GbP 1-2021 Editorial

Editorial

Streiks in Kliniken? Gibt es das überhaupt? Und ist das möglich, ohne Patient*innen zu gefährden? Auch wenn Beschäftigte im Gesundheitswesen nicht zu den streikaffinsten und am besten gewerkschaftlich vernetzten Berufsgruppen gehören, hat sich doch in den letzten Jahren einiges getan. So machten zum Beispiel der Streik der Pflegekräfte an der Charité Berlin 2015 sowie die wochenlangen Streiks an den Universitätskliniken Düsseldorf und Essen bundesweit Schlagzeilen und erzielten nicht zu vernachlässigende Er-folge. In immer mehr Städten bilden sich Pflegebündnisse, die sich für mehr Personal in den Kliniken und bessere Arbeitsbedingungen einsetzten. Nach den Volksbegehren in Berlin, Hamburg, Bremen und Bayern gibt es aktuell eine ähnliche Volksinitiative »Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!«.

Diese Ausgabe der Gesundheit braucht Politik widmet sich vor allem der Arbeit der Gewerkschaften im Gesundheitssektor. Es werden historische Hintergründe gewerkschaftlicher Arbeit gegeben, aktuelle Entwicklungen besprochen, sowie Beispiele von konkreten Aktionen in jüngster Vergangenheit vorgestellt. Udo Schagen leitet die Ausgabe mit einem Blick in die Vergangenheit ein und erläutert die Historie des »Bundes gewerkschaftlicher Ärzte« in der ÖTV. In einer Verschriftlichung eines Podcast spricht Michael Quetting, ver.di-Sekretär und Pflegebeauftragter der von Rheinland-Pfalz und dem Saarland, über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Gewerkschaften und ihrer Rolle in der Pflege. Nadja Rakowitz legt im Folgenden die Geschichte der Trennung von ver.di und dem Marburger Bund, der wohl bekanntesten Vertretung für Ärtz*innen, in der gewerkschaftlichen Repräsentation der ärztlichen Berufsgruppe dar. Peter Hoffmann erläutert in einem persönlichen Text, warum es sich auch für Ärzt*innen lohnen würde, sich besser gewerkschaftlich zu organisieren und warum seiner Ansicht nach ver.di dabei die richtige Wahl ist. Es folgt eine kurze Vorstellung der Fachkommission Ärzte und Ärztinnen in ver.di.

Es schließt sich ein Text an zur Frage der gewerkschaftlichen Aufwertung von Care Arbeit und inwiefern Streiks als Chance für Emanzipation genutzt werden können. Ein Erfahrungsbericht von Thomas Zmrzly über den Streik an der Uniklinik Düsseldorf 2018 gibt beispielhaft einen wertvollen Einblick in derzeitige Protestaktionen. Kalle Kunkel diskutiert in seinem Text, was linke Gewerkschaftspolitik im Gesundheitssektor bedeutet und was für Konsequenzen daraus gezogen werden müssten.

Bernd Landsiedel wagt einen Blick über die Landesgrenzen hinaus und schreibt über einen Streik in einem öffentlichen Krankenhaus in Paris im Jahr 2019,der  sich durch die Neu und Besonderheit des sogenannten »Kodierstreiks« auszeichnet hat. Das Heft schließt mit der Rezension von »Pride«, ein Kinofilm über praktische Solidarität zwischen Lesben / Schwulen und Bergarbeitern und ihren Familien im England der 80er Jahre.

Die vielschichtigen Texte und Einblicke dieser Ausgabe zeigen, wie wichtig gewerkschaftliche Organisierung ist – auch und vor allem im Gesundheitswesen. Es wird klar, dass Gewerkschaften und die Vernetzung zu ökonomisierungskritischen und solidarischen Gruppierungen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen aber auch die Verbesserung der Patient*innenbehandlung im Gesundheitssektor unabdingbar sind. Doch trotz aller Erfolge der letzten Jahre ist die  gewerkschaftliche Arbeit noch lange nicht an ihrem Zenit angekommen und wird sich noch weiter ausbauen müssen. Zudem wird sich auch zeigen, ob sich in Zukunft auch eine stärkere gewerkschaftliche Repräsentation des ambulanten Sektors im Gesundheitswesen (Beschäftigte in MVZ, in der ambulanten Pflege, in der persönlichen Assistenz etc.), von Alten- und Pflegeheimen sowie von migrantischen Arbeitnehmer*innen erreichen lässt.

Auf Seite 21 haben wir einen Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt vom 4. April 1986 über die Gründung des vdää mit dem Titel »Die Umstürzler organisieren sich« nachgedruckt, in dem auch das Verhältnis des vdää zu ÖTV und mb Thema ist. Am Ende wird dort der erste Vorsitzende, Winfried Beck folgendermaßen zitiert: »Eine unserer Aufgaben wird es sein, gesundheitspolitische Utopien zu entwerfen«. Wir wollen mit dem Gesundheitspolitischen Forum diesen Faden aufnehmen und uns mit dem Thema (Arbeitstitel): »Ein anderes Gesundheitssystem ist möglich und nötig: Entprivatisierung, Demokratisierung, Vergesellschaftung« beschäftigen.

Solidarische Grüße und viel Spaß beim Lesen,

Rafaela Voss

(Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Gewerkschaftliche Organisation im Gesundheitswesen, Nr. 1, März 2021)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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