GbP 4-2020 Editorial

Editorial

Die letzte Ausgabe des Jahres der Gesundheit braucht Politik blickt traditionell auf die im Herbst stattfindende Jahreshauptversammlung zurück. Dieses Jahr stand sie unter dem Motto »Soziale Determinanten von Gesundheit in Zeiten der Krise«. Dieser Titel kann auf zwei Weisen verstanden werden: Zum einem wird die Rolle von sozialen Determinanten in einer Gesundheitskrise wie der Covid-19-Pandemie besonders deutlich, zum anderen steckt auch das Konzept der ­sozialen Determinanten selbst in der Krise. Denn soziale Determinanten sind zwar mittlerweile schon vielen im Gesundheitsbereich Tätigen ein Begriff und der Einfluss von Faktoren wie Armut, Arbeitsbedingungen, Wohnverhältnissen, Geschlecht oder Migrationsgeschichte auf die Gesundheit überrascht heutzutage nur noch die wenigsten. Jedoch müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssten und welche tatsächlich (nicht) gezogen werden.

Wir wollen diese Ausgabe und eine der nächsten in 2021 dem Thema widmen. Schwerpunkt des hier vorliegenden Hefts ist zunächst der Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und Gesundheit. Weiterführend zu den zahlreichen interessanten Einblicken zu sozialen Einflüssen auf Gesundheit in dieser Ausgabe, möchten wir für das nächste Jahr ein Heft mit Schwerpunkt für grundsätzlichere Fragen zu sozialen Determinanten und verschiedenen Sozialtheorien ankündigen. Des Weiteren wird es im kommenden Jahr auch eine Sonderausgabe zur Covid-19-Pandemie geben, die explizit und dezidiert den Umgang und die Auswirkungen der Corona-Krise thematisiert.

Trotz der wegweisenden Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit der letzten Jahre und Jahrzehnte fehlen größtenteils politische Reaktionen, und der nötige radikale Umschwung im Denken und Handeln der Entscheidungsträger*innen bleibt weiterhin aus. Dies wird auch von vielen Verfasser*innen der Beiträge dieses Hefts, die zum Teil auch bei der JHV referiert haben, immer wieder kritisiert. Ben Wachtler erläutert zu Beginn der Ausgabe die Hintergründe des Konzepts der sozialen Determinanten von Gesundheit sowie dessen politischer Umsetzung, wobei er insbesondere die Situation in Großbritannien genauer unter die Lupe nimmt. Martin Kronauer folgt mit einem Überblick über Armut in Deutschland und dem Wandel von deren gesellschaftspolitischer Einordnung. Tobias Hofmann analysiert die Rolle von Patient*innen in einem neoliberal geprägten Gesundheitssystem und die damit einhergehenden Folgen für Patient*innen sowie die Behandelnden.

In einer Mindmap der Kritischen Medizin Freiburg werden verschiedene Aspekte zu Zusammenhängen zwischen sozialen Determinanten von Gesundheit und der Covid-19-Pandemie dargestellt. Jakob Zschiesche beschreibt die Einflüsse von Wohnungs- und Obdachlosigkeit auf Gesundheit, unterstreicht die besonders gesundheitsschädliche Rolle der Ausgrenzung und Diskriminierung gegenüber Menschen ohne Obdach und stellt zuletzt Forderungen an die Politik, um die Situation von wohnungs- und obdachlosen Menschen in Deutschland zu verbessern. Eine weitere Perspektive zu sozialen Determinanten nimmt Claudia Jenkes ein, die Armut und Antibiotikaresistenzen im Kontext von Mensch, Tier und Umwelt auf den Grund geht.

In einem Interview erläutert Ben Wachtler die progressiven sozialmedizinischen Thesen von Richard Wilkinson und Kate Pickett, die unter anderem besagen, dass nicht nur der soziale Status des Individuums selbst sondern auch die Ungleichheit in der Gesellschaft Einfluss auf Endpunkte wie Gesundheit, Lebenserwartung und Kriminalität haben. Das vorläufige Positionspapier des Arbeitskreises Knastmedizin des vdää hinterfragt die Standards und Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung von inhaftierten Menschen in Deutschland und stellt Forderungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung und Abmilderung der krankmachenden Rahmenbedingungen. Es schließt sich ein kurzer Bericht zur diesjährigen Jahreshauptversammlung des vdää an. Bernhard Winter schließt diese Ausgabe mit einer Rezension des Buchs von Bernd-Peter Lange: »Georg Benjamin: Ein bürgerlicher Revolutionär im roten Wedding«, welches die Geschichte des Berliner Arztes und Widerstandskämpfers beleuchtet.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen und einen guten Start in 2021!


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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