Nicht nur für die Patient*innen gut...
Interview zur MFA-Sprechstunde einer Hausarztpraxis in Norddeutschland
Eine Hausarztpraxis in einer norddeutschen Kleinstadt bietet seit einigen Jahren eine »MFA- Sprechstunde« an, also eine Sprechstunde der früher (und bisweilen von Patient*innen auch heute noch) so genannten »Arzthelferinnen«. Wir haben einen der Praxisinhaber dazu gefragt, wie das zustande gekommen ist, wie es angenommen wird und welche Vorteile das hat.
Gesundheit braucht Politik: Zunächst ein paar Fragen zu Ihrer Praxis: Wie groß ist die Praxis und wie viele MFAs arbeiten bei Ihnen? Wo ist die Praxis? Wie setzt sich Ihr Patient*innen-Klientel zusammen (alt / jung, Migrationshintergund / kein Migrationshintergrund, viele privat Versicherte…)
Wolfram Nagel: Wir haben eine große Gemeinschaftspraxis mit drei Partnern und angestellten Weiterbildungsassistenten sowie 14 Medizinischen Fachangestellten (MFA). Unser Standort befindet sich in einer Kleinstadt (7.500 Einwohner*innen) mit ländlichem Einzugsgebiet. Unser Patientenklientel ist gut durchmischt, gerne auch Kinder, drei Pflegeheime, einige Mi- grantenfamilien, wenig Privat Versicherte.
Sie bieten eine MFA-Sprechstunde in Ihrer Praxis an. Seit wann machen Sie das und warum?
Eigentlich gibt es ja schon immer und vermutlich in allen Praxen Arbeitsbereiche, in denen MFAs sehr selbstständig am Patienten arbeiten. Dazu gehört natürlich das Labor und auch manche technische Untersuchung. Seit einigen Jahren, spätestens seit Einführung der VERAHs, delegieren wir zunehmend Leistungen an qualifizierte und entsprechend fortgebildete MFAs.
Was machen die MFAs? Machen sie es selbständig, wird es delegiert?
Für MFA-Sprechstunden eignen sich vor allem Tätigkeiten, die gut strukturiert werden können und in der Regel auch klare Grenzwerte und / oder Kennzahlen hervorbringen. Diese werden so definiert, dass sich aus den Messergebissen und Befunden für die MFA klare Konsequenzen ableiten. Entsprechend gibt es klare Grenzwerte, die dann eine Vorstellung des Patienten in der ärztlichen Sprechstunde nach sich ziehen. Insofern gibt es immer eine Rückkopplung in die ärztliche Sprechstunde.
Außer Labor und Medizintechnik incl. Doppler haben unsere Mitarbeiter eigene Terminspalten für DMP, Geriatrisches Basisassessment, Schulungen, Raucherentwöhnung, Entspannungstraining, Demenzteste, Impfsprechstunden und natürlich Hausbesuchstouren für Blutentnahmen, Anlage von L- EKG, L-RR, Verbandswechsel u.v.m.
Wie werden die MFA-Sprechstunde und andere Leistungen, die die MFA ohne Arzt machen, von den Patient*innen angenommen?
Die Patienten lieben diese Form der Versorgung. Anfangs scheint es manchen Patienten ungewohnt zu sein. Je vielfältiger und selbstverständlicher aber diese delegierbaren Leistungen von qualifizierten Mitarbeitern übernommen werden, je mehr können die Patienten dieses Angebot schätzen.
Gibt es bei Ihnen auch die Erfahrung, dass manche Patient*innen der MFA bestimmte Dinge lieber erzählen als dem Arzt? Wie wird das dann wieder mit dem Arzt rückgekoppelt? Gibt es regelmäßige Praxis-Gespräche darüber? Wie ist das organisiert?
In der Tat sind die MFA-Sprechstunden manchmal von anderen Themen geprägt, sodass wir klar Zusatzinformationen aber auch zusätzliche Interventionsmöglichkeiten erkennen. Dies ist sowohl diagnostisch gewinnbringend, als auch therapeutisch nutzbar, weil Mitarbeiter manchmal einen anderen Zugang zu den Patienten haben.
Handelt es sich um relevante Informationen, sprechen die MFA direkt den behandelnden Arzt an oder legen ihm einen Laufzettel mit Hinweis auf die neuen Fakten zur weiteren Veranlassung hin.
Wie wirkt sich die MFA-Sprechstunde, also die mehr selbständige Tätigkeit der MFA auf das Praxisklima aus (das Verhältnis zwischen Ihnen als Arzt zu den MFA und das Verhältnis zu den Patient*innen)?
Die Mitarbeiter empfinden die MFA-Sprechstunde als Aufwertung ihrer Arbeit. Die erlebte Wertschätzung ihrer Arbeit durch unser ärztliches Vertrauen wirkt sich positiv auf Arbeitsatmosphäre und Motivation aus. Für die Mitarbeiter ist ihr Zutun zum Praxiserfolg – sowohl wirtschaftlich, aber vor allem auch hinsichtlich der konkreten Patientenversorgung – direkter erkennbar. Es gibt Situationen, in denen die Patienten für bestimmte Fragestellungen ausdrücklich die Mitarbeiter sprechen wollen und nicht den Arzt/die Ärztin.
Gab es und gibt es Konflikte deshalb und welche sind das?
Mittlerweile achten wir darauf, dass eine Mitarbeiterin nicht monatelang in einer Sprechstundenart bleibt und vielleicht ein jahr lang nur DMPs macht.
Darf ich zum Schluss noch eine letzte Frage stellen: In einem Artikel in der Zeitschrift Der Hausarzt von 2014 sprechen Sie von der »Helferinnen-Sprechstunde« etc. Ist es nicht ein Wi- derspruch, den Mitarbeiterinnen einerseits mehr Selbständigkeit zuzugestehen und sie andererseits immer noch Helferinnen zu nennen (es gab ja eine lange Diskussion darüber und gute Gründe, dass man diese Berufsgruppe nicht mehr »Arzthelferinnen« nennt…)?
Da haben Sie völlig Recht. Auf meinen Artikel, den ich vor ei- nigen Jahren zu diesem Thema schrieb, meldete sich auch prompt der Verband medizinischer Fachberufe mit diesem be- rechtigten Anliegen. Zur kraftlosen Entschuldigung kann ich nur anmerken, dass tatsächlich in unserer Region noch selbstverständlich von der »Helferin« gesprochen wird und der Be- griff der »MFA« auch unseren Patienten völlig fremd ist (anders als bei der MTA). Unsere gerade geschilderte Praxis mag ein Hinweis sein, dass die Begrifflichkeit uns allerdings keineswegs an der Wertschätzung für unsere Mitarbeiter hinderte.
Dr. med. Wolfram Nagel ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Europ. Med. School Oldenburg-Groningen (EMS)
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Ambulante Versorgung, 1/2018)