Diese Ausgabe von Gesundheit braucht Politik handelt von verschiedenen Aspekten rund um das Thema Aus- und Weiterbildung medizinischer Berufsgruppen. Zu Beginn der Corona-Krise gerieten Medizinstudierende in den Fokus, als sie aktiv von der Politik, den Uniklinika und Gesundheitsämtern angefragt worden sind, zu helfen und Personal aufzustocken1. Im Verlauf der Krise unterzeichnete Gesundheitsminister Jens Spahn auch eine Verordnung, um mehr Medizinstudierende kurz vor dem zweiten Staatsexamen in die Kliniken zu holen2. Er sagte, dass »der Einsatz der Studentinnen und Studenten [...] belohnt [...] und nicht bestraft«3 werden müsse. Somit boten viele Studierende ihre Hilfe an und arbeiteten in der Pflege, im Gesundheitsamt, in Fieberambulanzen oder an Coona-Hotlines. Doch Materialmangel, schlechte oder fehlende Vergütung, mangelnde Wertschätzung und die unklare Aufgabenverteilung machten vielen Helfenden zu schaffen und stellten das Versprechen von Spahn infrage4. Es liegt die Vermutung nahe, dass so in einfacher Weise, schnell und effizient schon lang dagewesene Lücken im Gesundheitssystem gestopft werden sollten.
Mit diesem Thema beschäftigen sich zum Beispiel auch Gruppen von kritischen Medizinstudierenden. Doch wer sind überhaupt die sogenannten KritMeds, die sich in den letzten Jahren in vielen Städten gegründet hatten und eine Vielzahl von Veränderungen fordern? In diesem Heft finden sich drei Beiträge von Medizinstudierenden, die einen Einblick in den politischen Aktivismus derer geben sollen. Zu Beginn könnt Ihr einen Auszug eines Online-Gesprächs von uns fünf Studierenden aus den KritMed-Gruppen Freiburg, Göttingen und Halle (Saale) lesen, in dem Ihr erfahrt, was uns antreibt und wie sich unsere Gruppen organisieren. Hendrik van den Bussche, Udo Schagen und Norbert Schmacke erörtern Zuständigkeiten und Konzepte zur ärztlichen Aus- und Weiterbildung und stellen ein Konzept zur Neuorientierung vor. Dabei betonen sie vor allem Qualitätsmängel und uneinheitliche und unbezahlte Zeiten für Lehre während der Fachärzt*innenausbildung und fordern eine bessere Verzahnung von Praxis und Theorie auch über die Approbation hin-aus. Vor der Corona-Pandemie sorgte der »Masterplan Medizinstudium 2020« und die daraus entstehenden Änderungen der Approbationsordnung für einige Debatten. Dabei scheinen Ziele wie mehr Praxisbezug und die Stärkung der kommunikativen und sozialen Fähigkeiten von angehenden Ärzt*innen auf den ersten Blick als sinnvoll, wenn nicht sogar längst überfällig. Tobias Henkevon der AG Gesundheitspolitik der bvmd (Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutsch-land) beleuchtet und kommentiert in seinem Artikel weitere Details der Änderungen der Approbationsordnung.
Außerdem nehmen wir die Strukturen von privaten Universitäten in den Blick, in denen sich die Chancengleichheit der Studienplatzvergabe für ein Medizinstudium als nichtig darstellt. Dabei ist unübersehbar, welche Studierende sich ein Medizinstudium für Semestergebühren im mindestens fünf-stelligen Bereich leisten können. Anke Kleinemeier und Kai-Uwe Helmers schildern und kritisieren die Situation in Hamburg, wo es gleich mehrere Möglichkeiten gibt, privat Medizin zu studieren und sie gehen zudem auf die Reaktionen auf ihren Artikel im Hamburger Ärzteblatt ein.
Extra für diese Ausgabe haben wir außerdem Medizinstudierende aus unterschiedlichen Städten gefragt, was sie an ihrem Studium stört, welche Themen unterrepräsentiert sind, wie sie Lehre und Studienorganisation verbessern würden und welche Veränderungen sie sich für die Zukunft wünschen würden. Zudem gibt uns Udo Schagen mit seinem Text über das Medizinstudium in der DDR einen Einblick in Ausbildungskapazitäten, Zulassung zum Studium sowie Stipendien und Frauenförderung, die zwar Vergangenheit, aber nichtsdestotrotz fortschrittlich sind. Er erörtert die Bedeutung des Akademikerverlusts an die BRD vor 1961 und fasst Ausbildungsziele der Hochschulen zusammen. Gerd Dielmann legt in seinem Text den Schwerpunkt auf die Ausbildungsreform in Pflegeberufen. Er fasst die Neuerungen der Ausbildungsreform der Pflegeberufe durch das Pflegeberufsgesetz vom 17.07.2017 sowie der Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 02.10.2018 zusammen, zeigt Fortschritte und Lücken auf und kritisiert unter anderem die un-klaren Berufsaussichten von Hochschulabsolvent*innen.
Als ein etwas anderes Format stellen sich der „Heile Welt Podcast“ sowie die »Kritis on Air« vor, zwei Podcasts (Audio-formate) von Medizinstudierenden, die sich mit der gesellschaftspolitischen Seite der Medizin und des Gesundheitssystems auseinandersetzen. Obwohl sich ein großer Teil des Heftes kontextual im Rahmen des Medizinstudiums befindet, ist es uns auch im Sinne der zunehmenden Relevanz inter-disziplinären Arbeitens sehr wichtig, dass nicht nur über die ärztliche Ausbildung gesprochen wird. In diesem Heft ist uns das nur ansatzweise geglückt. Ob es uns gelingen wird, ein weiteres Heft zu machen, das noch ein größeres Augenmerk legt auf die Ausbildung in Pflegeberufen sowie auf die Rahmenbedingung der Ausbildungen von Psychotherapeut*innen, Hebammen, Physio- und Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, MTAs und MFAs, wird die Zukunft zeigen.
Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen, die Kritmeds aus Göttingen, Halle (Saale) und Freiburg
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/111190/COVID-19-Aufrufe-an-medizinisches-Personal
- https://www.tagesschau.de/inland/medizinstudenten-101.html
- https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/jetzt-live-corona-update-von-gesundheitsminister-spahn,Ru3iEYk
- https://transit-magazin.de/2020/05/stimmen-aus-dem-systemrelevanten-sektor/