Von Athen über Brüssel zum Deutschen Ärztetag
Unsere neue Ausgabe von »Gesundheit braucht Politik« spannt einen weiten Bogen von Athen über Brüssel bis hin nach Hannover zum letzten Deutschen Ärztetag und spiegelt damit die Aktivitäten des vdää im letzten halben Jahr wider. Schwerpunkt dieses Heftes ist »Europa in der Krise – Krise der Gesundheitssysteme«.
Im Februar war eine Delegation des vdää in Athen und Thessaloniki. Wir wollten vor Ort sehen, wie sich die Sparauflagen der Troika von EU-Kommission, EZB und IWF, an denen die Bundesrepublik ja ganz maßgeblich beteiligt ist, auf die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auswirken. Und wir waren entsetzt, die Folgen der Sparmaßnahmen in Griechenland konkret zu sehen. Nadja Rakowitz hat darüber in schon in der letzten Ausgabe einen Bericht gemacht.
Die weiteren Berichte in diesem Heft geben einen Eindruck von unseren Erlebnissen. Während bei uns das Gesundheitswesen als Wachstumsfaktor der Wirtschaft angesehen wird und jede noch so suspekte technische Neuerung bezahlt und als notwendige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme verteidigt wird, wird in Griechenland, ebenso wie in anderen Krisenländern Europas, brutal im Gesundheitswesen gespart. Willkürlich wurde von der Troika festgelegt, die Ausgaben für das Gesundheitswesen auf sechs Prozent des BIP zu reduzieren, und das bei weiter abnehmender Wirtschaftsleistung des Landes und dabei fallendem BIP. Was bei uns angeblicher Wachstumsmarkt ist, wird in Griechenland für überflüssige Sozialausgabe gehalten; eine nur schwer nachvollziehbare neoliberale Wirtschaftslogik.
Die in Griechenland – und in den anderen Krisenstaaten des Südens – durch die Sparpolitik freigesetzten Arbeitskräfte sind ein Objekt der Begierde der deutschen Gesundheitswirtschaft. Gut ausgebildetes Pflegepersonal und Ärzte sollen die Lücken in der Personalbesetzung deutscher Krankenhäuser füllen. Viele Krankenhäuser veranstalten schon jetzt Bewerbungsseminare für Pflegepersonal in diesen Ländern. Natürlich haben wir Freizügigkeit in Europa und wer im Süden arbeitslos gemacht wird, muss ein Recht haben, im Norden sein Geld zu verdienen. Andererseits werden diesen Ländern die für den Aufbau dringend benötigten Fachkräfte entzogen, die Ausbildungskosten aber bleiben bei ihnen. Ein Problem, das auch im vdää diskutiert werden sollte.
Aber die Reaktion auf diese Politik macht auch Mut: Not schafft Solidarität. Dies konnten wir bei unseren Besuchen in den Solidaritätskliniken in Athen und Thessaloniki sehen. Ohne große Mittel und ohne staatliche Unterstützung helfen und behandeln hier Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal und andere Helfer unentgeltlich Patienten, die in Not geraten sind. Es mag ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber diese Initiativen machen Mut und lassen für die Zukunft hoffen.
Wer ist für diese Politik verantwortlich? Über den Einfluss der EU auf die Gesundheitspolitik der Mitgliedsstaaten informierten wir uns auf unserer »vdää on tour«-Reise im April nach Brüssel. Hier werden die Weichen gestellt, doch ist die Streckenführung bei diesem Wust aus Bürokratie, Lobbyismus und unterschiedlichen Zuständigkeiten schwer auszumachen. Es war interessant zu sehen, wie machtlos eigentlich das Parlament in diesem Gestrüpp ist. Ob wir uns als vdää im Zusammenschluss von NGOs an der politischen Arbeit an Europa beteiligen sollen? Wir sind skeptisch gegenüber dieser Zusammenarbeit.
Schließlich der Deutsche Ärztetag im Mai: Eine frustrierende Veranstaltung, bei der Anspruch und Einfluss der Ärzteschaft extrem auseinanderklaffen. Die verabschiedeten Vorstellungen zur Finanzierung des Gesundheitssystems (siehe Presseerklärung des vdää vom 23. April 2013), sind verschroben und werden – glücklicherweise – auch von keiner politischen Partei ernstgenommen. Trotzdem, es ist wichtig zu zeigen, dass die Ärzteschaft nicht nur mit einer Stimme spricht, sondern dass es auch noch vernünftige Vertreter auf dem DÄT gibt.
Das Gesundheitspolitische Forum des vdää am 19. Oktober. in Berlin wird als Schwerpunkt-Thema neben dem Ausgang der Bundestagswahl die Gesundheitspolitik in Europa mit Gästen aus den Krisenländern diskutieren.
Wir hoffen, Sie mit diesem Heft auf diese Veranstaltung vorbereiten zu können.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Europa in der Krise. Krise der Gesundheitssysteme, 2/2013)