Markt frei für die Psychiatrie
Ja, eigentlich müssten wir in diesem Heft über den Ausgang der Bundestagswahl sprechen. Bei der Themenplanung dieses Heftes hatten wir überlegt, dass es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh ist, Aussagen über die künftige Gesundheitspolitik zu machen. Es war nicht vorhersehbar, dass die FDP es nicht mehr in den Bundestag schaffen würde. Ganz ohne Schadenfreude: Die Nachricht vom Scheitern der FDP war die positivste der Wahlnacht. Geht, oder besser, ging doch die größte Gefahr für die solidarische Organisation unseres Gesundheitswesens von der FDP aus. Diese Partei steht für Privatisierung, Konkurrenz und freien Markt, Ausbau der privaten Krankenversicherung, für Kostenerstattung und Selektivverträge. Nicht umsonst war Daniel Bahr der Liebling der Ärzteschaft: Nach Angaben der Ärztezeitung wollten 17 Prozent der Ärztinnen und Ärzte die FDP wählen.
Auch Entwicklungshilfeminister Niebel hat nichts dafür getan, dass »Global Health« heute eine höhere Priorität in der Bundespolitik hätte.
Gesundheitspolitisch wurde also gut gewählt. Die CDU/CSU hat kein großes Interesse an der Gesundheitspolitik, sie möchte, dass alles so bleibt, wie es ist. Natürlich und leider ist mit der Wahl auch das Thema Bürgerversicherung vom Tisch. Egal, wer das Gesundheitsministerium von der CDU oder dem kommenden Koalitionspartner erhält, die Bürgerversicherung wird es nicht geben. Es sei denn, die privaten Versicherungen geben das Geschäft wegen der steigenden Kosten mit der Vollversicherung der Privatpolicen in der Zukunft selber auf.
Aber zum Thema Psychiatrie, dem Thema dieses Heftes. Klaus Dörner hat vor vielen Jahren von der »Ausgrenzung der bürgerlichen Unvernunft« gesprochen, die zur Isolation psychisch Kranker in psychiatrischen Großanstalten führte. Diese wurden in den vergangenen Jahren tendenziell aufgelöst. Doch hatten die psychiatrischen Kliniken abrechnungsmäßig einen Sonderstatus: Das DRG-System galt nicht für sie. Psychische Erkrankungen nehmen zu oder werden heute häufiger diagnostiziert und es gibt – teure – Pharmaka zu deren Behandlung. Das macht die Abrechnung der Kosten natürlich interessant. Gegen den Widerstand praktisch aller Fachverbände – nur einige Psychotherapeuten-Organisationen sind nicht dabei – und interessanterweise mit Zustimmung der Krankenkassen wurde per Ersatzvornahme das pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) eingeführt und soll in den nächsten Jahren umgesetzt werden. Das Hauptargument gegen die Einführung der PEPP ist, dass die Diagnosen psychischer Erkrankungen nicht unbedingt etwas aussagen über Dauer und Aufwand der Behandlung. Eine Appendizitis ist eine Appendizitis und wird, einschließlich der Komorbiditäten und Komplikationen im DRG-System abgebildet. Bei psychischen Erkrankungen ist dieser Zusammenhang nicht gegeben. Hinzu kommt die prinzipielle Kritik an den DRGs als Abrechnungsgrundlage im stationären Bereich: DRGs führen zu unnötiger Fallzahlmehrung und der Selektion besonders günstig abzurechnender Diagnosen und Prozeduren.
Diese Ausgabe von »Gesundheit braucht Politik« setzt sich nun kritisch mit der Einführung dieser PEPPs auseinander. Speziell die potentiellen Auswirkungen auf die Patientenversorgung werden untersucht.
Das Stichwort von Uli Deppe zu »Ökonomisierung« soll die Begrifflichkeit in der Diskussion klären und zur Diskussion anregen. Zunehmend wird dieser Begriff auch von konservativer Seite zur Kritik am Gesundheitswesen verwendet. Und schließlich gibt die Presseerklärung des vdää zum Kauf der Rhön-Kliniken durch Fresenius unseren Standpunkt zu dieser Fusion wider.
Bei allen negativen Nachrichten wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Leser dieser Ausgabe.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: »Es ist zum verrückt werden…« Zur Ökonomisierung der Psychiatrie, 3/2013)