uns gelungen, tatsächlich eine breiten Diskurs zu erreichen zu dem Thema, so habe ich Katharina verstanden. Und ich glaube, dass wir da als Ärzt*innen auch ganz wichtig sind, einfach weil wir sagen: An dieser Stelle geht‘s um Eure Gesundheit. Natürlich geben wir als Ärzt*innen bei Hitze oder ähnlichem Empfehlungen und können unsere Funktion natürlich ganz stark nutzen und den Leuten deutlich machen, dass das ein gesundheitliches Problem ist. Aber mit diesem Bild haben wir es geschafft, das in die breitere Bevölkerung zu tragen.
Nadja Rakowitz: Meinst Du im Ernst, dass es das Verdienst der Ärzt*innen ist, dass das jetzt so ein Thema ist?
Robin Maitra: Nein, das ist das Verdienst von Fridays For Future und der Klimawandel ist jetzt auch für jeden erfahrbar. Es war in den Jahrzehnten zuvor so, dass Klimawandel irgendeine abgefahrene theoretische Geschichte war. Inzwischen – Stichwort Ahrtal letztes Jahr oder auch die Bilder von den Eisbären auf der schmelzenden Eisscholle – ist das alles sehr viel konkreter und auch dem Letzten klar geworden, dass das Wetter sich ändert. Es ist erfühlbar geworden, dass das Klima sich ändert, und dann kam eben noch dieser Push von Fridays for future. Wir haben dem ganzen auf der ärztlichen Seite noch einen Schub gegeben und tragen das jetzt rein in unsere Organisationen. Solche Ereignisse wie der Deutsche Ärztetag werden schon sehr wahrgenommen. Das ist kein Gamechanger, das glaube ich auch nicht. Aber in unserem Arbeitsbereich, sprich Gesundheit, haben wir eine wichtige Aussage zu treffen, die jeden angeht.
Katharina Thiede: Ich möchte Bernhard noch bei dem Punkt Adaptation und Hitzeberatung widersprechen: Das ist natürlich wunderbar, wenn Du Deine Patient*innen immer schon diesbezüglich beraten hast. Aber ich sehe zwei Unterschiede zu heute. Wie in anderen medizinischen Bereichen auch braucht es hier noch mehr Fachwissen. Da ist der kollegiale Austausch wichtig, aber auch die konkrete Forschungsförderung und solche Dinge. Und das andere ist die Vernetzung mit anderen Akteuren im Gesundheits- und Sozialsektor. Das kann eben nicht auf der Ebene des individuellen Arztes gelöst werden, sondern ist politisch zu verankern bzw. kommunal zu organisieren. Das kann und muss durch die Ärztekammern vorangetrieben werden – aber nicht als einziger Akteur oder Institution. Der andere Punkt ist jetzt ein bisschen provokativ, aber ich würde es gerne mit Euch diskutieren: Du hast gesagt, wir müssten den Patient*innen sagen, dass wir ihnen nicht helfen können werden. Das sagt auch die IPPNW zum Atomkrieg und zu anderen Themen. Ich habe das Gefühl, dass das eine Formulierung aus einer anderen Zeit ist. Einer Zeit, in der wir eine paternalistischere Ärzt*innenrolle hatten. Menschen erwarten nicht von Ärzt*innen, dass diese ihnen helfen können angesichts von Krieg, atomarer Bedrohung oder Klimakrise. Ich glaube, es ist allen klar, dass wir da auch nichts tun können.
Bernhard Winter: Jetzt muss ich Dir widersprechen, weil ich das so nicht gesagt habe. Ich habe davon gesprochen, dass das eine partielle Geschichte ist. Natürlich müssen wir solche Anpassungsleistungen in der Medizin machen und müssen dabei auch unsere Patient*innen unterstützen. Das ist das eine; das andere ist, dass wir keine Illusionen schüren sollten, dass die medizinische Katastrophe – je nach Ausmaß, das ja vollkommen unklar ist, denn wir wissen nicht, was auf die Gesellschaft zukommen wird – beherrschbar wäre, wenn wir nur entsprechende Leistung vollbringen. Hier würde ich ganz klar sagen: Nein, wir können das nur bis zu einem gewissen Grad machen. Und ansonsten wird das soziale Verwerfungen geben und da wird es sehr schwierig für uns alle werden.
Nadja Rakowitz: Ich komme hier noch mal zurück auf das Bild von dem Arzt mit dem Stethoskop, der die Erde rettet. Für mich ist das Bild vom Bildgestus her stockkonservativ. Und es suggeriert genau das: Ärzt*innen können die Erde retten. Ich finde das überhaupt nicht gut. Es suggeriert etwas ganz anderes als das, was Du, Katharina, dazu erklärt hattest. Mir sagt das Bild, dass die Ärzt*innen die zentrale Berufsgruppe sind im Kampf gegen den Klimawandel. Der Halbgott in Weiß ersteht hier wieder auf. Ich halte das für extrem ungeschickt.
Robin Maitra: Wir wollen natürlich nicht die Halbgötter in Weiß wieder auferstehen lassen oder ein paternalistisches Ärzt*innen-Bild zu zeichnen. Noch mal in aller Deutlichkeit: Die Ärzteschaft hat eine gewisse Rolle und wenn sie die übernimmt, kann sie die ganze Problematik in einem guten Sinne befördern. Sie wird keine zentrale Rolle spielen. Wenn man aktuell die Situation verfolgt, dann wirkt alles im Prinzip so beherrschbar und mit diesem Bild von der Erde kann man auf jeden Fall einen Blick auf das Problem lenken. Meines Erachtens ist es wichtig, in Bildern zu arbeiten und Rahmen und Narrative zu schaffen, etwas zu ändern. Dieses Plakative mit dem Stethoskop sollte einfach nur ausdrücken, dass wir erstmal eine Diagnose stellen, dass man den Klimawandel auch als gesundheitliches Problem begreift. Das Bild wurde im Übrigen sehr gut von der Presse aufgegriffen und in die Öffentlichkeit getragen.
Nadja Rakowitz: Manchmal erzählen Bilder etwas anderes, als die diejenigen, die es gemacht haben, intendiert haben. Ich weiß auch nicht, ob ich mich da in einer Mehrheit befinde.
Katharina Thiede: Ich finde es sehr spannend, dass Du das so spiegelst und es ist wertvoll, dass wir in diesen Austausch treten. Das Bild hat eine Doppeldeutigkeit: Zum einen möchte man den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Gesundheit evident machen durch Kittel, Stethoskop und Erdball. Die planetare Krise ist eine Gesundheitskrise. Die andere Botschaft: Die Erde ist eine Patientin, die im Prinzip intensivpflichtig ist und dringend eine umgehende Therapie benötigt. Das habe ich als starkes Bild empfunden, aber nicht in dem Sinne, dass die Ärzt*innen sie jetzt heilen können. Diese Arroganz hätte ich uns so nie zugesprochen. Aber das sind vielleicht auch Altlasten, die man als Ärzt*in mit sich herumträgt. Zu Robin: Ich erlebe es bei Patient*innen oder auch im privaten Umfeld so, dass Unsicherheit ein allgegenwärtiges Gefühl ist und dass sich niemand mehr darauf verlässt, dass Dinge managebar sind. Das hat bei Vielen elementar in der Corona-Pandemie begonnen mit ganz viel Angst um die individuelle Gesundheit und dann verbunden mit Angst um Arbeitsplatz, Sozialleben, Zukunft der Kinder, die volkswirtschaftliche Ebene… Das sind so viele Themenfelder, die alle eher überfordern. Und das erlebe ich genauso in der Klimakrise: Das, was da kommt, ist unglaublich bedrohlich und mit unglaublich viel Unsicherheit verbunden und deswegen entsteht bei vielen ein Gefühl: »Damit kann ich mich überhaupt nicht befassen, weil es mich überfordert«. Was Ähnliches passiert jetzt mit diesem Krieg. Das Gefühl, dass man diese Krisen managen könne, gehört vergangenen Tagen an. Es ist nur noch eine Elite, die an dem Glauben festhält, dass das Leben sicher und managebar sei, die breite Bevölkerung hat das Gefühl schon lange nicht mehr.
Robin Maitra: Wahrscheinlich hängt das auch ein bisschen von der persönlichen Erfahrung ab. Wenn man jetzt diese Kriegssituation nimmt, dann ist das für Viele etwas, was weit weg ist. Das finden zwar alle irgendwie bedrohlich, aber ansonsten läuft das Leben einfach so weiter. Es ist nicht so, dass diese Unsicherheit dazu führt, dass die Leute massenhaft auf die Straße gehen oder sonst irgendwas machen. Man lässt die Regierenden machen und dabei werden Positionen bezogen, die bisher undenkbar waren. Vielleicht ist das auch ein großer Unterschied zwischen Berlin, wo Du lebst, Katharina, und hier auf dem flachen Land in Baden-Württemberg. Hier haben die meisten Leute schon ein Sicherheitsgefühl.
Bernhard Winter: Ich erlebe das auch als ein sehr schichtgebundenes Phänomen. Es sind eher Menschen aus der Mittelschicht, die jetzt die Sicherheit verlieren. Wenn ich mich bei uns in der Praxis mit unseren Mitarbeiter*innen unterhalte, die schon zweimal in ihrem Leben migrieren mussten, dann haben die dazu ein ganz anderes Verhältnis als ich. Das ist ein wichtiger Unterschied. In meinen Kreisen ist das schon so, dass man das Gefühl hat, man verliert eine Sicherheit, die man früher vorausgesetzt hat. Manchmal scheint es inzwischen so, als ob es bezüglich des Themas Klimawandel eine Einigkeit von konservativen und fortschrittlichen Ärzt*innen gibt. Ist das gut, oder sollte uns diese Allianz als oppositionelle Ärzt*innen stutzig machen? Ist sie ein Indiz dafür, dass die Forderungen aus den Reihen der oppositionellen / linken Ärzt*innen ihren kritischen Stachel verloren haben?
Katharina Thiede: Wir sind uns als konservative und nicht-konservative Ärzt*innen auch einig bei dem Problem der Antibiotika-Resistenzen. Wir sollten diese ganze Diskussion eher als Fachfrage begreifen, als Teil unserer Professionalität und da unterscheiden wir uns ja auch nicht entlang der politischen Lager.
Robin Maitra: Aber die Klimafrage ist eine zutiefst politische Frage. Da geht es um Wasserverteilung und ähnliches. Es ist eher so, dass der Klimaschutz als solches der geringste Nenner über alle politischen Lager hinweg ist und die politische Lager übergreifend Thema sein kann. Zur Frage, ob uns diese Allianz stutzig machen sollte: Wir sollten sie einfach nutzen, d.h., wir arbeiten in dem Zusammenhang ganz zielorientiert auch mit Leuten zusammen, mit denen wir sonst nicht unbedingt zusammenarbeiten würden. Ich erlebe das auch in den Gremien in Baden-Württemberg; diejenigen, die das Thema vorantreiben wollen, werden von den anderen wahrgenommen als jemand, mit dem man zu dem Thema arbeiten kann.
Bernhard Winter: Ich bin beim 125. Ärztetag aus der Szene mit dem Ballon, der da hochgehalten wurde, ganz bewusst weggegangen, als ein Ärztekammer-Präsident dazu kam, der vorher in sehr manipulativer Weise das Tempolimit gekippt hat. Ich bin mir nicht so sicher, welche Rolle wir da wir da im Moment spielen. In Hessen wollen die Kolleg*innen, die die Kammerarbeit dominieren, in der Kammer dazu selbst nicht arbeiten und sind wenig engagiert. Aber natürlich wollen sie Ideen abschöpfen und nach außen plakatieren. Wenn man die auf ihre weitergehenden Vorschläge abklopft, kommt da nicht viel. Die müssen ja im Moment alle Grün sein oder sich ein grünes Mäntelchen umhängen, weil die Faktenlage nun so ist. Aber wie weit sie weitere Wege mitgehen wollen oder das nur vor sich hintragen wollen als Monstranz, muss man sehen.
Katharina Thiede: Ich weiß nicht, ob es uns oder dem Thema etwas nutzt, das wird man ganz am Schluss erst sehen, aber es gibt keine Alternative zum Zusammenarbeiten auch mit Konservativen. Man würde ja schlechterdings nicht in die Opposition dazu gehen. Sondern eigentlich muss man sich über alles freuen, was passiert und sagen: Und jetzt noch ein bisschen weiter, und noch mal ein bisschen weiter etc. Je länger man diese grundsätzliche Diskussion darüber führt, wie der Zusammenhang ist, umso weniger können sich nachher auch Konservative den für viele schmerzhaften Handlungsnotwendigkeiten entziehen. Es gehört zu unserem professionellen Handeln, auf Klimaschutz hinzuwirken unter Präprimärpräventionsaspekten, und es gehört zu unserer Professionalität, Adaptation zu betreiben. Und dann werden irgendwann auch die Konservativen Dinge entscheiden müssen, die ihrer gewohnten Lebensweise widersprechen. Es ist eine große Chance, dass wir uns erst mal bei den Fakten einig sind, auch wenn wir uns in den Konsequenzen noch unterscheiden werden.
Robin Maitra: Vor fünf Jahren galten wir noch als Spinner und jetzt ist das Thema durch. Wir müssen uns Stück für Stück weiter damit beschäftigen und dabei natürlich auch Koalitionen eingehen. Ich hätte mich beim Ärztetag auch neben einen Idioten gestellt, der gegen das Tempolimit wettert, weil ich den an einer anderen Stelle habe. Mit dieser Beharrlichkeit ist es uns gelungen, in diese Institution rein zu kommen. Aber wirklich nur mit klebrigster Beharrlichkeit sind wir nach 20 Jahren Vorarbeit mit unserer Gruppe im Verwaltungsrat der Versorgungsanstalt angekommen und können uns jetzt konkret in Sachen Divestment aufmachen. Da hat man auch sicherlich manche Kröte schlucken müssen. Wir hätten den Klima-Ärztetag nicht bekommen, wenn wir uns nicht mit manchen unangenehmen Leuten zusammengesetzt und diese auf unsere Seite gezogen hätten. Da wo die Leute in Sachen Klima zumindest auch unsere Position vertreten, habe ich gar keine Schwierigkeiten, Kompromisse einzugehen. Wir kommen ohne Koalition nicht weiter.
Bernhard Winter: Aber die Frage ist dann: Was ist unsere Position? Schwierig wird es immer, wenn es etwas kostet. Was medizinisch das Vernünftigste wäre im Autoverkehr – nämlich ein Tempolimit auf der Autobahn von 100 km/h, auf der Landstraßen 80 km/h –, davon sind wir meilenweit entfernt. Und inzwischen formulieren wir das auch gar nicht mehr so. Man kann miteinander reden und auch temporär Bündnisse eingehen, das kann man alles machen, aber unsere Zielvorstellung werden häufig nicht mehr formuliert, obwohl wir sie gut begründen können. In Hessen hätte ich keine Chance mit dieser Forderung; damit bin ich schon oft genug untergegangen. Auf dem Ärztetag haben sie die Forderung nach der Annahme der WHO-Kriterien für die Luftverschmutzung angenommen. Aber das kostet sie natürlich nichts. Ich finde es gut, dass der Antrag gestellt wurde und noch besser, dass er durchkam, aber das ist immer das alte Spiel. Ich denke, das wäre schon unsere Aufgabe, das dann auch zu benennen.
Katharina Thiede: Ich verstehe Deine Unzufriedenheit bei der Tempolimitfrage, aber in die Öffentlichkeit wirkt doch vielmehr hinein, dass sich der Deutsche Ärztetag im zweiten Jahr in Folge für ein Tempolimit ausgesprochen hat. Wir haben einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass es ein Tempolimit braucht, und der Präsident der Bundesärztekammer hat mit großer Klarheit anmoderiert, dass es selbstverständlich sei, dass wir alle dafür sind. Das ist viel wichtiger als die Diskussion über 120 oder 130 km/h. Jetzt noch mal eine grundsätzliche Frage. In den meisten Analysen und Politikvorschlägen aus dem ärztlichen Umfeld in Deutschland findet man keine Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Produktionsweise und deren immanentem Zwang zum Wirtschaftswachstum, der die Klimakrise entscheidend befördert. Ist das eine Taktik? Ist es strategisch klug, sich ganz auf das eigene berufliche Umfeld zu konzentrieren, oder gehören größere gesellschaftliche Zusammenhänge in den Vordergrund und müsste man dann nicht über Kapitalismus und auch darüber reden, wie und warum die Krankenhäuser dermaßen kapitalistischen Zwängen unterworfen wurden?
Bernhard Winter: Die Frage hat auch einen empirischen Hintergrund. Ich hatte einige Diskussionen mit medizinischen Umweltaktivist*innen, in denen dieses Thema ganz konsequent ausgespart wurde und wo auch gesagt wurde, dass man das aussparen wolle, weil das eigentlich eher ein ökonomisches Thema sei. Das lässt bei mir dann schon die Alarmglocken klingeln. Mir ist wichtig, das Ganze zu sehen und man kann mal schauen, was diese Wachstumstreiber im Gesundheitswesen so anrichten und ob man sich damit mal offensiver auseinandersetzt. Das wäre zum Beispiel ein ganz wichtiges Thema. Ich hatte große Hoffnungen gesetzt auf Choosing wisely, bin aber bitter enttäuscht. Wenn ich mein Fachgebiet anschaue, dann da kommt nichts bei rum, das ist unbedeutend für meine tägliche Praxis. Trotzdem erlebe ich wöchentlich die Situation – das ist mein Lieblingsbeispiel, aber es ist leider so –, dass Patient*innen kommen mit einem CT und MRT und mir sagen: Sie sind der erste Doktor, der mir mal auf den Bauch greift. Wie wir damit umgehen und wie wir daraus, aus einer Wachstumskritik eine andere Medizin oder eine andere Vorstellung von Medizin kreieren, das wäre wichtig.
Robin Maitra: Diese Frage nach Wirtschaftswachstum ist eine entscheidende Frage. Aber ich erhoffe mir im Moment viel eher, dass mit der Klimafrage auch Fragen z.B. von Flucht und Vertreibung, Fragen von Globalisierung und so weiter mitbetrachtet werden. Das gemeinsame Moment dieser ganzen »Klimabewegung«, die aus ganz vielen gesellschaftlichen Bereichen kommt, ist eben nicht, dass sie Linke sind. Die meisten bei den ganz tollen Fridays-for-Future-Leuten sind das nicht. Die würden nicht 10% unserer Positionen unterschreiben. Unser Part an der Stelle ist, dass wir diese Bewegung ein bisschen in unsere Richtung bewegen, sofern das in unserer Macht liegt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir da mit unseren linken Standpunkten dabei sind. Klima ist nur ein Punkt, aber an dem kann man jetzt nicht eine gesellschaftlich progressive Bewegung aufhängen.
Nadja Rakowitz: Dieses Klima-Problem ist doch so ernst, dass man auch wissen muss, auf welchen Gegner man sich einlässt und was eigentlich die Größe des Problems ist. Wenn man das Problem nicht richtig erkennt, dann hat man auch nicht die richtigen Lösungen. Diese »Lösungen« müssen Große sein, das Klima-Problem wird sich nur weltweit lösen lassen. Das werden wir nicht in Deutschland lösen. Es wird sich nur lösen lassen, wenn wir wegkommen davon, in dieser Weise Ausbeutung an Erde und Mensch zu betreiben. Wir müssen nach den Gründen für diesen Raubbau fragen. Ob wir Linke sind oder nicht, wir müssen uns diesen Gründen stellen. Mit dem Glauben an einen Green New Deal, an einen grünen Kapitalismus oder an technologische Lösungen des Klimaproblems, schürt man meines Erachtens Illusionen, mit denen man sich politisch verzettelt und durch die man letztlich noch mehr Zeit verliert, von der wir in bei dieser dramatischen Problemlage nicht so viel haben. Deshalb beharre ich so auf dieser Frage.
Katharina Thiede: Ok. Die Frage ist völlig zu Recht, ob wir bezüglich der Klimakrise eine grundsätzliche Veränderung herbeiführen müssen. Ich glaube aber – und hier würde ich Robin widersprechen –, dass es eine Riesenchance ist, dass in der Gemeinsamkeit der Bearbeitung der Klimakrise konservative, liberale und linke Menschen zusammenkommen, weil die Bearbeitung der Klimakrise darin münden muss, ganz grundsätzliche sowohl eine Transformation im Gesundheitssektor anzustreben wie auch in anderen Feldern unserer Gesellschaft. Die Riesenschere zwischen Arm und Reich, der grässliche Wachstumsglaube, natürlich müssen wir das ändern. Natürlich müssen wir das bremsen, die globale Ungerechtigkeit, den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit, die Tatsache, dass Menschen aus einem armutsgefährdeten Umfeld viel stärker unter den Klimakrise leiden.
Robin Maitra: Aber das siehst Du so; sag das mal den Leuten von FFF, die sehen das nicht so.
Katharina Thiede: Das wird schon noch ankommen. Das dauert dann eben ein bisschen länger. Es dauert bei Vielen ein bisschen länger, um zu verstehen, was wir ändern müssen, wenn wir uns dem Problem ernsthaft zuwenden wollen. Natürlich brauchen wir im Gesundheitswesen eine grundlegende Veränderung von dieser Rechtfertigungs-, von dieser Absicherungsmedizin, die zu einem wahnsinnigen Zuviel an Diagnostik führt, was wir ganz oft nicht deswegen machen, weil wir die bestmögliche Medizin machen wollen, sondern weil wir den Menschen die maximale Sicherheit geben wollen. Da sind wir bei dem Punkt von vorhin, dass wir alles managen und regeln wollen. Man möchte keine Unsicherheit über möglicherweise seltene, im Raum stehende Diagnosen bestehen lassen. Natürlich brauchen wir grundsätzliche Änderungen, aber nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit oder der CO2-Reduktion im Gesundheitswesen, sondern das fordern die Patient*innen auch ein: Die Menschen haben das Gefühl, mit ihnen wird nicht gesprochen, sie werden abgefertigt, die Sektorengrenzen usw… Beides geht zusammen: wir wissen, aktive Mobilität und Fleischverzicht sind gut für die Gesundheit und den Planeten. Viele Dinge, die wir tun müssen für ein nachhaltigeres Gesundheitswesen werden mit einer besseren Patient*innenversorgung einhergehen. Oder andersherum: Eine bessere Patient*innenversorgung wird dazu führen, dass wir unsere Medizin an vielen Stellen grundsätzlich ändern müssen zu einem nachhaltigeren Gesundheitswesen. Das ist eine Transformation an vielen Stellen. Diese Verknüpfung sorgt ja auch dafür, dass man eben Koalitionen mit Akteur*innen findet, die vielleicht das Klimathema gar nicht ganz vorne stehen haben, sondern sich mit der Kommerzialisierungskritik befassen oder mit den unglaublich schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, vor allem in der Pflege. Ich glaube schon, dass das dazu führen kann, dass wir in den unterschiedlichsten Feldern andere Handlungsallianzen bilden.
Bernhard Winter: Auf dem 125. Ärztetag war Professor Gabrysch die einzige, die in einem Nebensatz auf die schweren Kämpfe verwiesen hat, die uns bevorstehen und was das bedeutet. Das hat sonst kein*e Referent*in gemacht. Das finde ich schon merkwürdig, dass da nichts von der Schärfe des Problems rüberkommt.
Robin Maitra: Natürlich ist es schön, wenn die Leute hinterher über diese Diskurse dazu kommen, linke Position einzunehmen, aber der Deutsche Ärztetag ist bekanntermaßen nicht das Forum, wo linke Position gesetzt werden.
Nadja Rakowitz: Vielen Dank für die Diskussion, die wir sicher fortsetzen müssen.
Robin Maitra ist hausärztlicher Internist und vdää*-Mitglied aus der Region Stuttgart, Mitglied im Vorstand und Klimaschutzbeauftragter der LÄK Baden-Württemberg, er ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Sektion der IPPNW, Abgeordneter beim Deutschen Ärztetag und Mitglied der Arbeitsgruppe Klimawandel der BÄK; Katharina Thiede ist angestellte Allgemeinmedizinerin, Sprecherin der FrAktion Gesundheit in der Ärztekammer Berlin und lebt und arbeitet in Berlin; Bernhard Winter ist Niedergelassener Gastroenterologe in Offenbach, Co-Vorsitzender des vdää*, Delegierter der ldää Hessen.
(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Klima. Wandel. Zukunft?, Nr. 2, Juni 2022)