GbP 1-2018 Editorial

Ambulante Versorgung

Verfolgte man die Mainstream-Medien in den letzten Monaten, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die größte Misere dieser Republik darin bestand, dass sie bloß von einer geschäftsführenden Regierung verwaltet wurde. Dabei wäre dieser Zustand doch einmal eine schöne Gelegenheit gewesen, die Lehre der (früh-) bürgerlichen Philosophie, dass das Parlament die Regierung kontrolliert und nicht umgekehrt, in die Praxis umzusetzen und als Parlament demokratisch zu arbeiten und das ein oder andere fortschrittliche Gesetz zu erlassen... Mit der erneuten Bildung einer großen Koalition wurde bekanntlich die alte Ordnung wieder hergestellt. Fügsam wie die SPD nun einmal ist, hat sie sich nach der Verkündigung der Regierungsbildung geradewegs verabschiedet von einer Änderung bzw. Streichung des § 219a StGB, also von einer Aufhebung des Verbots der »Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche, für die es eine parlamentarische Mehrheit gegeben hätte. Dies zeigt aber auch, welchen Einfluss die selbsternannten »Lebensschützer« auf diese Regierung haben.

Der von CDU/CSU und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag befasst sich auch mit zahlreichen gesundheitspolitischen Vorhaben - durchaus auch mit einigen Überraschungen: Mit der Festlegung von einer Mindestpersonalanforderung für alle bettenführenden Stationen ist der Protest vieler Beschäftigter im Gesundheitswesen der letzten Monate und Jahren in der Bundespolitik angekommen. Thomas Böhm hat sich für das Bündnis Krankenhaus statt Fabrik die Absprachen der Koalitionär*innen angesehen und diese einzeln kommentiert. Vieles bleibt im Vagen, alles hängt natürlich von ihrer konkreten Umsetzung ab. Als Gesundheitsminister wurde der eher ruhig werkelnde Hermann Gröhe von dem lauten, ehrgeizigen Jens Spahn abgelöst. Von einem Minister, der ein Armutsproblem in diesem Land schlicht negiert, sind keine solidarischen Lösungen zu erwarten.

Einen gänzlich anderen Blick auf die medizinische Versorgung von Armut Betroffener entwickelt in dieser Ausgabe von Gesundheit braucht Politik Gerhard Trabert in seinem Beitrag. Er ist ein eindrückliches Plädoyer dafür, den Blick auf gesellschaftliche Ursachen von Krankheiten Armer zu schärfen. Er analysiert, warum für Teile der Bevölkerung der Zugang zum Gesundheitswesen eingeschränkt ist und wie dem abgeholfen werden kann. 

Daniel Ketteler beschreibt aus der Sicht des Klinikers den erschwerten Zugang sozial benachteiligter Gruppen zu einer adäquaten ambulanten sozialpsychiatrischen Versorgung. Manche seiner Thesen erscheinen dabei diskussionswürdig. Eine Diskussion, die wir aufnehmen wollen. Ebenfalls aufnehmen wollen wir eine Diskussion über Sexismus im Krankenhaus. Wenn man den Bericht der jungen Ärztin Rina in dieser Ausgabe liest, hat man den Eindruck, dass sich am Sexismus besonders im OP in den letzten Jahrzehnten nichts verändert hat. Auch hier ist noch viel zu tun.

Mit der Ökonomisierung des ambulanten Pflegewesens seit Einführung der Pflegekassen beschäftigt sich Wolfgang Wodarg und beschreibt die systembedingte Hilflosigkeit der Patient*innen und ihrer Angehörigen sowie der Kolleg*innen in den Pflegeberufen. Er sieht das Gesundheitswesen auf einem Weg, der dazu führen wird, dass die gesamte Versorgung von der ambulanten Medizin, über Akutkrankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen sowie ambulanter und stationärer Dauerpflege von Konzernen unter Profitgesichtspunkten gemanagt werden wird. Dem stellt Wodarg seine Forderung nach Rekommunalisierung der Gesundheitsversorgung entgegen. Leuchtturmprojekte in denen sektor- und professionsübergreifend zusammengearbeitet wird, stellen für ihn Regionalbudgets dar, wie es sie in einigen Landkreisen Norddeutschlands für die psychiatrische Versorgung gibt. Die Forderungen nach kooperativen Versorgungsstrukturen und integrierter Bedarfsplanung greift auch Hartmut Reiners in seinem Beitrag auf und entwickelt sie zu konkreten Forderungen an die politischen Akteure weiter.

Ein interessantes Positionspapier der Friedrich-Ebert-Stiftung, das wir in kurzen Auszügen abdrucken, fokussiert auf den Abbau der strikten sektoralen Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und versucht dabei, die Sicht der Patient*innen einzunehmen.

Diese Problematik sowie andere Themen der ambulanten Versorgung werden uns im vdää dieses Jahr vermehrt beschäftigen. Am 9. Juni 2018 werden wir zur Vertiefung der Diskussion mit anderen Gruppen einen Fachtag in Hamburg durchführen (Interessent*innen können sich in der Geschäftsstelle melden). Das Ziel ist, einen kontinuierlichen Diskus­sionszusammenhang zu Problemen der ambulanten Versorgung aufzubauen. Auch das gesundheitspolitische Forum im Rahmen der Jahreshauptversammlung des vdää vom 16.–18.11.2018 in Köln wird sich schwerpunktmäßig mit diesem Thema befassen.

Bernhard Winter

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ambulante Versorgung, 1/2018)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
Gesundheit braucht Politik wird vom ärztlichen Berufsverband vdää herausgegeben, der sich als Alternative zu standespolitisch wirkenden Ärzteverbänden versteht.

zur Webseite

Finde uns auf