GbP 3-2018 Dieter Lehmkuhl

Divestment

Über ein Mittel zum Klimaschutz

In den Jahren 2015-2016 beteiligten sich knapp 3.000 Ärzt*innen mit einem bundesweiten Appell an ihre Versorgungswerke, Beteiligungen aus fossilen Energieunternehmen, insbesondere der Kohle aus ethisch-gesundheitlichen wie auch aus finanziellen Risikoerwägungen abzuziehen, nicht mehr neu zu investieren und in nachhaltige Investments umzuschichten. Dieter Lehmkuhl, einer der Initiatoren, stellt diese Kampagne, die indirekt auch eine Kampagne um mehr Aufmerksamkeit für das Thema Klimawandel und Gesundheit war, hier dar und berichtet über die gemachten Erfahrungen und Grenzen.
Was ist Divestment?

Divestment (deutsch: Desinvestition oder auch Devestition) bezeichnet das gezielte Abziehen von Kapital aus ethischen und politischen Gründen. Es ist eine Form des ethischen Investments und zielt auf Unternehmen, deren Geschäftsmodell schädlich ist (wie z.B. die Tabak-, Rüstungsindustrie oder die der fossilen Energiegewinnung und -erzeugung). Divestment entzieht den Unternehmen notwendiges Kapital und erhöht so deren Refinanzierungskosten. Vor allem aber sendet es ein Signal an Politik, Unternehmen und Investoren, dass ein auf der Verbrennung fossiler Energien basierendes Geschäftsmodell angesichts des Klimawandels keine Legitimität mehr beanspruchen kann. Weitere Gründe für ein solches Divestment sind die erheblichen gesundheitlichen Risiken sowie die großen finanziellen Risiken, die Investitionen in fossile Energien beinhalten. Diese werden mit der notwendig schnellen Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft weitgehend in der Erde bleiben müssen und damit Gefahr laufen, ihren Wert zu verlieren (»stranded assets«). Insofern ist auch die treuhänderische Verantwortung der Verwaltung von Pensionsfonds berührt.

Der Kontext

Im internationalen Gesundheitssektor, vor allem in der angelsächsischen Ärzteschaft, erhielt das so genannte Divestment Unterstützung von renommierter Seite. Das British Medical Journal war mit dem Editorial »Climate Change and Human Survival« vom Juni 2014 der Wegbereiter fu?r den Beschluss der British Medical Association (BMA), der A?rzt*innen und ärztliche Institutionen aufforderte, ihr Geld aus Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie abzuziehen, in erneuerbare Energien zu reinvestieren und Klimawandel und Gesundheit zu einem zentralen Thema im Gesundheitswesen, der Öffentlichkeit und der Politik zu machen. Als Hauptargument für Divestment/Reinvestment wird angeführt, dass es falsch sei, von einer Industrie zu profitieren, deren Kerngeschäft die Gesundheit des Menschen und des Planeten gefährde. Es gehöre zu den Grundlagen der ärztlichen Ethik, niemandem Schaden zuzufügen. Dem Beschluss der BMA folgten 2015 die nationalen Ärzteverbande Kanadas (CMA), der größte Ärzteverband Australiens (RACP), der Weltverband der Public Health Associations und 2016 auch der Weltärztebund (WMA).

Die Kampagne

Zwei Kollegen wandten sich im Frühjahr 2015 mit einem Brief, der von 110 Mitgliedern unterzeichnet wurde, an ihr Versorgungswerk, die Berliner Ärzteversorgung (BÄV) mit der Forderung, die Beteiligung an fossilen Energieunternehmen zu beenden. Motiviert wurden wir durch die internationale, schnell wachsende zivilgesellschaftliche Klimaschutzbewegung (fossil free, 350.org), die zum »Divestment« aufruft und die von zahlreichen Wis­sen­schaft­ler*in­nen und Nobel­preis­trä­ge­r*in­nen sowie renommierten Institutionen unterstützt wird.

Die BÄV entschied unmittelbar nach der Pariser Klimakonferenz im Dezember 2015, ihre Beteiligungen an CO2-intensiven Unternehmen der fossilen Energiegewinnung zu beenden und konkretisierte diesen Beschluss dann Ende 2016. Als ersten Schritt nannte sie den Ausschluss der Aktien von Unternehmen der kohlebasierten Energieerzeugung (Minen und Kraftwerke) soweit deren Umsatz mehr als 25% des Umsatzes dieses Unternehmens ausmacht, veröffentlichte diesen Beschluss auf ihrer Website und gab ihn über eine Pressekonferenz bekannt – ein Novum.

Mit dem Beschluss der BÄV, dem Pariser Klimaabkommen und der zunehmenden Zahl von nationalen Ärzteverbänden im Rücken, die sich für eine Divestment aussprachen, weiteten wir die Kampagne mit einem bundesweiten Appell auf alle Versorgungswerke aus. Der Appell wurde außer von den 3.000 Ärzt*innen von sechs Ärzteorganisa­tion­en unterstützt, darunter der vdää. Im Mai 2016 wandten wir uns mit einer Pressemitteilung an die (medizinische) Öffentlichkeit; dies stieß auf vergleichsweise wenig Resonanz. Neben zwei bis drei Fachjournalen brachte jedoch die Süddeutsche Zeitung einen Beitrag zum Deutschen Ärztetag (DÄT) 2016 mit dem Titel: »Die Ärzte und die Kohle«.

Auf dem Ärztetag 2016 wurden, von uns initiiert, zwei Anträge eingebracht. Der erste orientierte sich in seinen Empfehlungen am Beschluss der British Medical Association von 2014 (s.o). Der zweite forderte explizit die Versorgungswerke zum Divestment aus fossilen Brennstoffunternehmen auf. Wir baten weiterhin das Deutsche Ärzteblatt (ohne Erfolg) unter Hinweis auf die breite Debatte in angelsächsischen Ländern, der Berichterstattung zum Klimawandel und Gesundheit den Raum zu geben, welcher der Bedeutung des Themas angemessen wäre und verwiesen auf das Beispiel von The Lancet und dem BMJ. Das Verhältnis der Berichterstattung zum Thema zwischen BMJ und Deutschem Ärzteblatt zur damaligen Zeit (2015/2016) war 20:1. Wir führten Gespräche mit Vorständen von zwei Versorgungswerken und boten Beiträge in den Blättern der Landesärztekammern an. Zwei brachten Meinungsbeiträge von uns.

Der bundesweite Appell führte zu unterschiedlichen Reaktionen in den Versorgungswerken: von einem sinngemäßen: »Lasst uns bitte in Ruhe« bis hin zu: »Machen wir doch schon«. Das Wissen um die Thematik war sehr unterschiedlich. Wir werteten es als Erfolg, wenn wir den Eindruck hatten, dass zumindest das Problem hinreichend verstanden wurde und eine gewisse Offenheit für unser Anliegen da war.

Fazit

Wir haben das Thema Divestment aus fossilen Energien auf die Tagesordnung der Versorgungswerke gesetzt und damit auch das Thema Klimawandel und Gesundheit. Den Beschluss der BÄV werten wir als Erfolg, wenn er u.E. auch nicht weit genug geht, da nur die kohlebasierten Unternehmen der Energiegewinnung bisher vom Divestbeschluss erfasst sind (1% des Anlagevermögens), nicht jedoch die ganze Wertschöpfungskette der Kohlegewinnung inklusive der Kohleinfrastruktur und der Kreditgeber bzw. Finanzierer von Kohleunternehmen – oft deren Tochtergesellschaften.

Mangelnde Transparenz und Geheimhaltung

Die meisten Ärzteversorgungswerke geben an, bereits Nachhaltigkeitskriterien bei ihren Investments zu berücksichtigen. Inwieweit dies jedoch geschieht, lässt sich nicht unabhängig überprüfen, da, abgesehen von den Gremienmitgliedern, selbst die Nachhaltigkeitsstrategien geheim sind und auch das Portfolio selbst gegenüber den Mitgliedern nicht offen gelegt wird. Die Geheimhaltung wird von den Versorgungswerken mit Geschäftsgeheimnissen begründet. Sie stünden auch untereinander in Konkurrenz um attraktive Anlagen.

Dabei ist die Frage offen, ob die Versorgungswerke als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder denen nachgeordnete Einrichtungen nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder nicht doch auskunftspflichtig sind. Wir haben das juristisch prüfen lassen mit dem Ergebnis, dass abhängig von den Landesgesetzen zumindest in Teilbereichen Auskunftspflicht bestehen müsste. Wir hatten zur Transparenzfrage in unserem Schreiben an die Ständige Konferenz »Ärztliche Versorgungswerke« der Bundesärztekammer (StäKo) konkrete Vorschläge unterbreitet. Höchst unbefriedigend bleibt die mangelnde Transparenz allemal. Die Ärzteversorgungen sollten entsprechende Veränderungen in die Wege leiten, bevor gesetzliche Regelungen auf europäischer Ebene diese möglicherweise erzwingen.

Rendite sticht Nachhaltigkeit

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die vorrangigen Grundsätze (Ziele) der Anlagen der Versorgungswerke laut Satzung Rendite (Performance), Sicherheit und Risikoverteilung sowie Liquidität sind. Ethische und ökologische Nachhaltigkeitskriterien sind demgegenüber nachrangig und begrenzen daher den Spielraum der Versorgungswerke. Das lässt sich nur lösen, indem der Nachhaltigkeitsgrundsatz als ein gleichwertiges Ziel in der Satzung verankert wird.

Das Thema Klimawandel und Gesundheit im deutschen Gesundheitssektor

Breite Klimaallianzen im Gesundheitssektor setzen sich national und international für Klimawandel und Gesundheit ein. »Die größte Bedrohung der globalen Gesundheit im 21. Jahrhundert« (Lancet 2009) war im deutschen Gesundheitswesen und der deutschen Ärzteschaft bislang kaum ein Thema. Wie kann das sein? Von daher war es von Anfang an unser Ziel, über die Divestment-Kampagne hinaus, Klimawandel und Gesundheit zum Thema auch im deutschen Gesundheitssektor, der Öffentlichkeit und der Politik zu machen. Beispielen anderer Länder folgend wurde im Herbst 2017 dann die Deutsche Allianz Klimawandel & Gesundheit gegründet (siehe Seite 29). Inzwischen wurde an der Charité eine Professur für Klimawandel und Gesundheit, finanziert vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), errichtet.

Im Oktober 2017 forderte der Weltärztebund in seiner aktualisierten Erklärung zum Klimawandel, die von der BÄK mitgezeichnet wurde, seine Mitgliedsorganisationen auf, Klimawandel zu einer prioritären Aufgabe zu machen. Diese Erklärung fand bislang in der verfassten Ärzteschaft keinen Widerhall, liegt nicht in deutscher Sprache vor, noch berichtete das DÄB darüber. Zwei Anträge auf dem DÄT 2018 forderten die BÄK dazu auf, die Erklärung bekannt zu machen und in ihrem Verantwortungsbereich aufzugreifen und umzusetzen, sowie Klimawandel und Gesundheit auf dem nächsten DÄT zu einem Schwerpunktthema zu machen. Beide Anträge wurden an den Vorstand der BÄK verwiesen. Immerhin hat Prof. Montgomery im März diese Jahres  zum ersten Mal in einem Interview öffentlich zum Klimawandel Stellung genommen und gefordert, die Ärzte sollten sich für die Beendigung der Verwendung fossiler Energien einsetzen. Zumindest ein Anfang.

Dieter Lehmkuhl ist Arzt und aktiv bei der IPPNW und MEZIS und stellvertretender Sprecher der Deutschen Allianz Klimawandel & Gesundheit.

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Umwelt und Gesundheit, 3/2018)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

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