Selbstbezogenheit statt Selbstkritik
Bericht vom diesjährigen Ärztetag in Münster
Zunächts ein Kommentar zum ersten Tag (Eröffnung / Presse) von der Südwest Presse Online: »Der Ärztetag in Münster beschäftigt sich auch mit der hohen Arbeitsbelastung vieler Mediziner. Aber ausgerechnet eine Möglichkeit, Mediziner zu entlasten, wird vom scheidenden Ärztepräsidenten gleich zu Beginn in Bausch und Bogen verdammt – die Auslagerung bestimmter Tätigkeiten in andere Gesundheitsberufe nämlich.« So kritisiert Südwest Presse Online die Eröffnungsveranstaltung des 122. Deutschen Ärztetags, »die Aufwertung des Hebammenberufes, eine neue Ausbildung für Psychotherapeuten und das Impfen durch Apotheker seien falsch, schadeten der Professionalität. Dabei gibt es gute Beispiele dafür. Das Impfen in Apotheken etwa funktioniert in der Schweiz gut. (...) In der Schweiz übrigens sind auch Videosprechstunden für Patienten längst nicht nur in entlegenen Bergdörfern bereits eine Selbstverständlichkeit. Damit hat sich die deutsche Ärzteschaft lange schwer getan und tut es zum Teil, wie in Brandenburg, auch heute noch. Aber die Rahmenbedingungen verändern sich rasant. Das wissen gerade auch viele junge Ärzte. Sie ahnen, wie das enden kann, wenn man sich der Entwicklung verweigert und Patientenwünsche ignoriert: Dann sitzt vielleicht bald der Telemediziner in China, andere Diagnosen erledigt eine US-App und das Selbstimpfungs-Set kommt per Post aus Holland. Und das birgt dann wirklich Gefahren. Deshalb müssen die deutschen Mediziner schnell konstruktive Antworten finden.«
Als Außenseiter, der doch auf eine Weise dazugehört, möchte man die Haltung der großen Mehrheit der gewählten Vertreter*innen der deutschen Ärzt*innenschaft und damit den Gruppenkonsens der Ärztekammern ungefähr so beschreiben: Wir Ärzte halten als verschworene Gemeinschaft in unserer vielfach feindlich bestürmten Wagenburg zusammen. Kraft unserer überragenden Kompetenz beanspruchen wir in allen Gesundheitsfragen die Führungsrolle; neue Fragen und Problemstellungen sollten unter ärztlicher Leitung bearbeitet werden, für diese Bemühungen fordern wir Wertschätzung und angemessenen Lohn. Die Parade automobiler Kostbarkeiten hinter dem Tagungshotel der Delegierten aus Bayern verweist auf das erforderliche Niveau. Die nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe dürfen allgemein assistieren, wann und wo und soviel es uns gefällt.
Nach einer Studienreise ins dänische Gesundheitswesen – wie wir sie letztes Jahr gemacht haben – wünschte man sich einen Staat als Sachwalter gesundheitlicher Daseinsvorsorge, als gemeinwohlorientierten Dienstleister der Gesellschaft. Stattdessen wird die Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen als Monstranz beschworen und erscheint bei ehrlicher Betrachtung als Spielball und Beute der Lobbygruppen – eine Wahrnehmung und Selbstkritik ihrer Veränderungsresistenz und Schwächen fehlt. So verwundert es auch nicht, dass der rhetorisch brillante Bundesgesundheitsminister Spahn nach anfänglichen Buhrufen den Ärztetag so einlullen konnte, dass er mit tosendem Beifall verabschiedet wurde, ohne zu kritischen Themen wirklich Position bezogen zu haben. Zusammengefasst: nichts Neues auf dem Ärztetag! Diese Selbstbezogenheit trat auch peinlich zutage beim Schwerpunkt: »Wenn Arbeit krank macht«. Als wären Ärzt*innen die einzige leidende Gruppe im Gesundheitswesen, die Aufmerksamkeit verdient.
Die Präsidentenwahl ...
Dr. Klaus Reinhardt, deutsch, weiss, männlich, um die 60 Jahre alt (trifft auf die Mehrzahl der Delegierten zu, auch auf mich), jovial patriarchal und seriös bei der Sitzungsleitung des Plenums, wie »der« Münsterländer so ist, konservativ, ziemlich aalglatt, nicht abstoßend, aber auch kein Sympathieträger. Er vertritt zurecht die Deutsche Ärzteschaft, wie sie war und mindestens knapp mehrheitlich noch ist. Passt.
Frau Wenker vom mb ist dem üblichen brennenden Ehrgeiz konkurrierender mb-ler und der Unfähigkeit des mb zum Opfer gefallen, diese brennenden Ehrgeizlinge zu zügeln. Also hat mb-Frau Gitter (unsäglich z.B. als Kettenhündin gegen psychologische Psychotherapeut*innen) sich als Mitglied im »Team Reinhardt« erfolgreich gegen sie beworben. Der mb wollte angeblich (wer weiß, die Wahl ist ja geheim und einzeln) Frau Wenker, die sehr kommunikationsstark und offen ist und in positiver Weise dem Geschlechtsrollenstereotyp »Frau« entspricht, aber halt nicht so rhetorisch scharf geschliffen und propagandistish auftritt, sondern auch etwas Gelassenes und Nachdenkliches hat. Ich sage, das stünde uns besser an und wäre moderner. Trotzdem, sie ist stramm konservativ keine Frage. Mit Günther Jonitz haben wir politisch vielleicht die meiste Deckung, aber er überzeugt als Persönlichkeit und unter dem Aspekt Glaubwürdigkeit nicht, seine Bilanz nach langer Präsidentschaft in Berlin ist umstritten.
Die oppositionellen/kritischen/demokratischen Abgeordneten
Robin Maitra (BaWü) hatte sich intensiv um Vorbereitungen und Vorabsprachen der Abgeordneten zu Anträgen etc. gekümmert. Auf dem DÄT hatten die Berliner*innen informell die operative Leitung für uns, Katharina Thiede mischte beim Ablauf intensiv mit, machte auch in Geschäftsordnungsdebatten im Plenum Anträge zuletzt noch zustimmungsfähig etc. und ist auf dem ÄT sehr respektiert. Die Berliner*innen stellten eine große Zahl an oft sehr guten Anträgen, wie auch BaWü und auch die Hessen inhaltlich gut vorbereitet waren. Die Zusammenarbeit war auf alle Fälle freundlich und reibungslos und abends waren wir auch öfters beieinander. Die vdää-Abendveranstaltung mit dem Film »Der marktgerechte Patient« und anschließender Diskussion, gemeinsam mit den kritischen Medizinstudierenden aus Münster und dem Münsteraner PflegeBündnis war mit knapp 40 Teilehmer*innen recht gut besucht.
Welche politische Wirksamkeit primär appellative Anträge auf dem ÄT entfalten angesichts der sinkenden Bedeutung des Ärztetages in der öffentlichen Debatte ist jedoch eine Diskussion, die wir unter uns führen sollten. Ewige Debatte – ist der Ärztetag den Aufwand politisch wert? Wir haben viele gute Anträge durchbekommen, einige Auseinandersetzungen rauben einem allerdings plötzlich den Atem: Als die Frage diskutiert wurde, welche Anforderungen an die Anerkennung ärztlicher Berufsabschlüsse aus nicht-EU-Ländern zu stellen seien, insistierten einige Abgeordnete vor allem aus den neuen Bundesländern mit solch einer fremdenfeindlichen Giftigkeit, dass das III. Staatsexamen erneut abzulegen sei statt »windelweicher« Gleichwertigkeitsprüfungen, dass man die Wucht des rechten Diskurses im Osten beinahe körperlich spüren konnte. Oder wenn ein BÄK-Vorstandsmitglied in einem torfnasigen Anfall meint, die Solidaritätsadresse für die zu Haft verurteilten türkischen Ärztekammeroffiziellen, die Krieg als gesundheitsschädlich kritisiert hatten, sei dem DÄT juristisch als zu allgemeinpolitisch verwehrt. Man wisse ja auch nicht, was dort in der Türkei wirklich vorgefallen sei. Es folgte ein Schlagabtausch und – am Ende – doch die einstimmige Annahme der Resolution. Dann fühlt man sich doch nicht mehr so fremd wie bei manch anderem Punkt.
Interessant ist es schon, sich die von den Delegierten des DÄT abgestimmten Anträge, geordnet nach Themen, zumindest für besondere eigene Interessensgebiete einmal durchzuscrollen: http://122daet.baek.de/index.php?s=Votelist
Unter dem TOP Ib kommen ja die allermeisten Anträge, dort wurden thematische Blöcke gebildet und z.B. zu Umwelt und eHealth von BÄK-Vorstandsmitgliedern überblicksartig eingeleitet, auch mit Kommentierung der vielen Anträge der Delegierten. Man muss allerdings im Weiteren dranbleiben, ob dazu etwas geschieht.
Homepage des 122. Ärztetages: https://www.bundesaerztekammer.de/aerztetag/122-deutscher-aerztetag-2019/ Der Tätigkeitsbericht der BÄK für das vergangene Jahr: https://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/taetigkeitsberichte/2018/
Klimawandel und Gesundheit
Die Klimaaktion »Doctors for Future« vor der feierlichen ÄT-Eröffnung war ein Erfolg; viele aktivistische/studentische Teilnehmer*innen der kritischen Medizinstudierenden (extra angereist und örtlich) waren dabei, wir haben uns untereinander bei der Delegiertenvorbesprechung kennengelernt, Kontaktdaten ausgetauscht etc. Die Film und Fernsehteams haben sich auf die Aktion gestürzt, sicher auch weil ja sonst nichts für die Kamera geboten war.
Die Aktion kam so gut rüber, dass zu diskutieren sein würde, ob das auch ein Thema für den nächsten Ärztetag sein soll – und wurde damit auf die Agenda gesetzt. Robin Maitra und die Berliner hatten eine Strategie abgesprochen, das Thema als ein Schwerpunktthema für den nächsten DÄT zu setzen und das ist mit Beschluss gelungen, Chapeau! https://www.aerzteblatt.de/archiv/artikel?nocache=1&id=208238
Über einen angemessenen Beitrag von uns Ärzt*innen zu diesem Thema werden wir im vdää, aber auch in KLUG und weiteren Initiativen durchaus noch zu diskutieren haben.
Peter Hoffmann
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ärztliches Selbstverständnis heute, 2/2019)