GbP 1-2021 Rakowitz Filmempfehlung

»Pride«

Praktische Solidarität zwischen Gewerkschafter*innen, Schwulen und Lesben – und eine wahre Geschichte aus Thatchers Zeiten

Motivierende, gute und witzige Kinofilme über gewerkschaftliche Organisierung haben keine Tradition in Deutschland. Die sucht man besser in Großbritannien. Sehenswert immer noch sicher Ken Loachs »Bread and Roses« von 2000. Eine fiktive Geschichte über ein gewerkschaftliches Organizing-Projekt mit illegalisierten Putzfrauen in den USA angelehnt an die »Justice for Janitors«-Kampagne der US-Gewerkschaft SEIU.

2010 erzählte der britische Film: »Made in Dagenham« von Nigel Cole, der in Deutschland unter dem blöden Titel »We Want Sex« lief, vom Kampf der Näherinnen bei Ford in Dagenham in den 1960er Jahren um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, der in eine politische Initiative für gleichen Lohn für Männer und Frauen mündete. Witzig und ernsthaft zugleich zeigt er die Auf’s und Ab’s dieser Auseinandersetzung, die Emanzipationsprozesse von Frauen und Männern und die Widersprüche in den sozialen Verhältnissen und in der Gewerkschaft. Ein oft gezeigter Film in Gewerkschaftsseminaren – und eine wahre Geschichte.

Genauso wie die Geschichte, die Matthew Warchus in seinem Film »Pride« von 2014 erzählt. Der Plot spielt im Jahr 1984/85. Er beginnt und endet jeweils mit der Lesbian and Gay Pride Parade 1984 und 1985 in London. Dazwischen fand einer der längsten und heftigsten Streiks in Großbritannien statt, der legendäre Streik der Bergarbeiter. Der Film handelt von Solidarität zwischen Lesben / Schwulen und Bergarbeitern und ihren Familien: Zu Beginn gründet sich die Gruppe »Lesbians and Gays Support the Miners« (LGSM)1, weil deren Aktivist*innen feststellen, dass die Bergarbeiter denselben Schikanen und Repressionen ausgesetzt sind wie die Homosexuellen im Jahr 1984 in Großbritannien: Sie werden angegriffen von der »Polizei, den Medien und vom Staat«, so Marc Ashton, der Initiator des Ganzen. LGSM beginnen, Geld zu sammeln und – mühsam – Bergarbeiter zu suchen, die ihr Geld auch wollen. Dabei erweist sich, dass die Gemeinsamkeiten zwar da, aber die Fremdheiten auch groß sind. Eine großartige Szene, als der Gewerkschafter Dai Donovan aus Dulais in South Wales die LGSM-Aktivist*innen zum ersten Mal trifft und erst jetzt erfährt, was die Abkürzung bedeutet: »Ihr seid die ersten Schwulen, die ich kennenlerne«. Darauf Mark Ashton: »Und Du bist der erste Bergarbeiter, den wir kennenlernen...« Damit sind die beiderseitigen Fremdheiten und zugleich die erste Gemeinsamkeit benannt.

Während des ganzen Films ist keineswegs klar, welche der beiden Seiten bornierter und welche emanzipierter ist. Wie souverän und problemlos man mit dem Schwulsein umgehen kann, zeigt die Szene zwischen dem älteren Bergarbeiter Cliff und Hefina, der Frau eines Kollegen. Cliff gesteht ihr beim Broteschmieren, dass er schwul ist. Sie antwortet: »Ich weiß«, und er fragt sie erstaunt, seit wann sie es wisse: »Seit die Schwulen hier angekommen sind?«, »Nein, seit 1968«. Und damit endet der Dialog. Was sollte dazu auch mehr zu sagen sein?

Es bewegt sich im Laufe des Films auf beiden Seiten viel – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn beim ersten Besuch der LGSM in Dullay Valley treffen massive Vorurteile aufeinander. Das Eis auf Seite der walisischen Bergarbeiter und ihrer Frauen bricht, als einer der LGSM – als erster Mann auf dieser walisischen Tanzfläche – die Bergarbeiterfrauen mit Discotanz beglückt (»God, I miss disco« – er spricht mir aus dem Herzen). Aber keine Angst. Das ist nicht Saturday Night Fever für Linke und Gewerkschafter*innen. Nachdem sich erste Freundschaften bilden und verschiedene andere Handlungsstränge (AIDS, Streit unter den LGSM um eine exklusive Frauengruppe »Lesben gegen Grubenschließungen«, Schwierigkeiten des Coming out in einer stockkonservativen Spießerfamilie etc.) aufgemacht werden, kippt die Stimmung, als der Streik und die Repression der Regierung Thatcher immer härter werden und eine Hetzkampagne der Presse, lanciert von einer homophoben Bergarbeiterfrau, die Solidarität auf eine harte Probe stellt.

Die LGSM, erprobt im Umgang mit Verleumdung, Denunziation und Schmähungen, wissen sich gegen die »Perverts support the Pits!«-Kampagne der britischen Boulevardpresse und des Klassengegners kreativ zur Wehr zu setzen: Sie eignen sich die Schmähparole an und veranstalten (das alles ist wahre Geschichte!2) im Dezember 1984 unter dem Titel »Pits and Perverts« ein Benefiz-Konzert im Electric Ballroom im Londoner Stadtteil Camden – mit Bronski Beat als Top Act und sicher zum ersten Mal einer Masse Bergarbeiter und Bergarbeiterfrauen im Publikum. Bei einer improvisierten Pressekonferenz fragt einer der Journalisten: »Warum sollen Schwule wie ich Bergarbeiter unterstützen?« Antwort eines der Organisator*innen: »Bergarbeiter bauen Kohle ab, aus der Strom gemacht wird, und ohne Strom könnten Schwule wie Du nicht bis in die Puppen zu Bananarama tanzen.« Noch Fragen?

Am Ende des Pits- und Perverts-Benefizballs wurden sage und schreibe 5.650 Pfund für die streikenden Bergarbeiter von Dulais gesammelt. Der Streik endet im Film wie in der Wirklichkeit mit einer großen Niederlage der Bergarbeiter und mit dem politischen Niedergang der Gay Pride Bewegung. Aber die Geschichte der Solidarität zwischen den Bergarbeitern und den Schwulen und Lesben bleibt ein Sieg der Emanzipationsbewegung bis in die heutigen Tage, in denen die Arbeiter*innen in Großbritannien die Solidarität von vielen bitter nötig haben. Dass am Ende des Films auch noch Billy Bragg »There is Power in the Union« singen darf, ist wunderbar und er hat dazu auch allen Grund; den verraten wir hier aber nicht. Schaut Euch den Film an, einer der schönsten Gewerkschaftsfilme ever.

Nadja Rakowitz

1    Die Gruppe gibt es immer noch: http://lgsm.org/

2    Wer sich die Originalszenen anschauen will, möge auf youtube suchen nach »All Out! Dancing in Dulais«, in: https://www.youtube.com/watch?v=lHJhbwEcgrA

(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Gewerkschaftliche Organisation im Gesundheitswesen, Nr. 1, März 2021)


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