GbP 1-2019 Xanthos Papadopoulos

Soziale Reformen gegen den autoritären Neoliberalismus

Über die Gesundheitspolitik der SYRIZA-Regierung


Andreas Xanthos und Panos Papadopoulos ziehen hier ein Resümee über die Gesundheitspolitik der SYRIZA-Regierung von 2015 bis 2018. Angesichts des Ausgangslage 2015 und der schwierigen politischen Konstellation ist es ihnen –- bei aller berechtigten Kritik an der jetzigen Regierung in anderen Bereichen -– gelungen, das öffentliche Gesundheitswesen zu stärken und der verlangten Privatisierung zu widerstehen.


Einleitung

Das Nationale Gesundheitssystem (ESY) Griechenlands wurde im Jahr 1983 von der damaligen PASOK-Regierung implementiert. Ziel war es, die vormals bestehenden Gesundheitsdienste in einem einzigen System zusammenzuführen, und für alle Bürger den Zugang zu einem einheitlichen, öffentlichen und freien Gesundheitssystem zu schaffen. Das System sollte in erster Linie die Krankenhausversorgung sichern, zumal die ambulante Versorgung nicht in das System eingegliedert und weiterhin durch Krankenkassen finanziert wurde; einzige Ausnahme bildeten die staatlichen Gesundheitszentren, die in schwer zugänglichen Regionen eingerichtet wurden.
Bereits Jahre vor der Wirtschaftskrise hatte das Nationale Gesundheitssystem Griechenlands mit Problemen zu kämpfen: Starker Personalmangel, vor allem beim Pflegepersonal, die Abkoppelung der ambulanten Versorgung, geografische Ungleichheiten (Inseln, Gebirgsregionen) beim Zugang, Verschwendung, Korruption und hohe Selbstbeteiligungen. Insbesondere bei öffentlichen Ausgaben für Arzneimittel im ambulanten Sektor kam es in den 2000er Jahren in absoluten Zahlen zu einer Verdreifachung und, bezogen auf das BIP zu einer Verdoppelung, weshalb die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, da eindeutige Hinweise auf Korruption von Ärzten und Politikern vorliegen.1
Die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen Sparmaßnahmen der Troika haben zu drastischen Kürzungen im Gesundheitswesen geführt. Die gesamten öffentlichen Gesundheitsausgaben wurden von etwa 15 Milliarden Euro im Jahr 2008 auf 8,2 Milliarden Euro im Jahr 2014 reduziert. Die Kürzungen betrafen sowohl die Gehälter der Ärzte, die um beinahe 40 Prozent gesenkt wurden, als auch die Budgets der Krankenhäuser. Dadurch entstanden in den Kliniken große Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Medikamenten, Materialien und Verbrauchsmaterialien. Die Hauptauswirkung der Krise des Gesundheitswesens für die Bevölkerung war jedoch, dass immer mehr Menschen nach und nach ihre Krankenversicherung verloren und so vom Gesundheitssystem ausgeschlossen waren. Da der Zugang zu den Gesundheitsdiensten des Systems gebunden war an eine an Erwerbstätigkeit gekoppelte Krankenversicherung (»Bismarck«-System) und da die Arbeitslosigkeit einen Anteil von bis zu 28 Prozent erreichte, verlor ein Großteil der Bevölkerung, etwa drei Millionen Bürger, das Recht auf den Zugang zum Gesundheitssystem. Dass die Krise im Gesundheitsbereich angesichts eines so hohen Bevölkerungsanteils ohne Versicherungsschutz keine größeren Dimensionen annahm, ist lediglich der Solidarität der Ärzte und der (ehrenamtlich betriebenen) sozialen Praxen und Apotheken, die in ganz Griechenland eingerichtet wurden, zu verdanken.
Die im Gesundheitswesen implementierten politischen Maßnahmen waren in den ersten Jahren der Krise weder auf die Lösung der strukturellen Probleme des Nationalen Gesundheitssystems noch der Probleme nicht-versicherter Patienten ausgerichtet. Vielmehr setzten vor allem die Regierungen zwischen 2012 und 2015 mit dem erklärten Ziel der Kostensenkung darauf, das Gesundheitssystem schrittweise zu privatisieren. Durch Abbau, Veräußerungen und Kürzungen im öffentlichen Gesundheitssystem einerseits und durch die Stärkung des privaten Gesundheitssektors auf der anderen Seite, versuchte die damalige Regierung, große Teile der Mittelschicht dazu zu bewegen, zu privaten Krankenversicherungen und damit zum privaten Gesundheitswesen zu wechseln. Einzige Ausnahme im Rahmen dieser Deregulierung war seitens der Regierung von Nea Dimokratia und PASOK die Schaffung des »Nationalen Trägers für die Erbringung von Gesundheitsleistungen« EOPYY, bei dem die unterschiedlichen Versicherungskassen zusammengelegt wurden. So wurde, trotz bestehender Probleme und einer gewissen Trägheit, die Grundlage für einen gleichberechtigten Zugang und eine rationelle Nutzung von Mitteln und Größenvorteilen geschaffen.

Die Strategie der SYRIZA-Regierung im Gesundheitswesen

Angesichts rigider Sparauflagen und der erdrückenden Überwachung durch die »Institutionen« (jede gesetzliche Regelung und politische Maßnahme musste von den Prüfern der Institutionen –- EU, IWF, EZB -– »genehmigt« werden) wurde im Jahr 2015 von der SYRIZA-Regierung eine Strategie umgesetzt, die auf drei Ziele ausgerichtet war:

  1. Ein umfassender Zugang zur Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung, griechischer oder aus­ländischer Herkunft, unabhängig von Versicherung, Erwerbstätigkeit und Einkommen, mit möglichst niedriger finanzieller Belastung der Patienten und dem Ziel, alle gesundheitlichen Belange ohne finanzielle Belastung der Patienten im Notfall abdecken zu können.
  2. Die Unterstützung des Nationalen Gesundheitssystems durch Personal und Finanzmittel zur grundlegenden Abdeckung des Bedarfs der Bevölkerung. Die Versorgungslücken des öffentlichen Systems werden traditionell durch den privaten Sektor ausgefüllt. Diese Lücken sollen geschlossen, und so der private Sektor zurückgedrängt werden.
  3. Die Reformierung des Systems, um die Qualität der angebotenen Leistungen zu verbessern und die Effizienz des Systems zu steigern, sowie andererseits die Mittelverschwendung zu begrenzen und die Korruption zu bekämpfen, mit dem Ziel, Mittel einzusparen, die dann dem Gesundheitssystem zum Wohle der Gemeinschaft wieder zugeführt werden können. Eine zentrale politische Maßnahme in dieser Richtung ist die Reformierung des primären Gesundheitssystems, die darauf ausgerichtet ist, das öffentliche Gesundheitssystem in Griechenland zu vervollständigen. Es geht darum, eine Gesundheitsversorgung für alle Bürger aufzubauen, bei der Prävention und gesundheitliche Aufklärung im Mittelpunkt stehen.

Hierbei wird deutlich, dass die Strategie von SYRIZA für das Gesundheitswesen von den Prinzipien der Gerechtigkeit, der sozialen Solidarität, des Schutzes der Schwächeren, der öffentlichen und kostenlosen Gesundheitsversorgung, der menschlichen Würde, mit anderen Worten die Prinzipien und Werte der Linken, geleitet wurden.
Fernab von neoliberalen Vorstellungen, die den Gesundheitssektor als weiteren Bereich zur Generierung von Profit betrachten, ist es uns gelungen, uns nicht nur mit einem »Notfallplan« zufriedenzugeben, sondern ein umfassendes Konzept mit visionären Merkmalen vorzustellen, das auf den Prinzipien der Erklärung der Weltgesundheitsorganisation von Alma-Ata (1978) beruht.
So haben wir nicht nur die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gestärkt, sondern auch die Diskussion über den Wert der Politik neu entfacht. Wir konnten -– für das Gesundheitswesen -– den praktischen Beweis erbringen, dass die behauptete neoliberale Alternativlosigkeit (»There is no alternative«) schnell ihre lähmende Wirkung verliert, wenn die Macht derjenigen, die sie predigen und verteidigen, zurückgedrängt werden kann.

Die Maßnahmen der SYRIZA-Regierung im Gesundheitswesen

1. Umfassender Zugang zur Gesundheitsversorgung

Versorgung von Nicht-Versicherten. Die wahrscheinlich größte und bestimmt deutlichste Veränderung im Gesundheitswesen war die Gewährleistung der Versorgung für die gesamte Bevölkerung des Landes, unabhängig von deren Versichertenstatus. Allein mit der Sozialversicherungsnummer, die für alle Bürger des Landes ab deren Geburt sowie für alle Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber, die sich rechtmäßig im Land aufhalten, ohne weitere bürokratische Verfahren und Hindernisse ausgestellt wird, wurde der Zugang zu Gesundheitsleistungen im primären Sektor, zu Medikamenten mit Kostenerstattung, zu Krankenhäusern und sogar zu Behandlungen im Ausland gewährleistet, sofern eine Behandlung in Griechenland nicht möglich ist. Gleichzeitig wurden die bei Krankenhäusern bestehenden Schulden nicht-versicherter Personen in Höhe von über 170 Millionen Euro gestrichen.
Versorgung von Flüchtlingen. Durch den Verbleib von Flüchtlingen im Land sind neue Bedarfe der Gesundheitsversorgung entstanden, die das gebeutelte Gesundheitssystem, vor allem auf den Inseln, nicht bedienen konnte. Mit Geldern von der EU2 (ISF und AMIF) haben wir Programme zur medizinischen Versorgung der Flüchtlinge durch Ärzte und Pflegepersonal in den Flüchtlingslagern erarbeitet und realisiert; dabei wurden die lokalen Krankenhäuser personell verstärkt, ein Mechanismus zur epidemiologischen Überwachung eingerichtet und Massenimpfungen von Kindern veranlasst. Trotz der Probleme und Verzögerungen bei der Realisierung ist es uns gelungen, eine schwere Gesundheitskrise in den Flüchtlingscamps zu vermeiden und die rechtsradikale Rhetorik bezüglich einer angeblich »gesundheitsgefährdenden Zeitbombe« Lügen zu strafen. Es ist bezeichnend, dass bei einer europaweiten Ausbreitung von Masern, mit über 3.500 Fällen in Griechenland, keiner dieser Fälle bei Flüchtlingen festgestellt wurde.
Senkung der finanziellen Belastung für die Patienten. Trotz des erstickenden finanzpolitischen Rahmens erfolgten zwar kleine, aber wichtige Entlastungen im Hinblick auf die Selbstbeteiligung der Patienten. Konkret wurde a) die Gebühr in Höhe von 5 Euro für die ambulante Behandlung in Krankenhäusern aufgehoben; b) die Beteiligung an den Medikamentenkosten für nicht-versicherte Patienten mit geringem Einkommen abgeschafft; c) ab 2019 die Beteiligung für alle Patienten bei der Verschreibung von Generika aufgehoben d) die Zuzahlungen von Tumor-Patienten bei nicht-onkologischen Medikamenten (Antibiotika, kortisonhaltige Medikamente, Antihistaminika etc.) abgeschafft (die onkologischen Medikamente waren bereits kostenlos).
Ausweitung der Leistungen. In den Leistungskatalog der erstattungsfähigen Untersuchungen des Nationalen Trägers für Gesundheitsleistungen (EOPYY) wurden u.a. die digitale Mammographie und pränatale Untersuchungen (Nackenrumpf, Test B) aufgenommen. Für das Jahr 2019 ist zudem eine zahnmedizinische Basisversorgung für alle Kinder (über Gutscheine des EOPYY für private Zahnarztpraxen) in einer Gesamthöhe von 40 Millionen Euro geplant.

2. Unterstützung des nationalen Gesundheitssystems

Einstellung von Personal. Abgesehen von den haushaltspolitischen Einsparungen, forderte die Troika einen massiven Stellenabbau im öffentlichen Gesundheitswesen. Dies sollte durch ein entsprechendes Verhältnis zwischen Pensionierungen und Neueinstellungen erreicht werden (anfänglich zehn zu eins und in der Folge fünf zu eins). Dies führte zu einem dramatischen Rückgang von bereits vor der Krise fehlendem Personal in den Krankenhäusern und bei den sonstigen Dienstleistern im Gesundheitswesen. Wir haben alle möglichen Mittel und Arbeitsformen (befristetes Personal, Programme für Arbeitslose etc.) eingesetzt, um das öffentliche System zu stützen und die Gefahr der Schließung zahlreicher Einrichtungen abzuwenden. In den vier Jahren zwischen 2015 und 2018 wurden insgesamt 15.000 Personen eingestellt, während etwa 6.000 Personen aus dem Dienst ausschieden, mit der Folge, dass das Personal in den Gesundheitseinrichtungen wirksam gestärkt werden konnte.
Stärkung der Budgets von Krankenhäusern.3 Die Budgets der öffentlichen Krankenhäuser waren in der Zeit der Krise um über 50 Prozent reduziert worden (von drei Mrd. auf 1,5 Mrd. Euro), mit dem Ergebnis, dass sowohl bei Materialien als auch bei Medikamenten und sonstigem Sanitärbedarf enorme Defizite bestanden. Ab 2015 wurden die Budgets um etwa 20 Prozent angehoben, was den Krankenhäusern die Möglichkeit gab, der steigenden Nachfrage zur Versorgung nicht-versicherter Patienten nachzukommen. Mit der Implementierung des Rückforderungsmechanismus (Clawback4) bei den Arzneimittelausgaben von Krankenhäusern ist es uns gelungen, auch den jährlichen Anstieg der Kosten (infolge des Zugangs nicht-versicherter Personen, aber auch neuer Medikamente) bewältigen zu können.
Umverteilung von Mitteln des EOPYY an das Nationale Gesundheitssystem. Zweck des Einheitlichen Trägers für Gesundheitsleistungen (EOPYY) ist die Erstattung der Kosten für Medikamente, für Krankenhausaufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern und Privatkliniken, sowie für diagnostische Untersuchungen und besondere Behandlungen (Physiotherapien, Psychotherapien etc.). Seit dem Jahr 2011, in dem das System errichtet wurde, hat es bevorzugt die privaten Anbieter bezahlt, deren Ausgaben unkontrolliert in die Höhe schnellten, da kein Mechanismus zur Kontrolle der Nachfrage bestand; dies führte dazu, dass die öffentlichen Träger nicht hinreichend bezahlt werden konnten und deren Budgets durch das Ministerium für Gesundheit abgedeckt wurden. Mit dem Rückzahlungsmechanismus (Clawback) für alle Ausgaben des EOPYY und mit anderen strukturellen Maßnahmen ist es uns gelungen, die Ausgaben des EOPYY zu begrenzen und damit die öffentlichen Einrichtungen zu stärken.
Nutzung von Großspenden. Es ist selbstverständlich, dass Mittel für Investitionen (Geräte, Gebäude, Ausstattung) in Zeiten, in denen es an finanziellen Mitteln für den tagtäglichen Betrieb des Systems mangelt, noch rarer geworden sind. Abgesehen von kleineren Spenden, die in Krisenzeiten nicht unüblich sind, ist es uns nach Verhandlungen gelungen, zwei Großspenden zu sichern. Die erste Spende in Höhe von etwa 250 Millionen Euro kommt von der Stiftung Stavros Niarchos und wird verwendet für die komplette Errichtung von zwei Krankenhäusern (Allgemeines Krankenhaus in Komo­tini und Kinderkrankenhaus in Thessaloniki), für den Erwerb von zwei Flugzeugen, einem Hubschrauber, 150 Krankenwagen, PET-SCAN-Geräten (Krebsdiagnose) für Krankenhäuser etc.. Die zweite Spende über etwa 100 Mio. Euro kommt von der Onassis-Stiftung und wird für die Errichtung eines Modell-Krankenhauses für die Transplantation kompakter Gewebe (Lunge, Leber) genutzt.

3. Soziale Reformen

Primäre Gesundheitsversorgung. Hierbei handelt es sich um die größte Reform der SYRIZA-Regierung, die einen eindeutig linken Charakter hat und die die Philosophie der Gesundheitsversorgung im Land progressiv verändern und die grundlegenden Gesundheitsindices der Bevölkerung verbessern wird. Zentrales Moment des neuen Systems bilden die Lokalen Gesundheitszentren (TOMY), die jeweils für ein Nachbarschaftsviertel zuständig sind. Die Lokalen Gesundheitszentren werden durch Ärzte (Allgemeinärzte, Internisten und Kinderärzte), Pflegepersonal, »Gemeindeschwestern«5, Hebammen und Sozialarbeiter besetzt. Ihr Zweck ist, Bürgern den Zugang zum Gesundheitssystem zu ermöglichen, grundlegende, nicht-spezialisierte medizinische Bedarfe abzudecken, Patienten an den entsprechenden Facharzt oder ins Krankenhaus zu überweisen sowie Programme zur Prävention und Gesundheitsförderung zu realisieren. Innerhalb der 16 Monate seit der Verabschiedung des Gesetzes wurden in ganz Griechenland schon 101 Lokale Gesundheitszentren eröffnet (Stand Dezember 2018); unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 239 lokale Gesundheitszentren in Betrieb zu nehmen. Finanziert werden diese neuen Zentren durch die Strukturfonds der EU. Es wird jedoch geplant, nach und nach eine entsprechende Finanzierung durch den Staatshaushalt zu erreichen. Das System wurde von den lokalen Kommunen überaus positiv aufgenommen und von der Weltgesundheitsorganisation, die die Bemühungen ihrerseits unterstützt, begrüßt. Einziges Hindernis ist die negative Haltung des Establishments der Ärzte in Griechenland, das an private Arztpraxen gewöhnt ist und die Vorteile des neuen Systems nicht anerkennen will.
Arzneimittelpolitik. Vor dem Hintergrund einer historisch übermäßigen Medikamentenverschreibung, Intransparenz bei der Preispolitik, hohen privaten Ausgaben, und selbstverständlich Verschwendung und Korruption, haben wir eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um umfassende Rahmenbedingungen für die Arzneimittelpolitik zu schaffen. So wurden Richtlinien zur Verschreibung (Prescription Guidelines) erstellt, um einen wissenschaftlichen Rahmen herzustellen und Verschwendung zu kontrollieren. Mit der Schaffung eines Mechanismus zur Verhandlung der Arzneimittelpreise sollen die Ausgaben begrenzt und rationalisiert werden. Weiterhin wurde ein Mechanismus zur Beurteilung der Technologien im Gesundheitswesen (Health Technology Assessment) eingerichtet, um die sozioökonomischen Auswirkungen neuer Medikamente zu beurteilen und die günstigsten Preise zu erzielen. Die Maßnahmen sind langfristig angelegt und haben bereits erste handfeste Ergebnisse hervorgebracht: Die Verhandlung der Preise für Medikamente gegen Hepatitis C hat es uns erlaubt, einen Aktionsplan zu entwickeln, um die Krankheit in Griechenland bis 2030 umfassend einzudämmen. Zudem haben wir mit den Ländern des europäischen Südens (Initiative von Valetta) zusammengearbeitet, um technisches Know-How im Bereich der Pharmapolitik auszutauschen und gemeinsam bessere Preise zu verhandeln. Gleichzeitig konnten wir die Erpressung eines internationalen Konzerns beenden, der damit drohte, ein Krebsmedikament in Griechenland aus dem Verkehr zu ziehen, indem wir dies auf internationaler Ebene zur Sprache brachten (Rat der EU-Minister, Weltgesundheitsorganisation).
Zentrale Beschaffung im Gesundheitswesen. Das Beschaffungswesen der Krankenhäuser und der sonstigen Gesundheitseinrichtungen war aufgrund seiner Organisation und mangelnden Homogenität mit großen Problemen konfrontiert; dies führte nicht nur zu erhöhten Kosten, sondern verstärkte auch die Korruption. Um dieser Situation zu begegnen, wurde die Nationale Zentrale Behörde für Beschaffungen im Gesundheitswesen (EKAPY) ins Leben gerufen, die nach und nach die Belieferung aller Krankenhäuser mit Hygieneartikeln und Medikamenten übernehmen soll, damit Größenvorteile im Einkauf erzielt werden können. Da es bei der Umsetzung dieser Reform aufgrund verschiedener Probleme leider zu Verzögerungen kam, steht die Behörde noch am Anfang ihrer Arbeit. Die ersten Entwicklungen sind aber durchaus positiv.
Operationsliste. Eine wichtige Maßnahme ist ausgerichtet auf die institutionelle Bekämpfung eines langjährigen Problems des Gesundheitssystems, nämlich die Zahlung von Schmiergeldern (sog. »Fakelaki«) an Chirurgen, aber auch auf die Überwachung von Wartezeiten auf chirurgische Eingriffe. Auf Grundlage transparenter Kriterien werden die Patienten je nach Intensität ihrer Krankheitssymptome und des Krankheitsverlaufs auf einer Warteliste erfasst. Die Liste wird in der Folge auf der Website des Krankenhauses mit entsprechender Kennung für die Patienten veröffentlicht.

Schlusswort

Trotz der Bemühungen in den letzten Jahren hat das Gesundheitssystem in Griechenland weiterhin mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen. Die Wirtschaftskrise hat dauerhafte Spuren hinterlassen, die zu den bereits vorher bestehenden Problemen des Systems noch hinzugekommen sind.
Zu den vorrangigen Zielen für die nächste Zeit gehören der Abbau von Ungerechtigkeiten im Gesundheitswesen sowie die Stärkung des Nationalen Gesundheitssystems mit dem Ziel, die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit auf den EU-Durchschnitt zu erhöhen (derzeit fünf Prozent in Griechenland und 6,5 Prozent in der EU) und die privaten Zuzahlungen zu senken. Kurz gesagt, weniger Spardiktate, mehr soziale Reformen.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren ist die Gesundheitspolitik kein Bereich, in dem es darum geht, Partikularinteressen zu bedienen und politische Karrieren zu befördern, sondern ein Bereich, in dem die Schwächsten der Gesellschaft und deren Belange im Mittelpunkt stehen. Erreicht wurde dies durch ein Konzept mit klarem linkem Kompass und mit Beharrlichkeit, sowohl bei den Kompromissen wie in den Auseinandersetzungen. Und das ist eine große Veränderung –von links.

Andreas Xanthos ist Arzt und seit September 2015 griechischer Gesundheitsminister

Panos Papadapoulos leitet das Ministerbüro im griechischen Gesundheitsministerium

Übersetzung aus dem Griechischen: Marietta Kremastioti in Zusammenarbeit mit dem Sprachendienst des Deutschen Bundestages

Redaktionelle Bearbeitung: Nadja Rakowitz, Ralf Kliche, Jan Latza

 

  1. Siehe z.B. https://griechenlandsoli.com/2018/02/07/staatsanwaltschaft-novartis-hat-premierminister-und-andere-hochrangige-politiker-bestochen/
  2. Die Gelder kamen vom Internal Security Fund (ISF) und dem Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF).
  3. Die regelmäßigen Gehaltsbezüge des festangestellten Personals (Ärzte, Pflegepersonal, Verwaltung etc.) werden in Griechenland nicht aus den Budgets der Krankenhäuser bezahlt, sondern direkt vom Finanzministerium. Kosten für Medikamente, sonstige Materialien etc., Überstunden der Belegschaft sowie die Bezüge des nicht festangestellten Personals hingegen werden aus dem Krankenhaus-Budget bezahlt.
  4. Anm. der Herausgeber: Im Rahmen der Memoranden wurde auch ein so genannter »Clawback«-Mechanismus eingeführt, der besagte, dass im Rahmen der Austeritätspolitik auch z.B. die Pharmaindustrie in die Pflicht genommen wurde und – gemessen am tatsächlichen Bedarf – zu hohe Einnahmen für Verschreibungen zurückzahlen musste. (Siehe: https://www.euractiv.com/section/health-consumers/news/greek-government-on-collision-course-with-pharmaceutical-companies-over-innovative-drugs/)
  5. Anm. der Herausgeber: Diese »Gemeindeschwester« besucht (meist eher ältere) Menschen in Wohnungen oder Einrichtungen und kümmert sich um deren Bedarfe und Bedürfnisse, wenn diese sich nicht selbst darum kümmern können (Krankenhausaufenthalt, Ernährung, Hygieneregeln usw.) Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den häuslichen Verhältnissen, den Schulen, den Arbeitsplätzen; besonderes Augenmerk wird auf gefährdete Gruppen der Community gelegt. Die Gemeindeschwester bietet auch Gesundheitserziehung und Beratung an. Sie führt Impfungen, Baby- und Kinderentwicklungstests durch und organisiert Selbsthilfegruppen (vgl. http://edujob.gr/node/235).

 

Dieser Text wird im Mai als Broschüre der Rosa Luxemburg Stiftung mit Kommentaren von Harald Weinberg und Nadja Rakowitz erscheinen unter dem Titel: »Soziale Reformen gegen den autoritären Neoliberalismus. Die Gesundheitspolitik der SYRIZA-Regierung von 2015 bis 2018«; bestellbar bei https://bestellung.rosalux.de  

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ökonomisierung und Privatisierung international, 1/2019)


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