Die oft beschworene »Verweiblichung der Medizin« ist – sofern man Medizin auf Ärzt*innen beschränkt – in vollem Gang. Im August 2019 erschien dann tatsächlich das Ärztinnenblatt Sachsen. Welche Innovation! – so der erste Gedanke. Leider handelte es sich um den einmaligen Titel einer Ausgabe explizit über Frauen, eine Umbenennung in ÄrztInnenblatt oder gar Ärzt*innenblatt ist in Sachsen und auch sonstwo nicht abzusehen.
In dem Heft findet sich u.a. eine Hommage an Ida Boysen (1889-1961). Diese arbeitete als eine der ersten Chirurginnen Deutschlands an der Universität Leipzig – allerdings verdammt zur ewigen Assistentin, während ein männlicher Kollege nach dem anderen in eine Chefarztposition aufstieg. Der erste Gedanke dazu: Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Aber ist dem wirklich so?
Im Jahr 2017 erschien in der Zeitschrift JAMA International Medicine ein Artikel zum Vergleich der Sterblichkeit von Patient*innen in Abhängigkeit ihrer Behandlung durch männliche oder weibliche Internist*innen. Das Ergebnis, das von einer Reihe weiterer Studien unterstützt wird: Die Behandlung durch Ärztinnen senkt die Mortalität, vergleichbar mit den Überlebensvorteilen, die sich durch milliardenschwere Vorsorgeprogramme ergeben. Welche Gründe werden dafür genannt? Warum spielen diese Ergebnisse im öffentlichen Diskurs keine Rolle? Warum beurteilen sowohl Patient*innen als auch Kolleg*innen die ärztliche Leistung von Frauen im Durchschnitt weniger gut als die von Männern? Von der weiterhin hauptsächlich männlich besetzten Chefetage gar nicht zu sprechen.
Eine mögliche Antwort darauf wäre der weiterhin im medizinischen Sektor – und sicher nicht nur dort – übliche Sexismus. Deshalb haben wir in dem ersten Heft einer in unserer Zeitschrift beginnenden losen Reihe über »Geschlechterverhältnisse im Gesundheitswesen« einen Schwerpunkt, der sich mit Sexismus beschäftigt. Ein Beitrag dazu ist die Diskussion zwischen Vorstandsmitgliedern des vdää aus unterschiedlichen Generationen, die wir im August geführt haben und auf Seite 11ff. in gekürzter Fassung dokumentieren. Die Dokumentation des ganzen Gesprächs findet sich auf der Homepage von Gesundheit braucht Politik. Ebenso wie die Langfassung der Replik von Sebastian Klinke, dessen Text über das Selbstverständnis von Ärzt*innen im Krankenhaus in der letzten Ausgabe einer strengen Kritik unterzogen wurde.
Wir beschäftigen uns in diesem Heft aber auch mit Arbeitsverhältnissen und Bezahlung in Jobs, die vorrangig von Frauen gemacht werden. Marla Frentz und Friedrich Paun stellen den Arbeitskampf der outgesourcten Servicekräfte an der Uniklinik Göttingen dar und Eckhardt Zeigert problematisiert den Abstand zwischen den Gehältern von Medizinischen Fachangestellten und ihren Chef*innen, den niedergelassenen Ärzt*innen. Mascha Grieschat schreibt über Gewalt bei der Geburtshilfe und Melanie Klimmer über Müttersterblichkeit als Kriterium für die Qualität eines Gesundheitswesens. Zu Beginn dieses Heftes analysiert Christa Wichterich die Rolle – vorwiegend weiblicher – Sorge-Arbeit im globalisierten kapitalistischen Produktionsprozess und kritisiert die darin enthaltenen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse.
Das nächste Heft von Gesundheit braucht Politik wird sich mit Big Data im Gesundheitswesen beschäftigen und das Thema des Gesundheitspolitischen Forums noch einmal reflektieren. Eine Einladung dazu liegt diesem Heft bei und wir freuen uns, Euch dort zu sehen.
Die Redaktion