Ratschlag des Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik«
Ein Bericht von Felix Ahls, Peter Hoffmann und Tobias Hofmann
In die lange Zeit zementierten Verhältnisse im Krankenhausbereich ist reichlich Bewegung gekommen: ver.di positioniert sich zunehmend klarer gegen die Ökonomisierung der Kliniken und hat mit den Beschäftigten an mittlerweile 16 Kliniken Vereinbarungen zur Entlastung der Pflege erkämpft. Die Bundesregierung hat die Pflegekosten aus den Fallpauschalen (DRG) herausgenommen und durch ein Selbstkostendeckungsprinzip ersetzt, laut Wulf-Dietrich Leber vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ein »Meteoriteneinschlag« im DRG-System. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat nach jahrelanger Blockadehaltung ihre Strategie neu bestimmt, die Verhandlungen zu den allseits abgelehnten Pflegepersonaluntergrenzen abgebrochen und spricht nun mit ver.di und Deutschem Pflegerat über Kriterien für eine allseits verbindliche Pflege-Personalbemessung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat vor kurzem eine Nachfolge-Regelung für die seit 1991 geltende Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) vorgelegt. Auch wenn diese »PPP-RL« keine drastische Verschlechterung gegenüber dem Status Quo darstellt, stößt sie auf einhellige Ablehnung der Personalvertretungen, Fachgesellschaften und Betroffenen, da sie das nötige Personal für leitliniengerechte Behandlungen nicht sichern wird.
Diese Schlaglichter zeigen: Es gab Anlass genug, von Seiten des Bündnisses Krankenhaus statt Fabrik am 29. und 30. November 2019 einen Bewegungsratschlag zu veranstalten, sich gegenseitig auf einen aktuellen Wissensstand zu heben, Beobachtungen und Einschätzungen zusammenzutragen und sich Zeit zum Diskutieren zu nehmen. ver.di hatte die Räume der Bundesverwaltung in Berlin zur Verfügung gestellt, Meike Jäger die Teilnehmer*innen stellvertretend für ver.di Berlin/Brandenburg solidarisch und freundlich begrüßt, die Rosa-Luxemburg-Stiftung für Speisen und Getränke gesorgt.
Bereits am Freitagnachmittag wurden die traditionellen, parallelen Einführungs-Workshops angeboten, die eine Einführung in das DRG-Fallpauschalensystem gaben, sich mit den verschiedenen Personalbemessungssystemen in der Somatik wie auch in Psychiatrie und Psychosomatik beschäftigten sowie ein Update zur Krankenhausgesetzgebung der letzten Jahre gaben (Präsentationen siehe www.krankenhaus-statt-fabrik.de).
Anschließend traf sich die AG Ökonomisierung des Netzwerks Kritische Medizin, zu dem Mitglieder verschiedener, lokaler, hauptsächlich studentischer Gruppen gehören, um an eigenen Handlungsmöglichkeiten zu arbeiten.
Am Abend moderierte Nadja Rakowitz eine Podiumsdiskussion zu aktuellen Einschätzungen der derzeitigen krankenhauspolitischen Entwicklungen mit Grit Genster, Bereichsleiterin Gesundheitspolitik in ver.di, Michael Simon, Experte für Personalbemessungssysteme und Kritiker des DRG-Systems, Cordula Mühr, Patientenvertreterin im G-BA, und Uwe Alschner vom Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser (IVKK). In einer sehr grundsätzlichen Diskussion betonten alle Podiumsteilnehmer*innen, dass die Durchsetzung einer Gemeinwohlorientierung zentral für eine bedarfsgerechte Entwicklung des stationären Bereichs sein wird. Nur ein sachgerecht ausgestaltetes gut organisiertes Selbstkostendeckungsprinzip anstatt Profitwirtschaft dürfte der Hebel sein, um privates Kapital und seine mit öffentlicher Daseinsvorsorge nicht kompatiblen Interessen aus dem stationären Sektor wieder zu vertreiben (siehe dazu auch den verabschiedeten Antrag des ver.di-Bundeskongresses, dokumentiert unter Materialien, KsF-Website).
Diskutiert wurde auch der Vorschlag des IVKK, auf dem Weg einer Verfassungsklage zu versuchen, private Gewinnentnahmen durch Krankenhausträger verbieten zu lassen. Das Scheitern der Volksbegehren hat jüngst allerdings gezeigt, wie heikel der juristische Weg in diesen politischen Fragen sein dürfte. Nicht nur die gewinnorientierten privaten Krankenhausunternehmen werden sich gegen eine Reform stellen. Die Anwesenden waren sich einig, dass die aktuell sehr neoliberal ausgerichteten Management-Etagen der Krankenkassen mit dem Ziel einer finanziellen statt politischen Steuerung des Systems durch die Kassen selbst ebenfalls alles für einen Erhalt des DRG-Systems tun werden.
Der Samstagmorgen war einem Versuch gewidmet, die in der (gewerkschaftspolitischen) Linken vieldiskutierte Organizing-Methode von Jane McAlevey (s. ihr Buch »No Shortcuts« bzw. deutsch »Keine halben Sachen«), eine auf Erfahrungen basierende, radikale Strategie zur Bildung von Gegenmacht durch Beschäftigte, vorzustellen und diese auf das Gesundheitswesen zu übertragen.
Selbstkritisches darf hier nicht fehlen. Wir sind als Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« ziemlich stark in der Analyse der strukturellen (Fehl-) Entwicklungen, haben dadurch auch zur Eröffnung der grundlegenden öffentlichen Debatte über die Ausrichtung und Steuerung des Krankenhaussektors beigetragen. Allerdings haben wir noch einen weiten Weg vor uns, gemeinsam die gesellschaftliche Macht zu organisieren, die ein gemeinwohlorientiertes öffentliches Gesundheitssystem erkämpfen kann. Eine breite Strategiedebatte mit den Verbündeten in dieser Sache hat begonnen, steht aber noch am Anfang. Die meiste Zeit am Samstag verwendeten wir für sehr ausführliche Diskussionen in drei thematischen Workshops, die sich deshalb über den Tag hinweg erstreckten.
Wie weiter im Kampf um eine gesetzliche Personalbemessung?
Im ersten Teil des Workshops ging es um eine Zwischenbilanz: Welche Methoden haben sich in der Vorbereitung und Durchführung von Protesten und Arbeitskämpfen in Krankenhäusern bewährt? Im zweiten Teil standen bundespolitische Entwicklungen und die Diskussion unserer nächsten Schritte im Mittelpunkt. Wie weit sind wir mit Personaluntergrenzen und der Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG bereits gekommen? Wie stellt sich die Auseinandersetzung in der Psychiatrie dar? Wie ist der Stand der Verhandlungen zu einem neuen Personalbemessungsinstrument? Und was nehmen wir uns für 2020 vor?
Alternative Krankenhausfinanzierung und -steuerung
Die Problembeschreibungen des neoliberalen Mainstreams für den stationären Sektor haben nicht selten einen wahren Kern. Dies macht die angebotenen Lösungen daher auf den ersten Blick plausibel. Übersehen wird dabei jedoch, dass marktförmige Steuerung und finanzielle Anreize die Ursachen der Fehlentwicklungen darstellen und daher im Sinne der Gemeinwohlorientierung keine sinnvollen Lösungen der Krise darstellen können. Die meisten Vorschläge zu einer Reform verharren im aktuellen Rahmen der Marktsteuerung und Profitorientierung. Im Workshop wurden zunächst Analysen und Lösungsansätze des Mainstreams, die aktuell die Debatte bestimmen, beleuchtet und im Anschluss kritisch bewertet. Im zweiten Teil wurde dann diskutiert, wo der eigentliche Kern der herrschenden Problemdeutungen liegt und wie fortschrittliche Antworten im Grundsatz aussehen könnten (siehe dazu ein vdää-Diskussionspapier auf der KsF-Website). Im nächsten Schritt sollen die damit verbundenen weiteren Fragen und Kontroversen aufgelistet, geklärt und diskutiert werden.
Widerstand im ärztlichen Bereich
In diesem Workshop diskutierten Kritische Mediziner*innen, also Studierende mit jungen und älteren Ärzt*innen zusammen über Formen und Möglichkeiten von Widerstand. Da die Ärzt*innen eine besondere Rolle im DRG-System haben – sie werden nicht nur als Kostenfaktor, sondern auch als diejenigen angesehen, die das Geld bringen –, haben bzw. hätten sie auch eine spezifische Rolle im Konflikt um die Ökonomisierung. Immer mehr Fachgesellschaften, aber auch die Ärzte-Gewerkschaften äußern sich entsprechend. Der »Ärzte-Appell« im stern ist ebenfalls ein Beispiel. Nachdem die Pflege aus den DRG herausgenommen wurde, fordern dies nun auch die Ärzt*innen für ihre Berufsgruppe. Was in dem Workshop für das nächste Jahr besprochen wurde, wird auf der Homepage des Bündnisses zu erfahren sein.
Nun gilt es, an den verschiedenen Diskussionslinien weiterzuarbeiten, um die Programmatik des Bündnis KsF weiterzuentwickeln und parallel Durchsetzungsstrategien zu diskutieren, dies in engem Austausch mit den vielen lokalen Bürgerbündnissen, die zum Ratschlag kamen und sich direkt im Anschluss daran noch zum Austausch getroffen haben.
Nächster Termin wird das Bündnistreffen am 08.02.2020 in Hannover sein. Mehr Informationen unter: https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Digitalisierung im Gesundheitswesen, Nr. 4 Dezember 2019)