GbP Sonderausgabe 2014 Kathrin Niedermoser / Lukas Neißl

»Worin unsere Stärke besteht…«

Über die Solidaritätsarbeit von »weltumspannend arbeiten« aus Österreich

Kathrin Niedermoser und Lukas Neißl stellen uns die Solidaritätsarbeit von »weltumspannend arbeiten«, den entwicklungspolitischen Verein im österreichischen Gewerkschaftsbund vor, mit dem der vdää zusammen diese Ausgabe von Gesundheit braucht Politik herausgibt. Wir hoffen so auch auf seine Verbreitung in Österreich.

Griechenland. Das war für viele von uns Kreta, Naxos und Zakynthos… Sonne, Strand und Meer… Ouzo, Griechischer Salat und Tzatziki. Oder die Akropolis und Mikis Theodorakis.

Doch plötzlich war Griechenland in den Mittelpunkt der Euro- Krise geraten. Die verheerenden Auswirkungen der Austeritätspolitik – gepaart mit den über Medien und Politik kommunizierten Rassismen gegen die griechische Bevölkerung – erforderten Handlungsbedarf.

»Wir lassen unsere KollegInnen in Griechenland nicht alleine.« Unter diesem Motto startete im März 2013 die Kampagne »Klinik der Solidarität«, die von »weltumspannend arbeiten«, dem entwicklungspolitischen Verein im Österreichischen Gewerkschaftsbund getragen wird.

Ausgehend von der Analyse, dass Griechenland als Labor für die neoliberale und autoritäre Krisenbearbeitung in der EU steht, gab es innerhalb der österreichischen Gewerkschaftsbewegung rege Diskussionen und Debatten. Das Unbehagen darüber, dass es letztendlich die breite Masse der Bevölkerung ist, die für die Auswirkungen der Krise 2008/2009 bezahlen muss, war ein wesentlicher Anknüpfungspunkt, um auf die aktuelle Situation in Griechenland aufmerksam zu machen. Wesentlich war für uns dabei, solidarisch mit jenen Kräften in Griechenland zu sein, die sich aktiv gegen diese Politik zur Wehr setzten und somit an vorderster Front gegen die neoliberale Krisenbearbeitung innerhalb Europas kämpften.

Im Rahmen der Krise entstanden in Griechenland zahlreiche solidarische Initiativen, die sich neben konkreter Hilfestellung im Alltag auch als politische Projekte verstehen. Eine dieser Einrichtungen ist die Gesundheitsambulanz »Koinoniko Iatreio Allileggyis«, (»Klinik der Solidarität«) in Thessaloniki. Dort wird primäre Gesundheitsversorgung für jene angeboten, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Schätzungen gehen derzeit davon aus, dass dies zwischen 30-40 Prozent der griechischen Bevölkerung sind. (siehe dazu mehr in dem Interview mit Vasilis Tsapas)

Seit eineinhalb Jahren arbeiten wir nun mit der »Klinik der Solida- rität« zusammen. Das Ziel unserer Initiative ist, einerseits Gegenöffentlichkeit zu schaffen und Kritik am Kurs der vorherrschenden Krisenpolitik in Europa aufzuzeigen. Dies passiert über Vorträge, Seminare und Workshops, das Verfassen von Artikeln und das Betreiben einer Homepage. Andererseits geht es jedoch auch konkret darum, jene Kräfte in Griechenland zu unterstützen, die sich gegen die neoliberale Krisenbearbeitung zur Wehr setzen.

Ebenso wie die Einrichtung in Griechenland versteht sich auch die Kampagne in Österreich als politisches Projekt und nicht als Charity-Aktion. Um die Gesundheitsambulanz konkret zu unterstützen werden zwar Spenden und Hilfsgüter gesammelt, aber ein wesentlicher Punkt unserer Arbeit besteht in politischer Bildungsarbeit in Gewerkschaften und Betrieben. Wir sammeln Spenden, wichtig dabei ist uns jedoch, dies immer mit politischen Inhalten zu verknüpfen, wie beispielsweise auf Gewerkschaftskongressen oder anderen Veranstaltungen.

Im November 2013 und im April 2014 besuchten zwei Delegationen von BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen Thessaloniki. Wichtig war uns dabei, dass es sich nicht um »Polit-Tourismus« handelte, sondern um Begegnungsreisen, deren Erfahrungen weiter getragen werden sollten. So entstand beispielsweise nach der ersten Reise ein politisches (Koch-)Buch mit dem Titel »Rezepte gegen die Krise«. Neben der »Klinik der Solidarität« besuchten wir im Rahmen der Solidaritätsdelegationen auch andere Initiativen, wie etwa den selbstverwalteten Betrieb VIO.ME, den besetzten Fernsehsender ERT3 sowie verschiedene Nachbarschaftskollektive, Gewerkschaften und Parteien.

Im Mai 2014 machten sich zwei junge Gewerkschafter, im Rahmen eines Praktikums der Sozialakademie der Arbeiterkammern, mit einem Kleinlaster auf den Weg nach Thessaloniki. In monatelanger Arbeit sammelten sie mit Unterstützung von GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen in Österreich Hilfsgüter und unterstützen drei Wochen lang Solidaritätsinitiativen vor Ort in Griechenland. Die Resonanz auf unsere Solidaritätsinitiative liegt weit über unseren Erwartungen und zeigt auf, dass die bereits verloren geglaubte Tradition der internationalen Solidarität innerhalb der ArbeiterInnenbewegung kein Relikt aus vergangenen Tagen ist, sondern von vielen Kolleginnen und Kollegen gelebt wird und über Floskeln hinausgeht.

Internationale Solidaritätsarbeit ist nicht immer einfach. Die Distanz ist groß, es gibt sprachliche Hürden und viele Dinge funktionieren anders, als man es gewohnt ist. Das erfordert Geduld und Toleranz auf beiden Seiten. Wir haben bestimmt auch Fehler gemacht. Am wichtigsten erscheint uns die Erkenntnis, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Wir lernen viel von unseren KollegInnen in Griechenland. Immer wieder sind wir von ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit und ihrem Engagement beeindruckt. Unsere gemeinsame Arbeit ist ein Prozess aus dem wir viele wichtige Erfahrungen für internationale Solidaritätsarbeit und Selbstorganisierung sammeln können.

Die Tatsache, dass ein Verein, der ursprünglich gegründet worden war, um Nord- Süd-Projekte im gewerkschaftlichen Kontext voranzubringen, nun eine Solidaritätsinitiative innerhalb von Europa startete, zeigt auf, welche tiefen strukturellen und sozialen Einschnitte die vorherrschende Krisenpolitik mit sich brachte und dass der »Süden«, den wir bisher in Afrika, Asien und Südamerika verorteten, nun plötzlich mitten in Europa zu finden ist.

Unsere Aufgabe für die kommenden Monate und Jahre wird es sein, den Widerstand gegen eine Politik, die solche Verhältnisse schafft, weiter gemeinsam voranzutreiben und für eine Gesellschaft abseits von kapitalistischer Profit- und Verwertungslogik einzutreten.

Weitere Infos zur Kampagne: www.klinik-der-solidaritaet.at

Kathrin Niedermoser ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Lukas Neißl ist Übersetzer und Dolmetscher und Geschäftsführer der International Conference of Labour and Social History (ITH). Ehrenamtlich koordinieren beide die Kampagne »Klinik der Solidarität«.

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Sonderheft Griechenland Herbst 2014)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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