Die Wegweiser
»Als Leuchtturm wird ein Turm bezeichnet, der ein Leuchtfeuer trägt. Leuchttürme stehen für die Navigation an wichtigen Punkten oder an gefährlichen Stellen, wo sie der Schifffahrt auch nachts als weithin sichtbares Seezeichen dienen« (Wikipedia).
Leuchttürme im übertragenen Sinn brauchen wir auch in den gefährlichen Gewässern des Gesundheitswesens. Wir brauchen sie sehr dringend, denn die gesundheitspolitische Landschaft um uns herum ist düster. Letztes Beispiel hierfür ist der Vorschlag des Vorstandes der Bundesärztekammer zum Erhalt des dualen Versicherungssystems in Deutschland. Ein Vorschlag, der nichts mit der solidarischen Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung zu tun hat, dafür aber sehr viel mit den Privilegien der Ärzteschaft. In dieser Finsternis tut es gut, einmal Alternativen zum täglichen Medizinbetrieb aufgezeigt zu bekommen.
In dieser Ausgabe von »Gesundheit braucht Politik« haben wir einige exemplarische Leuchtturmprojekte in der täglichen Krankenversorgung zusammengestellt. Die Idee hierzu geht zurück auf eine Gruppe junger Medizinerinnen und Mediziner, zu denen der vdää seit einiger Zeit im Kontakt steht. Die Diskussionen mit Mitgliedern dieser Gruppe waren sehr erfrischend und befruchtend, zeigten sie doch, dass viele der alten Ideale der Gesundheitsbewegung auch heute noch – oder wieder? – lebendig sind. Diese jungen Kolleginnen und Kollegen sind auf der Suche nach Alternativen für ihre berufliche Zukunft und besuchen quer durch die Republik und darüber hinaus Projekte, die Möglichkeiten einer sinnvollen und befriedigenden Patientenversorgung bieten.
Bei der Zusammenstellung dieses Heftes haben wir überrascht festgestellt, dass es noch viele Projekte aus der Zeit der 70er und 80er Jahre gibt, die der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens trotzten und bis heute überdauert haben. Einige Beispiele dieses Heftes zeigen aber auch, wie schwierig es ist, unter den heutigen (Abrechnungs-)Bedingungen, unter den Bedingungen von Budgets im ambulanten Bereich mit einer patientenzentrierten Medizin zu überleben. Es zeigt sich aber auch, dass unter Ausnutzung der neugeschaffenen Strukturen in der ambulanten Versorgung und in Zusammenarbeit mit den Kassen durchaus Formen einer patientenzentrierten Medizin möglich sind, die nicht auf Selbstausbeutung oder realitätsfernem Idealismus beruhen, sondern befriedigende Arbeit mit auskömmlichem Leben verbinden. Die MVZ sind sicher einerseits ein Einfallstor der großen Gesundheitskonzerne in die ambulante Medizin, bieten aber andererseits auch neue Möglichkeiten der kollektiven Zusammenarbeit. Diese sollten genutzt werden.
Viele Kolleginnen und Kollegen sind frustriert vom gegenwärtigen System. Viele sind resigniert, manche werden zynisch. Die Beiträge in diesem Heft können den zahlreichen Stammtischdiskussionen über die Unsinnigkeit des Vergütungssystems einmal konkrete Alternativen gegenüberstellen.
Vor wenigen Wochen auf der letzten »vdää on tour« nach Brüssel – wir werden darüber in der nächsten Ausgabe von »Gesundheit braucht Politik« berichten – besuchten wir ein Gesundheitszentrum der Médecins pour le Peuple, das selbstverwaltet, aber in das System der Krankenversorgung integriert die Patienten versorgt. Immerhin werden insgesamt 25.000 Patienten durch alle 11 Gesundheitszentren dieses Kollektivs behandelt. Über die parteipolitische Ausrichtung dieser Zentren kann man sicher streiten, wir werden es im nächsten Heft tun, aber es ist ein Beispiel dafür, dass alternative Formen der Patientenversorgung auch in den bestehenden Systemen möglich ist, ein Beispiel, das Mut macht.
Apropos Alternativen, in diesem Heft ist auch ein erster Bericht der Reise einer vdää-Delegation nach Griechenland. So deprimierend es war, die Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die medizinische Versorgung in diesem Land zu sehen, so ermutigend war es mitzubekommen, wie aus dem Verfall des Gesundheitssystems neue solidarische Formen der medizinischen Versorgung entstehen können. Über unsere Erfahrungen und Eindrücke haben wir schon in einigen Veranstaltungen berichtet. Wir werden noch weitere Informationsabende zum griechischen Gesundheitssystem in Zeiten der Finanzkrise durchführen und sind auch gerne bereit, unsere Eindrücke an interessierte Gruppen weiterzugeben.
»Durch ihre Lichtsignale (Leuchtfeuer) weisen Leuchttürme Schiffen den Weg und ermöglichen so die Navigation und das Umfahren gefährlicher Stellen im Gewässer« (Wikipedia). Wir hoffen, mit der exemplarischen Darstellung von Leuchttürmen im Gesundheitswesen Möglichkeiten der medizinischen Praxis unter den heutigen Bedingungen des Gesundheitswesens aufgezeigt zu haben.
Alternative Praxis ist möglich. Das sollte uns Mut machen.
Prof. Dr. Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Es geht auch anders! 1/2013)