GbP 1-2019 Puntis

Keep Our NHS Public

John Puntis über den Kampf für einen öffentlichen NHS im Jahr 2018


Keep Our NHS Public (KONP)1 ist eine landesweite aktivistische Organisation, die für eine öffentliche, aus Steuern finanzierte und bei Inanspruchnahme kostenfreie Gesundheitsversorgung eintritt. KONP wendet sich gegen die Privatisierung des NHS (National Health Service) und gegen Kürzungen in öffentlichen Einrichtungen, die durch die neoliberale Regierungspolitik vorangetrieben werden.


Im Jahr 2018 war das 70. Jubiläum des NHS und ein intensives Jahr für unsere mehr als 70 Gruppen. Die Webseite und der Newsletter von KONP und die Zeitung Health Campaigns Together (HCT)2 bestärkt unsere Mitglieder darin, kritische Fragen an die Regierung, Leistungsanbieter, service commisioners (Planungs- und Evaluationsorgane im NHS, Anm. d.Ü.) etc. zu richten. Während des letzten Jahres haben wir im ganzen Land aufgeklärt, demonstriert, Flugblätter verteilt, Petitionen erstellt, Veranstaltungen und Kundgebungen abgehalten und vor dem Health Select Commitee (Komitee, das das Handeln des Gesundheitsministeriums beobachtet und überprüft, Anm. d.Ü.) im Parlament gesprochen.

Themen in 2018

Rassismus

Der »Windrush-Skandal« betraf Im­mi­grant*innen von den Westindies, die in den späten 1940er Jahren zum Arbeiten nach Großbritannien gebracht worden waren, und verdeutlichte, wie untrennbar die Themen Vorurteile und Vulnerabilität mit dem Zugang zur Gesundheitsversorgung verbunden sind. Obwohl diese Immigrant*innen seit Jahren in Großbritannien ansässig sind, wurde einigen mit Abschiebung gedroht und anderen gesagt, sie müssten nun für die Behandlung zahlen. Ein öffentlicher Aufschrei zwang die Innenministerin Amber Rudd zum Rücktritt; sie wurde zum Sündenbock für die Abschreckungspolitik von Premierministerin Theresa May.
Die Behandlung im NHS war für ausländische Patient*innen immer kostenfrei; nun müssen Krankenhäuser die Zugangsberechtigung überprüfen, 150% der Behandlungskosten verlangen und diejenigen, die nicht zahlen können, dem Innenministerium melden. Dass die Verwaltungskosten dieser neuen bürokratischen Hürden die so generierten Einnahmen übersteigen, weist auf die Absicht der Regierung hin, in größerem Umfang Gebühren für die Versorgung im NHS zu erheben. KONP begann eine Kampagne, die sich sowohl gegen die Gebühren als auch gegen das entstehende migrantenfeindliche Klima richtete. In einem Krankenhaus (Lewisham & Greenwhich) wurden bei 541 von ca. 9.000 jährlichen Geburten Gebühren erhoben und bei weiteren 1.100 wurde die Anspruchsberechtigung überprüft. Solche Gebühren halten Migrant*innen davon ab, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen und wurden nun von eine Vielzahl von medizinischen Fachgesellschaften (Medical Royal Colleges) verurteilt.

Psychische Gesundheit

Im Verlauf der letzten zehn Jahre wurden die Stellen für Pflegekräfte in der Psychiatrie um 3.800 und die Betten in psychiatrischen Abteilungen um 8.100 gekürzt, während sich die Suizidrate unter jungen Frauen verdoppelt hat. Im Februar wurde der Stadtrat von Lewisham durch Kinder, Eltern, Beschäftigte, Parlamentsabgeordnete, Jon Ashworth (Schattenminister für Gesundheit der Labour Party) und KONP-Aktivist*innen, die Stadtratsmitglieder, das scrutiny panel (Ausschuss, der die Handlungen der Stadtregierung überwacht) und Parlamentsabgeordnete auf die Anhörung vorbereitet, sie hatten über die Gefahren von Kürzungen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgeklärt. Eine Entscheidung, die Finanzierung in diesem Bereich um 150.000 £ zu kürzen, wurde zurückgenommen.

Arbeit mit Gewerkschaften

Kürzungen und Austerität untergraben die Gesundheitsversorgung, die sozialen Dienste und die Bildungsmöglichkeiten von Gewerkschaftsmitgliedern und ihren Familien. Neun landesweite Gewerkschaften haben sich HCT (2016 von KONP gegründet) angeschlossen und gemeinsam mit KONP und der People’s Assembly3 zum 70. Geburtstag des NHS eine riesige Demonstration in London organisiert. Daraus hervor ging eine Abmachung zwischen HCT, KONP und dem Trades Union Congress (TUC) zusammen zu arbeiten bezüglich Wholly Owned Subsidiary Companies (von manchen Krankenhäusern zur Steuervermeidung genutzt, indem Angestellte aus dem NHS und der staatlichen Anstellung und somit aus den Tarifvereinbarungen des öffentlichen Dienstes herausgenommen werden) und psychischer Gesundheit. (…...)

Gesetzesinitiativen zur Wiederherstellung des NHS

Die Labour-Abgeordnete Eleanor Smith unterstützte einen Gesetzentwurf der die gesetzlichen Grundlagen enthielt, um den NHS zurückzuerobern. Ein wichtiger Meilenstein war eine Diskussion im Juli zwischen Labour-Mitgliedern (Allyson Pollock, Peter Roderick) und führenden Aktivist*innen von KONP, HCT und der Socialist Health Association4. Das Ergebnis war die Zusicherung der Labour Party, in Zusammenarbeit mit Aktivist*innen eine Gesetzgebung vorzubereiten, die in ein neu gewähltes Parlament eingebracht wird. KONP organisierte eine das Gesetz unterstützende Demonstration außerhalb des Parlaments und hatte 34.000 Unterschriften für einen Petition gegen eine private Anbieterstruktur. Jon Ashworth schrieb für die Zeitung von HCT und versicherte öffentlich, die Privatisierung zu beenden, das NHS wieder zu einem staatlich finanzierten und angebotenen Versorger zu machen und damit die Grundprinzipien seines Gründers Aneurin Bevan wieder einzusetzen.

Brexit

Die Mitglieder und Unterstützer*innen von KONP haben keine einheitliche Meinung über den Brexit. Aus diesem Grund haben wir als Organisation bezüglich dieses Themas keinen Standpunkt, aber haben versucht, die Folgen für die gesundheitliche und soziale Versorgung zu verstehen. Jahrzehntelang hat der NHS Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben, um die durch die einheimische Bevölkerung offen gelassenen Lücken zu füllen. In den letzten Jahren hat sich der Anteil der Beschäftigten im NHS und den sozialen Diensten, die von außerhalb der EU kommen, verringert. Das liegt an den schärferen Bedingungen für die nötigen Visa: man muss ein Einkommen vorweisen können, welches das übliche Gehalt dieser Berufsgruppen übersteigt. Der Anteil der Klinikbeschäftigen, die aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stammen, ist gestiegen. In den sozialen Diensten ist die Zahl gestiegen, sodass nun 95.000 der 1,34 Mio. Beschäftigen in diesen Bereich aus dem EWR kommen.
Es wird geschätzt, dass es, alle Arbeitsbereiche des NHS zusammengenommen, 110.000 zu besetzende Stellen gibt. Großbritannien bildet nicht genug Ärzt*innen für seinen eigenen Bedarf aus. Es gab zwar eine leichte Zunahme der Studienplätze, es wird aber noch lange dauern, bis sich das bemerkbar machen wird. Untersuchungen bezüglich der Stimmung und der Absicht von Ärzt*innen aus dem EWR, Großbritannien zu verlassen, weisen darauf hin, dass das Risiko der Abwanderung wächst, was weitreichende Besetzungsprobleme zur Folge hätte. Neu angeworbene Arbeitskräfte werden am wahrscheinlichsten aus Asien oder Afrika kommen, oft aus armen Ländern, die es sich nicht erlauben können, ihre Ärzt*innen zu verlieren. Eine Anwerbung ausländischer Fachkräfte im Bereich der Pflege und bei Hebammen findet schon lange statt, obwohl dieser Sektor gegenüber dem ärztlichen Bereich bezüglich Mindesteinkommen und Arbeitserlaubnis stärker reglementiert ist und es hat hier in den letzten Jahren einen Rückgang gegeben.
Nach dem Brexit-Referendum wurde ein Rückgang der Bewerbungen bei Pflege und Hebammen um 96% verzeichnet. Im NHS sind zur Zeit 11,8% der Stellen in der Pflege nicht besetzt, was die Regierung dazu brachte, außerhalb des EWR auf die Suche zu gehen. Vielen anderen spezialisierten wissenschaftlichen Gesundheitsberufen wurden Ausnahmen bei der Immigrationskontrolle gewährt.
Zum 1. Januar 2017 waren 784.900 britische Staats­bür­ger*innen als im EU-Ausland lebend registriert, davon knapp unter 300.000 in Spanien, von denen wiederum ca. 120.000 über 65 Jahre alt waren. Sie bekommen zur Zeit eine kostenfreie Gesundheitsversorgung, aber wenn dieser Zugang wegfällt, könnte eine große Anzahl nach Großbritannien zurückkehren, was das NHS jährlich ungefähr 0,5 Mrd. £ kosten würde.
Das Gesamtbild des NHS und der sozialen Dienste nach dem Brexit zeigt eine höhere Anzahl älterer Menschen, immer weniger im Arbeitsalter, die zum Steueraufkommen beitragen und ernsthafte Besetzungsprobleme, was eine Erleichterung der scharfen Immigrationspolitik und eine Erhöhung der Beschäftigungskosten nach sich ziehen wird. Der Handel mit Medikamenten und Material wird wahrscheinlich negativ beeinflusst werden und der Zugang zu wissenschaftlichen Fördermitteln erschwert. Das Office of Budget Responsibility (von der Regierung ins Leben gerufene öffentliche Stelle, die unabhängige Analysen der öffentlichen Finanzen erstellt, Anm. d.Ü) vermutet, dass die Wirtschaft Großbritanniens nach dem Brexit zumindest anfangs ein geringeres Wachstum als ihre Nachbarn haben wird. Die sogenannte »Brexit dividend« (Geld, das sich aufgrund der wegfallenden Zahlungen an die EU ergeben soll, Anm. d. Ü.), die von Brexit-Befürworter*innen als Finanzierungsquelle für das NHS vorgeschlagen wird, ist illusorisch. Ein sinkendes Wirtschaftswachstum und ein Rückgang an Steuereinnahmen bedeuten weniger Geld für die öffentlichen Dienste. Die unmittelbaren negativen Folgen des Brexit, insbesondere wenn es keinen Deal gibt, könnten eine gestärkte Lobby hervorbringen, die sich im Gegenzug zum Zugang zu Handelsräumen für andere Industrien für den Ausverkauf des NHS einsetzt. Obwohl es schwierig ist, die weiter entfernt liegende Zukunft vorherzusagen, führt ein Abwägen der möglichen Kosten und Vorteile des Brexit in Bezug auf den NHS und die sozialen Dienste zur Vermutung, dass das Resultat ein insgesamt negativer Effekt sein wird, der eine weitere Herausforderung für die darstellt, die sich für eine qualitativ hochwertige öffentliche Daseinsvorsorge einsetzen.

John Puntis ist Secretary bei KONP. Der, hier leicht gekürzte, englische Originaltext ist über die Redaktion zu beziehen.

Übersetzung aus dem Englischen: Felix Ahls

  1. https://keepournhspublic.com/
  2. https://www.healthcampaignstogether.com/
  3. Die People’s Assembly Against Austerity ist eine 2013 gegründete Inititative, die von verschiedenen politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren getragen wird, Anm. d. Ü.
  4. Seit 1930 bestehende mit der Labour Party verbundene Organisation, die sich für einen kostenfrei zugänglichen, staatlichen NHS und eine sozialistische Transformation der Gesellschaft einsetzt, Anm. d. Ü.

Genaueres hierzu findet sich immer noch in der Ausgabe 2/2014 von Gesundheit braucht Politik, das sich dem Thema NHS und den Privatisierungsversuchen gewidmet hatte.

 

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ökonomisierung und Privatisierung international, 1/2019)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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