GbP 3-2018 Jörg Bergstedt

Wohlbefinden und Weltgeschehen

Jörg Bergstedt über die politische Geschichte der Umweltbewegung

Seit über hundert Jahren gibt es Gruppen und Verbände, die sich um den Schutz der Natur kümmern. Diese Geschichte darzustellen, nimmt ganze Bücher ein (und die gibt es). Hier soll nur ein ganz kurzer Überblick erfolgen, eingeteilt in die Phasen mit prägenden politischen Ausrichtungen, eingebettet im jeweiligen Zeitgeist. Soweit möglich, soll die Frage erörtert werden, wieweit und auf welche Weise Gesundheitsaspekte ein Teil der jeweiligen Diskurse war. (1)

Die Gründungsphase des Naturschutzes

Gedrängt durch die verheerenden Umweltbelastungen aus der Industrialisierung, aber auch aus eigenen Interessen und Vorlieben gründeten sich Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Strömungen. Eine bildete den Vorläufer des heutigen Naturschutzbundes, damals als Bund für Vogelschutz tatsächlich auch fast ausschließlich an Hilfen für die heimische Vogelwelt interessiert. Als Gründerin wird heute vor allem Lina Hähnle benannt. Sie repräsentiert eine wichtige Wurzel der Vogelliebhaberei, denn sie entstammt dem reichen Bürgertum, hier einer Unternehmerfamilie. Emanzipatorische Ziele verknüpften diese mit ihrem Einsatz für mehr Brutmöglichkeiten und Schutzgebiete nicht. Eher setzten sie auf staatlich-autoritäre Maßnahmen wie Verbote und Trennung von Mensch und Natur – mit einer seltsamen Akzeptanz hoheitlicher bis adliger Naturnutzungen. So war z.B. die Jagd selbst in Schutzgebieten, die sonst kein Mensch betreten durfte, in der Regel erlaubt. In Bayern entstand kurz nach dem Jahrhundertwechsel der Bund Naturschutz, der vor allem Staatsbedienstete sammelte, um sich eine eigene Lobby für Forst-, Jagd- und Naturschutzinteressen zu schaffen. Eine Systemkritik erfolgte nicht, angeprangert wurden höchstens einzelne Projekte von Staat oder Konzernen.

Grundlegende Kritik fehlte auch anderen Gruppierungen, die z.B. den Heimatschutz in den Mittelpunkt rückten. Gemeint war damit eine meist eher naturromantische Vorstellung unberührter Landschaften, die tatsächlich aber eher kulturell überformte Regionen wie Forst- und Agrarlandschaften waren, in denen sich nur noch keine Spuren der Industrialisierung eingegraben hatten.

Aspekte von Befreiungsperspektiven entwickelten sich hingegen bei Naturfreunden, Wander(vogel)-, (Lebens)reform- oder z.B. Freikörperkulturspektren. Ihnen ging es neben der den Industriealltag kompensierenden Frei­zeitgestaltung um freiere Lebensentfaltung – ein durchaus früher, eman­zipatorischer Zug, der auch dann mitschwang, wenn in diesen Kreisen der Erhalt von Landschaft thematisiert wurde oder touristische Angebote entstanden. Stark war dieser Impuls allerdings nie, ebenso der Einfluss auf die beginnende staatliche Naturschutzverwaltung. Immerhin fanden sich Verknüpfungen zu Gesundheitsfragen, angefeuert durch die Auszehrung des Körpers durch die industrielle Arbeit und die stark ansteigende Umweltzerstörung.

1933-1945: Gleichschaltung … Verwaltung … Reichsnaturschutzgesetz

Angesichts der starken Nähe großer Teile der Naturschutzbewegung zu staatlichen Strukturen und autoritären Konzepten hatten die National­so­zia­list*innen mit ihnen überwiegend leichtes Spiel. Sie mussten keine NS-Or­ganisationen neu gründen, sondern integrierten den Verband der Vogelschützer als Reichsbund für Vogelschutz in ihre totalitäre Struktur der Gesellschaft. Alle anderen Umweltgruppen wurden aufgelöst und auf den Reichsbund gleichgeschaltet. Der freute sich überwiegend über diesen staatlich verordneten Bedeutungsgewinn – und tat das in seiner Chronologie noch bis in die 70er Jahre!

Überwiegend Freude und Zustimmung erhielten auch die weiteren Naturschutzpolitiken der Nazis. Sie schufen staatliche Behördenstrukturen, erließen das Reichsnaturschutzgesetz (das bis 1976 gelten sollte!), ernannten Beauftragte für Naturschutz- und Landschaftsfragen. Deutsche Autobahnen sollten mit geschwungener, an Hügel und Flüsse angepasster Linienführung die heimatliche Prägung betonen. Der Vernichtungskrieg Richtung Osten wurde auch damit gerechtfertigt, die überlegene deutsche Kulturlandschaft in die »verwahrlosten Landschaften« z.B. Polens zu bringen.

Der Naturschutz erwies sich für die Nationalsozialist*innen als Ansammlung williger Vollstrecker – und damit als das, was die meisten Teile der Gesellschaft waren und es den Nazis damit leicht machten. Kaum einer war feuriger Faschist, aber ein paar Pöstchen in den neu entstehenden Naturschutzverwaltungen und der Eindruck, nun würde sich ein starker Staat um Bäume und Vögel kümmern, machten aus den bestehenden Organisationen leichte Beute. Organisationen und Gruppen, die ihre Naturverbundenheit mit Freiheitsideen verbanden, wurden von den Nazis hingegen verboten.

Nachkriegszeit und pro-staatliche Orientierungen

Trotz der skandalösen Einbindung in Nationalsozialismus und Vernichtungskrieg gehörten die Naturschutzströmungen zur großen Masse der Gesellschaft, die nach dem zweiten Weltkrieg eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil an den Verbrechen verweigerten. Die vormals bestehenden Verbände entstanden wieder, aber das Thema hatte keinen Stellenwert. Nachkriegsnot, dann die autoritäre Restaurierung des Landes und schließlich die Phase des »Wirtschaftswunders« verdrängten Umwelt- und viele andere politische Themen. Das änderte sich erst mit der allgemeinen Politisierung gesellschaftlicher Debatten, deren Protagonist*innen später als »68er« bekannt wurden.

Anfänge der Anti-Atom-Bewegung: Bunte Sammlung von rechts bis links

In dieser Phase flackerten auch erste Kämpfe um Atomkraftwerke auf. Damals ging es um den Bau der Mailer – und schon in den ersten Jahren konnten auch einige dieser Auseinandersetzung erfolgreich abgeschlossen werden. Das AKW Wyhl würde zum Beispiel nie errichtet. Die Menschen strömten aus sehr unterschiedlichen politischen Richtungen zu den Aktionen. Erstmals tauchten offen antikapitalistisch und linksradikal auftretende Menschen auf. Ebenso gab es neben breiten bürgerlichen Schichten rechte Strömungen, die in das neue Thema einstiegen. Beispielhaft sei der neofaschistische »Weltbund zum Schutze des Lebens« genannt, der unter seiner Öko-Flagge und in seinem Rundbrief Lebensschutz-Informationen von der Holocaustleugnung bis zum Infragestellen der deutschen Kriegsschuld alles an rechtsextremen Positionen zu bieten hatte. Der Verein, der später das Collegium Humanum in Vlotho als rechte Kaderschmiede gründete und inzwischen verboten wurde (sein Rundbrief lebt unter dem Titel Stimme des Reiches weiter), hatte erheblichen Einfluss auf die sich gründenden Umweltbewegungen. Dabei half ihm seine für diese frühe Zeit überdurchschnittliche Organisiertheit. Auch auf die später zu bundesweiten Akteuren aufsteigenden Umweltverbände und die Ende der 70er sich formierenden GRÜNEN hatte der WSL noch erheblichen Einfluss. Ex-Präsidenten, allen voran Max-Otto Bruker (der sogar zweimal Präsident der Neofaschisten war), waren bei der Gründung des BUND-Bundesverbandes, mehr aber noch bei den GRÜNEN (z.B. in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) in der ersten Reihe und werden noch heute als Gründer und Leitfiguren in einigen Strömungen der Umwelt- und Gesundheitsbewegungen verehrt. Manch ein konservativer Umweltverbandsfunktionär, der damals problemfrei mit den Rechtsaußen unter den Gründern zusammenarbeitete, blieb bis heute prägend. So ließ sich der damalige Präsident des Dachverbandes DNR, Hubert Weinzierl, noch 2005 nach einem Treffen mit CDU-Politiker*innen mit dem Satz: »Naturschutz ist angewandter Patriotismus«, zitieren.

Allgemein führte das Erstarken emanzipatorischer bzw. linker Strömungen in der Gesellschaft aber ab Ende der 60er und dann in den 70er Jahren dazu, dass rechte Ökologen an Einfluss verloren und sich bis auf wenige Ausnahmen aus den großen Gruppierungen zurückzogen. Sie gründeten stattdessen eigene Verbände oder Parteien, die kaum Bedeutung gelangten.

Bürgerinitiativen und ihre Übernahme durch professionelle Verbände und die GRÜNEN

Die 70er Jahre gehörten den Bürgerinitiativen. Aus dem Impuls entstand das Bedürfnis vieler Menschen, sich aus der politischen Abstinenz heraus zu bewegen und in konkrete politische Entscheidungen einzumischen. Im Mittelpunkt standen örtliche Konflikte und einige große überregionale Kämpfe, z.B. weiterhin die Atomfrage. Schnittmengen mit Protesten gegen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung waren deutlich. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, z.T. auch mit Landesverbänden präsent, bildete damals den größten Dachverband, dessen Schlagkraft von keinem späteren Verband jemals wieder erreicht wurde. Allerdings waren dessen Jahre schnell gezählt. Denn aus den breiten Protestbewegungen entstand der Impuls zur Professionalisierung. Der sich gründende BUND auf Bundesebene und die entstehende Partei »Die GRÜNEN« schöpften ab Ende der 70er das gewaltige Potential ab und kanalisierten es Stück für Stück in formale Proteststrategien. Dabei blieb die Distanz zu Konzernen und kapitalistischem Wirtschaften zunächst erhalten. Aus der praktischen Erfahrung mit polizeistaatlichen Strategien der Obrigkeit und schwindendem Vertrauen in bürger*innenferne Politiken resultierte ein starker Ruf nach mehr Bür­ge­r*in­nen­beteiligung, der in vielen Gesetzen seinen Niederschlag fand.

Neoliberaler Wandel: Pro Markt ab den 90er Jahren

In den 90er Jahren, mitgerissen vom neoliberalen Zeitgeist, ersetzten in fast allen Umweltverbänden Konzepte einer Vereinigung von Ökologie und Ökonomie die bisherige Konfrontation mit Konzernen. »Die Stärke des Marktes liegt darin, über den Wettbewerb alle Teilnehmer zu veranlassen, beständig auf den bestmöglichen Einsatz von Kapital, Material, Menschen und Zeit zu achten«, phantasierten beispielsweise BUND, EED und Brot für die Welt in ihrer Studie »Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt« (Kurzfassung, S. 19).2 Angetrieben wurde dieser Wandel durch umfangreiche Fördergelder des Staates, der die Vermarktwirtschaftlichung von Umweltschutzkonzepten unterstützte, und die schnelle Zunahme von Ökofirmen.

Die großen Verbände änderten zudem ihre internen Strukturen. Galt früher eine breite und aktive Basis als wichtiges Ziel bei BUND, Nabu und dem allerdings seit den 90er Jahren schwächelnden BBU, so verlagerten sich immer mehr Potentiale in die zentralen Geschäftsstellen. Bundesweit oder sogar international koordinierte Kampag­nen mit starker Orientierung auf überregionale Medien dominierten das Geschehen. Betrieben wurden sie von Hauptamtlichen in den Landes- und vor allem Bundesbüros. Der Anteil an fachlich geschulten Kräften sank zugunsten von solchen, die sich mit Marketing, Fundraising und Lobbyarbeit auskannten. Die erhofften Spendeneinnahmen haben heute fast überall größeren Einfluss auf Thema und Durchführung einer Kampagne als die politischen Notwendigkeiten.

Die bisherige Endstufe der Entwicklung sind reine Bewegungsagenturen, die kein Basis mehr haben und nur noch aus Hauptamtlichen-Apparaten bestehen, die sich modernster Marktforschung und eines Themensettings bedienen, die an finanziellen (Eigen-)Interessen orientiert sind. In Deutschland ist Campact der Marktführer solcher Player. Ironischerweise ist dieser Politkonzern über mehrere Zwischenstufen aus einem Versuch radikaler Öko-Aktivist*innen entstanden, die damals ausgewählte norddeutsche Kleinstadt Verden anarchistisch zu unterwandern. So erklären sich auch der ohne dieses Wissen etwas überraschende Standort von Campact und weitere aus dem gleichen Anfang entstandene, zu modernsten Spendeneintreibern mutierte Strukturen.

Ob die aktuellen Debatten um Postwachstum oder sozial-ökologische Transformation den Glauben an einen grünen Kapitalismus wieder verdrängen oder die endlich mal wieder größere Massen mobilisierenden, aber teilweise oberflächlich-partyesken Protestformate des 70er/80er-Jahres-Nachwuchses neue Strömungen begründen, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.

Fazit zur Rolle der Gesundheitsfrage in der Umweltbewegung

Initiativen und Verbände, die explizit Umweltschutz und Gesundheitsfragen verbinden, sind in der Umweltbewegung kaum spürbar. Allerdings ist das persönliche Wohlbefinden in zwei Phasen zum wichtigsten Antrieb des »mainstreams« der Umweltbewegung geworden: einmal in der Anfangsphase in den Spektren, die eine Befreiung aus den Fesseln der frühen Industriegesellschaft erhofften und neben ihren politischen Forderungen die Lust auf Natur propagierten. Das schlug sich in Wander-, FKK- und ähnlichen Aktivitäten nieder, aber stellte auch die Ernährungsfrage. Die zweite Phase stärkerer Betonung von Gesundheitsaspekten begann in den 90er Jahren und dauert bis heute an. Allerdings geht es hier nicht um die primäre Gesundheitsversorgung, sondern um den »lifestyle of health and sustainability« (lohas), in dem Genuss, hochwertige Lebensmittel und andere Produkte sowie sanfte und aufwändige Behandlungsmethoden im Mittelpunkt stehen. Die darauf ausgerichteten Angebote stehen nur Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen offen. Sie ermöglichen gesunde Lebensweisen auch innerhalb zerstörter Umwelt, in dem die bevorzugten, weniger oder unbelasteten Lebensmittel, Medikamente usw. aus fernen Ländern importiert und auf vielfältige Art aufbereitet werden, verbunden oft auch mit hohem Transport- und Energieaufwand. Eine solche Orientierung entpolitisierte viele Beteiligte der ehemaligen Friedens- und Umweltbewegungen aus 70er- und 80er Jahren, weil nun das eigene Wohlbefinden abgekoppelt vom Gesamtzustand der Welt organisierbar war oder zumindest schien. Insofern haben solche Gesundheitskonzepte wie auch moderne Umweltkonzepte regressive Politikformen und Alltagsverhalten hervorgebracht.

Große Teile der Umweltbewegung sind von der gesellschaftlichen Gestaltung zu individuellem Glückstreben übergegangen – im Zweifel auch rücksichtslos auf Kosten anderer. Allein solche Politikfelder, in denen eine Trennung zwischen Lohas-Insel und Weltgeschehen nicht möglichst ist, blieben bzw. sind weiter gesamtpolitisch organisiert. Die Anti-Atom-Bewegung war dafür das am längsten währende Beispiel, denn radioaktive Strahlung kennt keine Grenzen. In der Gentechnik, für die das eigentlich auch gilt, wurde das Märchen der Gentechnikfreiheit durch Einkauf teurer, gelabelter bzw. Bio-Produkte kräftig geschrieben – und die entpolitisierte Lohas-Szene glaubte den Unsinn, durch Geld Koexistenz kaufen zu können, nur zu gern. Aktuell ist vor allem die Klimabewegung mit ihrem Hauptslogan »System change, not climate change« ein Beispiel, dass ein Bewusstsein für die Untrennbarkeit der eigenen Lebenswelt von der Umwelt für Entstehung oder Beibehaltung einer politischen Betrachtung der Welt förderlich ist.

Jörg Bergstedt ist Umweltaktivist und Publizist.

(1) Ein umfangreicheres Kapitel zur Geschichte der Umweltbewegung enthält das Buch Jörg Bergstedt: »Reich oder rechts? Umweltgruppen und NGOs im Filz mit Staat, Markt und rechter Ideologie«, Frankfurt 2002, (PDF-Download über http://www.projektwerkstatt.de/media/text/oekofilz_2geschichte.pdf)
(2) Weitere Zitate und Ausführungen in: Jörg Bergstedt: »Macht macht Umwelt kaputt«, Reiskirchen 2013

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Umwelt und Gesundheit, 3/2018)


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