Sparpolitik kann töten
David Stuckler und Sanjay Basu: „The Body Economic – Why Austerity Kills”, New York 2013, deutsch: „Sparprogramme töten, Die Ökonomisierung der Gesundheit“, Wagenbach Verlag, Berlin 2014, 224 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-8031-3649-7
Schon Bismarck wusste: Investition in die medizinische Versorgung der Arbeiterklasse rentiert sich für alle. Und er gründete die gesetzliche Krankenversicherung. Zwar wurden, zumindest auf den ersten Blick, die Unternehmer durch diese Einrichtung belastet, aber die Investition rentierte sich: Gesunde Arbeiter leisten mehr. Es ist also seit mehr als hundert Jahren ein ökonomischer Gemeinplatz, dass Investitionen ins Gesundheitswesen sich langfristig für eine Volkswirtschaft auszahlen – was freilich nicht die Perspektive des einzelnen Unternehmers ist. Gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen sind öffentliche Investitionen ins Gesundheitswesen von besonderem Wert.
Den Zusammenhang von Gesundheit und Sparprogrammen in Zeiten ökonomischer Krisen untersuchen die Epidemiologen David Stuckler und Sanjay Basu in ihrem Buch »The Body Economic – Why Austerity Kills«, auf Deutsch erschienen beim Wagenbach Verlag: »Sparprogramme töten, Die Ökonomisierung der Gesundheit«. Sparen in der Krise, Sparen an der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung kann töten, das belegen die beiden Ökonomen an Hand trockener offizieller Statistiken von WHO, IWF und Weltbank. Sie untersuchen in ihrem äußerst lesenswerten Buch den Zusammenhang von Wirtschaftskrisen und Gesundheitsversorgung. Dabei beziehen sie sich nicht nur auf die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern untersuchen diese Zusammenhänge im historischen Kontext der unterschiedlichen Wirtschaftskrisen des letzten Jahrhunderts. Stuckler / Basu zeigen zwei unterschiedliche Reaktionstypen der politisch Verantwortlichen auf: Entweder soll in der Krise gespart werden, koste es was es wolle, und es werden die Ausgaben für Gesundheit, Infrastruktur und Bildung radikal heruntergefahren, oder aber es wird gerade in diesen Zeiten in diese Bereiche investiert, um dadurch die Folgen der Krise aufzufangen und gleichzeitig auch Arbeitsplätze zu schaffen.
An Hand von Zahlen zeigen die Autoren, welchen Einfluss Roosevelts New Deal Politik Anfang der 30er Jahre auf die medizinische Versorgung hatte. In den Bundesstaaten, die diese Politik konsequent verfolgten, wuchs nicht nur die Wirtschaft schneller als in den übrigen Bundesstaaten, sondern auch der allgemeine Gesundheitszustand. Investitionen – durch Schulden – zahlten sich also in zweierlei Hinsicht aus: wirtschaftlich und gesundheitlich. Auch Großbritanniens Labour Party gründete – trotz 300 Prozent Staatsverschuldung – in der Rezession nach dem 2. Weltkrieg den National Health Service, über lange Jahre, trotz aller Unkenrufe, eines der besten staatlichen Gesundheitssysteme.
Ein negatives Beispiel ist Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: Die Wirtschaftskrise wurde von massiver Privatisierung der früher staatlichen Wirtschaft und der Gesundheitsversorgung begleitet. Die Folge war eine eklatante Verarmung der Bevölkerung mit schweren Folgen für die medizinische Versorgung und die Morbidität und Mortalität: Der Fall des Bruttosozialproduktes war assoziiert mit einem dramatischen Anstieg der Sterberate und einem Absinken der Lebenserwartung. Diese Tendenz änderte sich in Russland erst mit Beginn des neuen Jahrtausends. Andere Länder des zerfallenden »Ostblocks«, die nicht so massiv privatisierten, wie zum Beispiel Polen, zeigten nicht diese massiven Auswirkungen der Krise auf das Gesundheitswesen und den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Diese Entwicklungen belegen die Autoren mit harten Fakten.
Ein aufschlussreiches Beispiel für die beiden Politikvarianten war die Asien-Krise 1997/98: Thailand, Indonesien und Süd- Korea folgten dem Spardiktat des Internationalen Währungsfonds und reduzierten die Ausgaben für das Gesundheitswesen drastisch. Die Folge war ein massiver Anstieg der HIV-Infektionen in Thailand. Malaysia dagegen widersetzte sich der Politik des IWF und investierte zusätzlich ins Gesundheitswesen. Die Konsequenz war eine geringere Verarmung der Bevölkerung, eine bessere Gesundheit und eine schnellere Überwindung der Krise.
Die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Gesundheitswesen in Europa werden von Stuckler und Basu ausführlich untersucht. Auch hier wieder die zwei Tendenzen: In Schweden wurde der Anstieg der Arbeitslosigkeit durch eine proaktive Arbeitsmarktpolitik begleitet. Diese war dann assoziiert mit einer Abnahme der Selbstmordrate, während in Italien zum Beispiel eine gegenläufige Tendenz feststellbar war. In ihrem Kapitel »Gott segne Island« beschreiben die beiden Autoren, wie das nicht-EU-Mitglied Island mit den Auswirkungen der Krise fertig wurde: Island widersetzte sich den Auflagen des IWF, der eine Reduktion der Gesundheitsausgaben um 30 Prozent gefordert hatte. Die Banken wurden nicht geschont und die radikalen Sparpläne des IWF abgelehnt. Im Gegenteil: Wegen des durch den Währungsverfall bedingten Anstiegs der Arzneimittelpreise erhöhte das Ministerium die pro-Kopf Ausgaben im Gesundheitssystem zwischen 2007 und 2009 von 380 000 Kronen auf 453 000 Kronen. Zwischenzeitlich hat sich Islands Wirtschaft überraschend schnell erholt.
Das traurigste und aktuellste Beispiel für die Folgen der Sparpolitik ist Griechenland. Die Troika hat eine Reduktion der Gesundheitsausgaben von früher ca. zehn Prozent des BIP auf sechs Prozent festgelegt. Eine Zahl, die mit keinerlei Daten unterlegt wurde. Die Folge ist ein fast völliger Zusammenbruch des Gesundheitswesens. Tuberkulose, HIV und Drogensucht nehmen rapide zu, viele Menschen sind ohne Krankenversicherung und können sich einen Arztbesuch nicht mehr leisten. Alle drei psychiatrischen Kliniken Griechenlands sollen geschlossen werden, Blutspenden werden vor einer Bluttransfusion nicht mehr ausreichend getestet. Mit statistischem Material unterlegen Stuckler/ Basu, was auch der vdää in seinem Bericht über die gesundheitlichen Auswirkungen der Krise aus Griechenland berichtet. Eine medizinische Katastrophe droht in diesem Land, aktiv herbeigeführt durch die drückenden Sparauflagen der Geldgeberländer.
Engagiert belegen und vertreten die Autoren die These, dass gerade in der Krise in die Sozialsysteme investiert werden muss. 1 $ Investment ins Gesundheitswesen bringt einen gesamtgesellschaftlichen Return von 3 $. Ihr Vorschlag an die Politik: Evidenzbasierte Politik zum Schutze von Gesundheit in schweren Zeiten. Beispiele aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass das funktioniert. Nur, diese Politik muss anders aussehen, als die, die wir heute in Europa sehen. Und dort ist eine Wende nicht absehbar.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Sonderheft Griechenland Herbst 2014)