Wer stoppt die Dealmaschine?
Über die aktuellen Tendenzen bei Fresenius Helios
Achim Teusch zeigt am Beispiel des Fresenius Helios Konzerns die Entwicklung zu einem globalen Gesundheitskonzern in den letzten Jahren und dass die Privaten längst die Vorreiter bei der Umwandlung des sozialstaatlichen Gesundheitswesens in ein kapitalistisches Dienstleistungsgeschäft sind.
Ich erinnere mich an eine Konzernbetriebsratssitzung des KBR der Wittgensteiner Kliniken AG im Jahr 2003. Zwei Jahre zuvor hatte Fresenius die Eintrittskarte in den Krankenhausmarkt gelöst und das Unternehmen aus Bad Berleburg mit rund 30 Akut- und Fachkliniken und 4.600 Beschäftigten gekauft. Die Wittgensteiner Klinken AG war vor dem Kauf defizitär, und sie blieb es auch danach. Umso überraschter waren die Konzernbetriebsrät*innen, als das zuständige Vorstandsmitglied der Fresenius AG erklärte, der Konzern strebe einen Marktanteil im Krankenhausbereich von etwa 20% an. Unsere Prognose war, dass der Anteil bald wieder auf Null Prozent sinken würde. Stattdessen erlebten wir die Verwandlung des eher altbackenen Fresenius Konzerns in die »Dealmaschine« Fresenius.
Dieser Begriff aus der Wirtschaftspresse ist bei Fresenius nicht besonders beliebt. Im Jahr 2014 erklärte Dr. Ulf M. Schneider, der damalige Vorstandsvorsitzende, in einem FAZ-Interview: »Alle vier Geschäftsbereiche von Fresenius lassen sich mit unserer Kombination aus organischem Wachstum und gezielten Übernahmen nach wie vor gut weiterentwickeln. Wir sind nämlich keine ‚Dealmaschine‘, wie es uns manchmal unterstellt wird, aber auch kein Unternehmen, das ausschließlich aus eigener Kraft wachsen will.«
Dessen ungeachtet nahm die Dealmaschine Fahrt auf
2005 kaufte Fresenius die Helios Kliniken für 1,58 Milliarden Euro. Das Geld erhielt ein einziger Mann, Lutz Helmig. 13 Jahre danach, im März 2018, berichtet das Handelsblatt: »Der deutsche Milliardär Lutz Helmig greift nach dem südafrikanischen Ingenieurbau-Konzern Murray & Roberts [...] Die Offerte liegt mit 15 Rand je Aktie um 56 Prozent über dem Schlusskurs vom Donnerstag, das Unternehmen wird damit mit 6,7 Milliarden Rand (465 Millionen Euro) bewertet.«
Von wegen:
»Wir reinvestieren unsere
Gewinne ins Gesundheitswesen.«
Die Gewinne aus dem »Krankenhausgeschäft« (Fresenius Helios) fließen in den großen Konzernpool, dort vermischen sie sich mit den Gewinnen aus dem Dialysegeschäft (Fresenius Medical Care), aus klinischer Ernährung und Infusionstherapie (Fresenius Kabi) und aus Bautätigkeit und Facility-Management (Fresenius Vamed). Aus dem großen Pool fließen sie dann weiter in die verschiedenen »Deals«: 2006 übernahm Fresenius Medical Care die Renal Care Group (Nashville, Tennessee) für 3,5 Milliarden US-Dollar. 2008 erwarb Fresenius Kabi für 3,7 Milliarden Dollar den US-amerikanischen Generikahersteller APP. 2012 kaufte Fresenius Kabi für 1,1 Mrd. US-Dollar Fenwal (Geräte zur Gewinnung und Verarbeitung von Blut für Blutbanken und Krankenhäuser) und wurde zum weltweit größten Anbieter von Blut-Transfusionstechnik. 2017 übernahm Fresenius Kabi das Biosimilars-Geschäft von Merck für 656 Millionen Euro. 156 Millionen Euro wurden mit Abschluss der Übernahme gezahlt. Im Juni 2018 übertrug Fresenius sein stationäres »Reha-Geschäft«, 38 Gesundheitseinrichtungen und 13 Service-Gesellschaften »mit Schwerpunkt auf stationärer Rehabilitation und Pflege« von Helios auf Fresenius Vamed. Die »Vamed« wurde 1982 als Tochtergesellschaft des Stahl- und Rüstungskonzerns Voest Alpine gegründet, um das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien (AKH Wien) fertigzustellen. 1996 erwarb Fresenius 77% der Anteile. Immer noch gehören 13% dem österreichischen Staat, 10% der B&C Holding.
Welche Deals durfte Helios machen? Für Helios reservierte der Konzern die größten und schönsten Deals: 2013 eignete sich Fresenius Helios für 3 Milliarden Euro die Mehrzahl der Krankenhäuser der Rhön-Klinikum AG an und wurde zum größten privaten Klinikbetreiber in Europa. Die Rhön Klinikum AG bot ihren Aktionären den Rückkauf von 66 Mio. Aktien (von 138 Mio.) zum »Angebotspreis« von 25,18 Euro pro Aktie an. Insgesamt wurden 1,63 Mrd. Euro an die Aktionäre ausgezahlt.
Von wegen:
»Wir reinvestieren unsere
Gewinne ins Gesundheitswesen.«
Nebenbei leerte der Konzern seine Portokasse und schluckte die Krankenhäuser der Maximalversorgung in Krefeld und Duisburg, die Humaine Kliniken und die Damp-Klinken. Alles nicht der große Wurf, mag man in der Konzernzentrale in Bad Homburg gedacht haben. Und schlug zu, als die Gelegenheit sich bot: Im Jahr 2016 überschritt Fresenius Helios die deutschen Grenzen und folgte den Wegen des Habsburger-Kaisers Karl V. nach Spanien und von dort nach Peru und Kolumbien. Jetzt geht auch im Helios Reich »die Sonne niemals unter«. Quirónsalud, größter privater Krankenhauskonzern in Europa außerhalb der BRD, 46 Krankenhäuser, 6.600 Betten, 56 ambulante Gesundheitszentren, 300 Einrichtungen für betriebliches Gesundheitsmanagement, 35.000 Beschäftigte, kostete 5,8 Mrd. Euro. Dieses Geld floss an das Private-Equity-Unternehmen CVC.
Quirónsalud erwarb Ende 2016 50% einer Privatklinik in Peru (»La clínica Ricardo Palma es la más grande del país y recibirá el know how europeo para hacer más eficientes sus procesos«, schreibt El comercio). Procesos más eficientes! Einspringen? Nachts allein? 2018 übernimmt Quirónsalud Clínica Medellín, zwei Krankenhäuser mit 185 Betten, »und erschließt damit den attraktiven privaten Krankenhausmarkt in Kolumbien« (Fresenius Presseerklärung).
Im Jahr 2017 betrug der Umsatz von Quirónsalud 2,372 Mrd. Euro. Der Kaufpreis liegt also bei 244,5% des Jahresumsatzes. Wer so viel Geld ausgibt, um immer neue Zukäufe zu ermöglichen, muss Aktien und Anleihepapiere ausgeben und Kredite aufnehmen. Er muss die Kredite bedienen und die Aktionär*innen und Anleihebesitzer*innen zufriedenstellen. Gelingt das?
Seit 2003 hat Fresenius den Umsatz mehr als vervierfacht (auf 33,89 Mrd. Euro im Jahr 2017) und den Gewinn vor Zinsen und Steuern mehr als versechsfacht (auf 4,83 Mrd. Euro im Jahr 2017). »Der Gesundheitskonzern Fresenius erhöhte die Dividende in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt um knapp 25%«, berichtet das Handelblatt und zählt Fresenius deshalb zu den »Dividenden-Aristokraten«.
Am 30.06.2018 betrug die Zahl der Aktien 555.616.093. Die Ausschüttungssumme lag im Jahr 2017 bei 416 Mio. Euro.
Von wegen:
»Wir reinvestieren unsere
Gewinne ins Gesundheitswesen.«
Umso erschrockener und überraschter reagierten die Anleger auf eine Gewinnwarnung im Oktober 2018. Die Schlagzeilen von FAZ und Handelsblatt vom 17.10.2018 spiegeln ihre Alarmstimmung wider:
- »Aktienkurse fallen: Gesundheitskonzern Fresenius unter Druck« (FAZ)
- »Fresenius Medical Care schockiert mit Gewinnwarnung – Aktien fallen in den Keller« (Handelsblatt)
- »Doch auch die Tochtergesellschaft Helios kämpft mit Gegenwind« (FAZ)
- »Berenberg-Analyst Tom Jones überrascht die Entwicklung von Helios nicht« (Handelsblatt)
Während es Fresenius nach Peru und Kolumbien zieht, erwirbt die französische Klinikkette Ramsey Générale de Santé (RGdS), zu 50,9% im Besitz des australischen Konzerns Ramsey Health Care, die Aktienmehrheit der schwedischen Capio Gruppe, die ca. 180 Gesundheitseinrichtungen mit mehr als 13.000 Beschäftigten in Skandinavien, Frankreich und der BRD betreibt. Die globale Konkurrenz der privaten Betreiber verschärft sich. Private-Equity-Gesellschaften haben in den letzten 3 Jahren 6 Krankenhäuser, 26 MVZ, 9 Rehakliniken, 43 Pflegeeinrichtungen und 3 Homecare-Einrichtungen in der Bundesrepublik gekauft.
Die Käufer kommen aus GB (12), Deutschland (11), den USA (6), Frankreich (3), den Niederlanden, Belgien, Schweden (je 2), Luxemburg, der Schweiz und Jersey (je 1). »Chinesen kaufen traditionsreiche Reha-Klinik in Bad Reichenhall« (Reichenhaller Tageblatt, 26.05.2018).
Die »Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung« des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unterscheidet zwischen einem Kernbereich der Gesundheitswirtschaft, in dem 2017 258,2 Mrd. Euro umgesetzt wurden, und einem »erweiterten Bereich«, der es auf 91,6 Mrd. Euro brachte. Dazu zählen z.B. »Sport-, Wellness- und Tourismusdienstleistungen«. So wundert es nicht, dass Fresenius und Nestlé 2014 um die Übernahme der Sparte »Medical Nutrition« des französischen Danone Konzerns konkurrierten.
Die Konkurrenz führt in die Weite (Welt) und in die Breite (»Nestlés success is built on its Nutrition, Health and Wellness strategy.«). Dr. Ulf M. Schneider ist inzwischen übrigens CEO von Nestlé. »Weil Krankenhäuser die Netzknoten der regionalen Gesundheitsversorgung sind, müssen vor allem die strategisch wichtigen Krankenhäuser in öffentlicher Hand bleiben (...) Wir wenden uns gegen weitere Privatisierung von öffentlichen, freigemeinnützigen und kirchlichen Krankenhäusern und stärken die Gegenwehr gegen Privatisierung.« Das beschlossen die ver.di-Delegierten aus dem Gesundheitswesen und dem Sozial- und Erziehungsdienst auf ihrer letzten Bundesfachbereichskonferenz. Doch die Privatisierung des Krankenhausbereichs ist weit fortgeschritten. Im Jahr 2017 waren 720 von 1942 Krankenhäusern und 93.000 von 497.000 Betten privat.
Das ist nicht überall so. Die österreichische »Kleine Zeitung« sprach mit dem Vorstandschef von Fresenius Vamed, Dr. Ernst Wastler: »Gefragt, ob die Vamed interessiert sei, Spitäler der Unfallversicherung zu übernehmen, sagte Wastler, das österreichische Erstattungssystem lasse es – im Gegensatz zum deutschen – nicht zu, in der Akutversorgung Gewinne zu erzielen. Daher seien in diesem Bereich hauptsächlich kommunale bzw. gemeinnützige Träger tätig (...) Gäbe es in Österreich ähnliche Erstattungsvoraussetzungen wie in Deutschland, wo private Gesundheitskonzerne Gewinne erzielen könnten, würden ›in kürzester Zeit‹ europäische Gesundheitsdienstleister auch hierzulande anbieten, meint Wastler. Ob sich dadurch das Gesundheitssystem verbessern würde, beantwortete der Vamed-Chef nicht. In Österreich sei das Leistungsniveau bereits jetzt sehr, sehr hoch. Es sei eine Grundsatzentscheidung, ob man Gesundheitsversorgung in gewissen Bereichen ausschließlich der öffentlichen Hand überlassen wolle oder ob man auch private Anbieter haben möchte.«
Die Kritik am Aufstieg der privaten Krankenhauskonzerne ist in der Öffentlichkeit groß, kommt aber in den politischen Parteien kaum an. Nur die Partei Die Linke sagt in ihrem Bundestagswahlprogramm: »Krankenhäuser gehören in öffentliche Hand«! und kündigt an: »Wir wollen Gesundheitseinrichtungen durch öffentliche Träger zurückkaufen.« Auf örtlicher und regionaler Ebene gibt es auch radikalere Forderungen: »Probleme bei Ameos: Linke im Landtag denken über Enteignung nach«, berichtet die Mitteldeutsche Zeitung am 19.05.2018.
Die privaten Konzerne aus dem Gesundheitswesen zu verdrängen, erfordert Auseinandersetzungen, die das politische und gesellschaftliche System erschüttern, vergleichbar mit den Kämpfen um den Ausstieg aus der Atomenergie und aus der Rüstungsproduktion. Eine lohnende Aufgabe, der wir uns viel stärker widmen sollten. Denn die Privaten sind längst die Vorreiter bei der Umwandlung des sozialstaatlichen Gesundheitswesens in ein kapitalistisches Dienstleistungsgeschäft. Allen voran: Fresenius Helios.
Achim Teusch ist Arzt und hat bis zu seiner ensionierung in einem Helios Krankenhaus gearbeitet und war dort im Betriebsrat; er ist bei ver.di NRW aktiv.
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: 2018 Ökonomisierung und Privatisierung, 4/2018)