GbP 3-2020 Kunkel

Stumpf ist Trumpf

Thomas Kunkel über die Gesundheitspolitik der AFD

Mit der AFD ist eine Rechte Partei im Bundestag und inzwischen in vielen Landtagen institutionell in der Politik angekommen. Thomas Kunkel hat sich die Gesundheitspolitik der AFD aber auch andere Positionen von ihr genauer angeschaut: Sie lässt kaum eine Gelegenheit aus, Rassismus als Leitmotiv, Begründung oder Rechtfertigung ins Zentrum ihrer Gesetzentwürfe zu stellen, andererseits erweist sie sich bei ihren Abstimmungen als ganz traditionelle konservative-liberale Partei. Was die Lage nicht besser macht.

Seit der Bundestagswahl 2017 sitzt die AFD mit 12,6% der Wähler*innenstimmen im Bundestag. Mit 89 Abgeordneten ist sie nach den beiden Regierungsparteien die größte Fraktion. Von der überheblichen Rhetorik, man werde alles ganz anders als »die Altparteien« machen, ist schnell nicht mehr viel übrig geblieben. Außer der regelmäßigen Provokation von Ordnungsrufen im Plenarsaal durch einzelne Abgeordnete wie insbesondere Stephan Brandner und gelegentlichen Personalrochaden wegen des parteiinternen Flügelkampfes betreibt die AFD Fraktion konventionelle Parlaments- und Fraktionsarbeit.

  Der anfänglichen Zuspitzung aller Debatten auf die Kernthemen der Partei – Rassismus, Islamophobie, Sexismus – folgte im Laufe der Zeit eine inhaltliche Verbreiterung und mehr oder weniger konstruktive Mitarbeit in Gremien und Ausschüssen. Dies gilt auch für die Gesundheitspolitik der Partei. Von Alexander Gaulands an die »Altparteien« gerichtetes, einen Ticken zu großspurig am Wahlabend herausposauntes: »Wir werden sie jagen«, ist nicht viel übrig geblieben. Die AFD erweist sich auch in ihrem Abstimmungsverhalten als eine angepasste und konventionelle Partei, wie eine aktuelle Studie der Rosa Luxemburg Stiftung zeigt. »Jetzt weiß man also, dass diese Jagd in mehr als der Hälfte der untersuchten Fälle damit endet, dass Gaulands AfD exakt so abstimmt wie Merkels Union oder auch Christian Lindners FDP«, resümierte die Süddeutsche Zeitung süffisant.1

Strategie der AFD Gesundheitspolitik

Um es kurz zu machen: Bei aller Betriebsamkeit der Fraktion ist hier keine klare Strategie zu erkennen. Vielmehr bedient sich die AFD bei gesundheitspolitischen Positionen anderer Parteien.

Der gesundheitspolitische Arbeitskreis der AFD besteht zwar aus Männern, die gesundheitspolitisch keine bzw. so gut wie keine relevanten Kenntnisse oder Kompetenzen vorweisen, äußert sich jedoch rege zu einer Vielzahl von Themenbereichen, u.a. Organspende, Krankenhauspolitik, Arzneimittelzulassungen usw. Dass fast alle Mitglieder des AK zuvor in anderen Parteien, CDU, CSU und FDP, tätig waren, erklärt die zusammengewürfelt erscheinenden gesund­heitspolitischen Positionen und Themen der Partei. Diese wurden anfangs in der sogenannten »Berliner Erklärung« festgehalten, die weniger eine konsistente gesundheitspolitische Strategie und Lösungsvorschläge für die brennendsten Probleme enthält, sondern vielmehr punktuelle Maßnahmen an Leitmotiven der Partei ausrichtet, wie etwa die an erster Stelle genannte »nationale Souveränität« der gesundheitspolitischen Gesetzgebung.2 Wie in den anderen Politikfeldern auch lässt die AFD kaum eine Gelegenheit aus, den Rassismus als Leitmotiv, Begründung oder Rechtfertigung ihrer Gesetzentwürfe in das Zentrum der politischen Kommunikation zu stellen.

Rassismus als Leitmotiv fast aller Politikfelder der AFD

So geriert sich die Partei in der aktuellen globalen Debatte zum Thema Rassismus zuvorderst besorgt um den »Schutz der weißen Minderheit« in Afrika.3 Im Antrag »Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit mit der Republik Südafrika« wird eine angeblich systematische und staatlich geduldete Gewalt gegen Weiße herbeigelogen.

Auch in der Diskussion um das Thema Kolonialismus hatte die AFD sich gegen eine Rückgabe von sogenanntem »Sammlungsgut aus kolonialem Kontext« – auf Deutsch: Raubgut – ausgesprochen und sich gegen jegliche Wertung, »die deutsche Kolonialzeit einseitig als Unrecht oder verbrecherisch zu klassifizieren«, verwahrt.4

AFD und Hanau

Besonders abstoßend war die Reaktion der Partei auf den rassistischen Anschlag in Hanau im vergangenen Jahr. Die Tat wurde – im Übrigen nicht nur von der AFD – als Ausdruck einer psychiatrischen Grunderkrankung (v)erklärt und sehr bemüht entpolitisiert. Einer der Gründe hierfür war eine Abwehrreaktion auf die vom demokratischen Teil der Leitmedien und Öffentlichkeit gestellte Frage, inwiefern der von der AFD maßgeblich vorangetriebene Rassismus und die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas mit einer Tat wie in Hanau, in Halle oder dem Mord an Walter Lübcke in Zusammenhang stehen. Die AFD fiel in ihre gewohnte Opferrolle zurück und rechtfertigte den der Tat zugrundeliegenden Rassismus in derselben Logik wie der Täter als »Abwehrreaktion«. Worte der Anteilnahme, Bestürzung oder jegliche Regung der Empathie gegenüber den Angehörigen der Opfer fanden sich konsequenterweise nicht.

Gesundheitspolitik als Vehikel für rassistische Inhalte

Viele gesundheitspolitische Aktivitäten der AFD sind letztendlich nur Vehikel für rassistische Stimmungsmache. Ein Beispiel aus dem letzten Jahr ist der Gesetzentwurf »zur Altersfeststellung bei ›jungen Ausländern‹«. Hier fordert die AFD, die Volljährigkeit »des Ausländers« durch geeignete medizinische und ggf. zahnmedizinische Maßnahmen innerhalb eines Zeitraums von sechs Wochen nach Erstaufnahme festzustellen, wenn eine Minderjährigkeit »nicht durch bloßen Augenschein feststellbar« sei. Auch bei Vorlage entsprechender Ausweisdokumente aus dem Herkunftsland solle die Person sich den Maßnahmen beugen.5

Jenseits der ethischen Probleme, die ein derartiger Gesetzentwurf mit sich bringt, bezieht die AFD mit diesem Thema Position neben der organisierten Naziszene im Zuge der öffentlichen Diskussion über eine tödlichen Messerattacke im rheinland-pfälzischen Kandel. Die Proteste in Kandel wurden vom harten Kern der Naziszene getragen. Da es nach der Tat Zweifel am Alter des – damals noch mutmaßlichen, inzwischen verurteilten – Täters gab, griff die AFD diese Vorlage von der Straße parlamentarisch auf.

Zu nicht mehr als rassistischer Stimmungsmache taugte auch der Antrag »Folgen von Konsanguinität erkennen und eindämmen«.6 Darin sieht die AFD die Notwendigkeit, die vermeintlich hohen gesellschaftlichen Folgekosten durch Verwandtenehen zu begrenzen. Im Antrag wird gezielt gegen Menschen mit Migrationshintergrund gehetzt und ein Bild gezeichnet, das dem bekannten Motiv der NSDAP ähnelt, auf dem der »Volksgenosse« behinderte Menschen auf seinen Schultern »mitträgt«.

Neben der vermeintlichen Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Migrant*innen wird im Antrag eines »Nationalen Plans zur systema­tischen Stechmückenkontrolle- und Bekämpfung« Stimmung gemacht gegenüber »ausländischen Infektions­er­regern«.7 Nun sind es also nicht nur Migrant*innen, sondern auch asiatische und anderweitig »ausländische« Insekten, die dafür herhalten müssen, xenophobe Reflexe zu triggern.

Die AFD und die Corona Pandemie

Zu Beginn der Corona-Pandemie hat die AFD im Bundestag noch vor der Ausbreitung des Virus in Deutschland gewarnt, wenn auch wie üblich in ihr Mantra von verschärften Grenzkontrollen und -schließungen verpackt.

Dies hat sich inzwischen verändert, seit auch die AFD ebenso wie die außerparlamentarisch organisierte Naziszene erkannt hat, welches Mobilisierungspotential die Proteste gegen die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen haben. So hat die AFD während der vergangenen Monate einen sich beschleunigenden Ruck nach rechts vollzogen und sucht nun offensiv den Schulterschluss mit dem Spektrum der sogenannten »Corona-Leugner*innen«.

Initiativen wie »Querdenken« machen sich das von Pegida und AFD konstruierte Bild von »Volk gegen Eliten« zu eigen. Der rechte Teil der AFD hat verstanden und stimmt ein in den Kanon der Verschwörungsideolog*innen. Höcke und die ihm nahestehenden Personen aus dem »Flügel« reisten nach Berlin und beteiligten sich an den Demonstrationen. Der bayrische Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller beschimpfte bei seiner Rede auf einer dieser Demos am 30. August in Berlin Gesundheitsminister Spahn als »Gesundheitsdiktator«. In klassischer verschwörungstheoretischer Manier behauptete er, die Bundesregierung habe den »Sturm auf den Reichstag« am Tag zuvor selbst inszeniert: »Ich möchte der Staatsmacht und den Medien die Frage stellen: Warum waren eure Kameras am Reichstag schon vorbereitet, um das aufnehmen zu können?«

Gegen Robby Schlund, Arzt und Mitglied der AFD-Bundestagsfraktion sowie deren gesundheitspolitischem Arbeitskreis droht nun ein berufsrechtliches Verfahren nach Prüfung durch die Landesärztekammer Thüringen. Schlund hat auf der Demonstration am 29.8.20 in Berlin eines jener »geschmackvollen« Schilder hochgehalten, auf denen verschiedene Politiker*innen, Journalist*innen sowie Drosten in Sträflingskleidung zu sehen waren.8

Dennoch sind diese Positionen in der AFD nicht unumstritten. Moderatere Teile der Partei sehen zwar kein Problem in den verschwörungstheoretischen Angriffen auf die Bundesregierung und die freie Presse, sorgen sich jedoch vor Akzeptanzverlust in konservativen Kreisen durch ein allzu offenes Spiel mit den »Schmuddelkindern«, aka der offenen Naziszene.

Es erscheint verkürzt, in einer Ausgabe zum Thema Rassismus in der Medizin allein die parteipolitischen Positionen der AFD zu kritisieren und dabei rassistische Politik, die quer durch fast alle Fraktionen der in Bundes- und Landtagen vertretenen Parteien Unterstützung findet, außen vor zu lassen. Allein, es würde den Rahmen unseres Heftes sprengen.

Thomas Kunkel ist Arzt und Co-Vorsitzender des vdää.

  1. https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-bundestag-abstimmungsverhalten-linke-1.5028257
  2. https://cdn.afd.tools/wp-content/uploads/sites/156/2019/06/Berliner-Erkl%C3%A4rungTischvorlage-PK-Gehrke.pdf
  3. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/206/1920611.pdf
  4. Gerd Wiegel: »AFD im Bundestag«, 07/2020
  5. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/004/1900461.pdf
  6. https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/206/1920688.pdf
  7. https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/206/1920684.pdf
  8. https://www.tag24.de/nachrichten/politik/deutschland/parteien/afd/nach-haeftlings-plakaten-bei-der-corona-demo-afd-politiker-droht-aerger-1638116

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Rassimus im Gesundheitswesen, Nr. 3, Oktober 2020)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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