GbP 1-2020 Interview Jane Wanjiru

Das System macht krank

Interview mit Jane Wanjiru von Women in Exile

»Keine Lager für Frauen und Kinder! Alle Lager abschaffen!« ist seit 2011 das zentrale Thema von »Women in Exile«. Wir drucken hier ein Interview mit Jane Wanjiru, die seit sechs Jahren in Deutschland lebt und bei Women in Exile aktiv ist. Zusammen mit den anderen Aktivistinnen der Gruppe organisieren sie Workshops für andere geflüchtete Frauen, vor allem über Empowerment, Asylgesetze, Gesundheitsversorgung bzw. gesundheitliche Probleme und zur Frage: »how to stop our deportation«.

Gesundheit braucht Politik: Wie kam es zu Gründung von Women in Exile?

Jan Wanjiru: Women in Exile wurde 2002 von fünf geflüchteten Frauen in Brandenburg gegründet. Sie lebten in Brandenburg in einem Lager unter sehr schlechten Bedingungen, ohne Privatsphäre. Sie mobilisierten andere und begründeten so eine Plattform für ihre Belange, die es zuvor so nicht gab. Seitdem kommen und gehen geflüchtete Frauen in der Bewegung. Empowerment und die Forderungen nach Abschaffung von Lagern für Frauen und Kinder bzw. allen Lagern sind zentrale Ziele von Women in Exile.

Wo gibt es besondere Probleme für geflüchtete Frauen?

Der eine Bereich ist die Unterbringung in Lagern: Es ist sehr eng, überfüllt und es gibt keine Privatsphäre. Der ganze Asyl-Prozess ist für die Frauen traumatisierend: drohende Abschiebungen, (sexualisierte) Gewalt in den Lagern, Polizeigewalt bei Abschiebungsversuchen, Rassismus und generell keine Sicherheit und Perspektive. Der ganze Stress verursacht psychische und körperliche Probleme: Zysten, starke Blutungen, Schlaflosigkeit, Depressionen etc. – in manchen Fällen hat das bis zum Suizid geführt. Außerdem kommt die Diskriminierung im Gesundheits-System hinzu, das Asylbewerber-Leistungsgesetz erschwert den Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Gibt es noch andere selbstorganisierte Gruppen von geflüchteten Frauen in Deutschland, mit denen Women in Exile vernetzt ist?

Natürlich gibt es die. Durch unsere großen Sommeraktionen, wie z.B. Bustouren haben wir ein bundesweites Netzwerk von Flüchtlingsfrauen aufbauen können, mit denen wir vernetzt sind und mit denen wir uns regelmäßig austauschen, z.B. NINA in Hamburg, Frauen in Aktion Göttingen, Stimme der Frauen Magdeburg, FLIT Solidarity Africa in München uvm. Auch mit anderen antirassistischen und feministischen Gruppen sind wir verbunden, z.B. Borderline Europe, Medibüro, Respect, International Women Space, Corasol etc. Wir versuchen Brücken zwischen Flüchtlingen und Migrant*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu bauen, um Rassismus, Sexismus und Diskriminierung in dieser Gesellschaft gemeinsam zu bekämpfen.

Was sind die Probleme mit der medizinischen Versorgung? Welche Probleme gibt es beim Zugang, welche bei der Versorgung selbst?

Beim Zugang ist das Problem, dass alle mit Aufenthaltsgestattung, also die im Asyl-Prozess sind, nur mit einem Krankenschein, den sie beim Sozialamt bekommen, zum Arzt oder zur Ärztin gehen dürfen. Daher nennen wir es eine drittklassige Versorgung. Einige bekommen die Versicherungskarte, haben aber dennoch Einschränkungen, z.B. bei chronischen Erkrankungen. Eine Frau mit MS wurde beispielsweise eine teure, für lange Zeit nötige Medikation nicht verschrieben. Auch Psychotherapie ist teuer und dauert lange, daher wird sie häufig nicht abgedeckt, vor allem weil die meisten eine Sprachmittlung benötigen, da keine gemeinsame Sprache gesprochen wird.

Wir hatten auch das Beispiel einer Frau mit der Diagnose Krebs. Ihr wurde am Anfang gesagt, eine Operation wäre schon okay, aber dann sei die weitere Behandlung sehr teuer, man könne gar nicht die ganze Behandlungsbreite geben und blablabla. Es war alles sehr schwierig und zog sich lang, bis die Krankheit in einem sehr fortgeschrittenen Stadium war. Durch all diese Fälle und Probleme zieht sich Rassismus und Diskriminierung gegenüber Flüchtlingen.

Welche Bedarfe von migrantischen Frauen werden schlecht oder gar nicht abgedeckt?

Das kann man nicht nur auf gesundheitliche Dinge begrenzen, es beginnt mit ganz elementaren Bedürfnissen. Durch die Unterbringung in Lagern oder Containern gibt es keinerlei Privatsphäre. Alles muss mit Männern geteilt werden: Toilette, Küche etc. Das ist problematisch in Bezug auf Hygiene und ebenso für die Frauen bedrohlich. In den Lagern bekommen sie oft einen Gutschein für Essen, sie haben keine Möglichkeit auszugehen, sich ihre Läden auszusuchen; für gesundes Essen reicht das Geld nicht, oft ebenso wenig für Sanitärbedarf wie Binden. Kurz: Die Lager sind kein gesunder Ort.

Es gab den Fall einer jungen Frau, die in einem Lager in Hohenleipisch lebte, das liegt mitten im Wald. Sie verschwand und wurde erst zwei Monate später tot im Wald gefunden. Wir müssen das Lager-System bekämpfen, die Gewalt dort. Es ist dort so laut, einige Leute trinken, man kann die Tür nicht abschließen und dazu noch die Angst vor Abschiebung bei den Leuten.

Was würden sich Women in Exile vom Gesundheitswesen wünschen? Was müsste sich ändern? Was würden Sie sich vom vdää wünschen? Wofür soll sich der vdää stark machen?

Der vdää und alle im Gesundheitswesen tätigen sollten sich auf politischer Ebene engagieren, dass allen Menschen, die in Deutschland leben, eine Gesundheitsversorgung ohne Diskriminierung zu Gute kommt. Die rechtliche Basis dafür sehen wir in der internationalen und nationalen Gesetzgebung als gegeben, doch an der Umsetzung mangelt es in Deutschland. Wir sehen, dass unser Problem nicht unsere psychische Gesundheit ist, sondern, die Abschiebungen. Die Lagerunterbringung, das Asylsystem und der Rassismus machen uns krank! Wir wünschen uns, dass der vdää diese Perspektive verbreiten kann und solidarisch hinter uns steht.

Konkret heißt das: Die Ärzt*innen sollten die Frauen auch ohne »gute« Versicherungskarte in ihrer Praxis empfangen, denn häufig verweigern sie die Behandlung, sie nehmen sich nicht genug Zeit oder erklären den Frauen nicht verständlich. Einige haben gute Ärzt*innen, zu denen sie gehen können, aber es sind zu viele Frauen und zu wenige Ärzt*innen, die sich wirklich kümmern. Auf unserem blog www.women-in-exile.net findet Ihr auch Unterstützungsmöglichkeiten. Besonders hilfreich ist eine langfristige Unterstützung in Form von Dauerspenden, denn so können wir kontinuierlich und unabhängig unsere Arbeit fortsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mehr Infos unter: https://www.women-in-exile.net/

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Women in Exile

Wir, Women in Exile and Friends, sind Teil einiger Gruppen und Einzelpersonen, die sich zusammengefunden haben, um eine öffentliche Anhörung im Rahmen des Permanent Peoples Tribunal zu planen, das 1980 in Bologna eingerichtet wurde. Unser Fokus liegt auf Gesundheit und dem Ansatz, aus feministischer Perspektive auf das Thema Menschenrechtsverletzungen zu schauen. Gesundheit ist etwas, mit dem jede*r etwas verbindet. Mit unserem Bündnis wollen wir als Flüchtlings-Selbstorganisationen und Solidaritätsgruppen gemeinsam kämpfen. Unsere öffentliche Anhörung Permanent Peoples Tribunal wird 2020 stattfinden und die Diskriminierung im Gesundheitsbereich in Deutschland anprangern. Während des Tribunals wollen wir durch Zeuginnenberichte und Anklagereden aufzeigen, wie in Deutschland Gesundheitsprobleme mit dem sozialen und politischen Bereich verflochten sind.

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Medizinische Versorgung von Geflüchteten, Nr. 1 März 2020)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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