GbP 3-2019 Baier

Diagnose: Sexismus

Alicia Baier über #MeToo in der Medizin und antisexistische Aktionen an der Charité

Die Medical Students for Choice (MSFC) Berlin sind Medizinstudierende der Berliner Charité, deren Kernthemen die Verbesserung der medizinischen Ausbildung zum Schwangerschaftsabbruch und die Organisation der sogenannten »Papaya-Workshops« sind.

2018 beschäftigten wir uns jedoch zusätzlich mit dem Thema Sexismus in der Medizin, und davon möchte ich hier berichten. Auf Station beschleicht uns bisweilen das Gefühl, als ob die feministischen Debatten der letzten Jahre die seit Jahrhunderten festgefahrenen, patriarchalen Strukturen in der Medizin kaum tangiert hätten. Ärzte, die – obgleich ihre Partnerinnen ebenfalls Medizin studiert haben – maximal zwei Monate Elternzeit nehmen, sind die Regel. Selbst hierfür werden sie von ihren Chefs bisweilen gerügt und gefragt, ob ihnen ihre Karriere denn nicht wichtig sei. Obwohl wir mittlerweile einen dermaßen hohen Frauenanteil im Medizinstudium haben, treffen wir nur selten auf Ober- und Chefärztinnen. Und natürlich waren wir selbst – ausschließlich cis-Frauen – mehrfach sexistischen Sprüchen im Krankenhaus ausgesetzt. Als feministische Gruppe konnten wir das Thema Sexismus nicht mehr ignorieren. So entstand das dringende Bedürfnis, den massiven Alltagssexismus in Klinik und medizinischer Fakultät sichtbarer zu machen, um à la #MeToo eine Grundlage für eine kritische Diskussion innerhalb von Medizin, Politik und Gesellschaft zu schaffen. In Kooperation mit den Kritischen Me­di­zi­ne­r*in­nen schrieben wir einen Aufruf an Studierende, Pfleger*innen und Ärzt*innen, ihre Sexismuserfahrungen an Klinik und medizinischer Fakultät anonym auf einer Online-Plattform mit uns zu teilen. Innerhalb weniger Wochen sammelten wir über 200 Erfahrungen, die unter https://msfcberlin.com/diagnose-sexismus/zusendungen/ nachzulesen sind.

Wir lasen uns gemeinsam durch die Fülle der Einsendungen und sprachen dabei auch über unsere eigenen Erfahrungen. Ein empowerndes Treffen: Wir waren nicht alleine, gemeinsam können wir etwas bewegen! Wir überlegten uns zu einigen sexistischen Sprüchen mögliche Antworten: ironisch, ernsthaft, wütend, kühl. Es gibt so viele Modi, in denen man sich wehren könnte. Aber wir waren uns einig – meist ist man in der entsprechenden Situation erstmal sprachlos, in Schockstarre oder mit einem innerlichen Wutanfall beschäftigt. Klare Machthierarchien im Krankenhaus erschweren zudem eine angemessene Reaktion.

Angesichts des Ausmaßes der Einsendungen und um einen tiefergehenden Austausch zu ermöglichen, beschlossen wir, dem Thema eine ganze Aktionswoche an der Charité zu widmen, die wir auf den Namen Diagnose Sexismus tauften. Die Frauenbeauftragte Dr. Christiane Kurmeyer eröffnete die Woche mit einem tollen Vortrag. Sie berichtete unter anderem von den Ergebnissen ihrer Studie über die Sexismuserfahrungen von Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Charité – eine stimmige quantitative Ergänzung zu den qualitativen Ergebnissen unserer Umfrage. Laura Méritt, Autorin des Buches »Frauenkörper neu gesehen«, sprach in einem gut besuchten Hörsaal über die weiblichen Lustorgane, die in der medizinischen Ausbildung oft vernachlässigt werden. So wissen viele Ärzt*innen beispielsweise gar nicht, wie die Klitoris mitsamt ihren Schwellkörpern und Schenkeln eigentlich aussieht – sie kennen meist nur die von außen sichtbare Klitorisperle. Sarah Diehl, Autorin des Buches »Die Uhr, die nicht tickt – kinderlos glücklich«, luden wir ein, über die Erwartungen an Frauen zu sprechen, eine bestimmte Mutterrolle erfüllen zu müssen. Wer sich als Frau gegen die Mutterschaft entscheidet, muss sich häufig dafür rechtfertigen. Zugleich bedeutet eine Schwangerschaft und die Entscheidung für ein Kind für viele Ärztinnen leider immer noch das Aus ihrer Krankenhaus-Karriere – und das, obwohl sich die junge Generation seit Langem familienfreundlichere Arbeitsmodelle wünscht.

Aus unserer Aktionswoche nehmen wir mit, dass es zwar durchaus auch positive Entwicklungen in der Medizin gibt, was das Thema Antisexismus betrifft. In einem System mit starren Hierarchien und überwiegend männlich besetzten Führungspositionen liegt jedoch noch ein weiter Weg vor uns, bis wir die Gleichberechtigung wirklich erreicht haben werden. Es braucht viele, viele kritische Stimmen, die nicht müde werden, sich gegen berufliche Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts einzusetzen. Wir wünschen uns eine moderne Medizin frei von Alltagssexismus und altmodischen Geschlechterrollen, und werden weiter dafür kämpfen.

Alicia Baier ist Gründerin der Medical Students for Choice Berlin, aktuell im Aufbau von Doctors for Choice Germany e.V. aktiv

(Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Geschlechterverhältnisse im Gesundheitswesen, Nr. 3, September 2019)


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