GbP Sonderausgabe 2014 Dimitris Ploumpidis

Reformpsychiatrie in der Krise

Dimitris Ploumpidis zur Schließung von psychiatrischen Krankenhäusern

Wie andere Länder hat Griechenland in den letzten zwei Jahrzehnten eine Psychiatriereform mit dem Ziel einer möglichst wohnortnahen Betreuung der Patienten durchgeführt. Auch sollten stationäre Behandlungen und insbesondere Langzeitunterbringungen in Krankenhäusern möglichst auf ein Minimum reduziert werden. Die Reform ermöglichte die Auflösung psychiatrischer Krankenhäuser, die durch lokale Versorgungsstrukturen ersetzt werden konnten. Dies war ein mühsamer oft über Jahre geplanter Prozess. Die EU fordert jetzt mitten in der Krise die Schließung von drei psychiatrischen Großkliniken bis Ende 2015. Begründet wird dies als Fortführung der Psychiatriereform, die effektiver gestaltet werden solle. Auch sei die Auflösung von psychiatrischen Großkliniken ein anerkanntes Reformziel in der EU. Dimitris Ploumpidis, Psychiatrieprofessor in Athen, stellt in seinem Beitrag die bisherigen griechischen Erfahrungen mit der Psychiatriereform vor. Er beschreibt die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Psychiatriereform und stellt sie den voraussehbaren Folgen der EU-Vorgaben gegenüber.

Die Neuorganisation der psychiatrischen Versorgung mit dem Ziel, die drei Krankenhäuser (Psychiatrische Klinik Thessaloniki, Psychiatrische Klinik Athen, Dromokaitio), die ihre Basis bilden, bis Dezember 2015 aufzulösen, steht ganz oben auf der politischen Agenda. Dies geschieht gemäß den Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union, die die Leitung des griechischen Gesundheitsministeriums seit 2009 eingegangen sind, um für die seelische Gesundheit Finanzmittel der EU zu erhalten.

Die Psychiatriereform wurde in Griechenland mit großen Erfolgen durchgeführt; aber sie zeigt auch Lücken und Verzögerungen im Hinblick auf das grundlegende Ziel: die Organisation der Gesundheitsdienste im Hinblick auf die Prävention von psychischen Erkrankungen und die rechtzeitige Versorgung in den Gemeinden so dass die Hospitalisierung auf ein Minimum beschränkt werden kann.

Wir können die wesentlichen Aspekte dieser Erfahrung wie folgt beschreiben:

  1. Der Abbau der traditionellen psychiatrischen Kliniken ist ein substantieller Fortschritt, da er die Langzeitverwahrung und die Entwürdigung der Menschen verringert. Dies war verbunden mit Programmen zur Schaffung von Wohneinheiten für Langzeitpatienten in einem umfassenden Netz von Versorgungsangeboten. Dieser Prozess fand in den letzten zwanzig Jahren in hunderten von Einrichtungen, die über Griechenland verteilt sind, statt.
  2. Diese Einheiten wurden entweder von Krankenhäusern oder kleinen Gesellschaften betrieben, die von den früheren Leitungen des Gesundheitsministeriums berufen wurden, um diesen Teil des Projektes zu übernehmen.
  3. Es wurde viel über das Problem der Finanzierung und der Notwendigkeit einer Evaluation dieser Einheiten geschrieben. Es wurde viele Male gesagt, dass diese Wohneinheiten nur, wenn sie eng mit dem Netz psychiatrischer Einrichtungen verbunden sind, Menschen, die nicht mehr selbstständig leben können, für eine Übergangszeit oder auch dauerhaft eine adäquate Unterkunft bieten können.
  4. Kürzlich hat die Spitze des griechischen Gesundheitsministeriums ein Programm gefordert, das die sofortige Entlassung von 400 Langzeitpatienten aus den drei psychiatrischen Kliniken beinhaltet. Dabei handelte es sich um alte Männer oder Menschen mit Behinderungen. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Gestaltung des Überganges in ein Leben außerhalb von Krankenhäusern für diese »schwierigen« Patienten nur allmählich und mit einer sorgfältigen Vorbereitung erfolgen kann. Andernfalls wird das Problem nur örtlich verlagert und die Situation kann sich ohne wirkliche Veränderung verschlechtern.
  5. Bisher haben vier große psychiatrische Kliniken, die Aufnahme von neuen Patienten gestoppt: in Petra Olympou (Katerini), auf Korfu, in Chania (Kreta) und das kinderpsychiatrische Krankenhaus von Athen (»Daou Pentelis«). Die Erfahrungen aus ihrem Vorgehen sind wertvoll. Sie alle unterstützen den Betrieb von Wohneinheiten, Schulen, Rehabilitationszentren und Versorgungseinrichtungen, die außerhalb der Kliniken eingerichtet worden waren.
  6. Soweit es die Notfallversorgung angeht, wurden auf Korfu und in Katerini Notfallabteilungen eingerichtet, die später in die Allgemeinkrankenhäuser verlegt wurden. Weiterhin wurde in Kreta eine stationäre Versorgung in psychiatrischen Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser Chania, Heraklion und Rethymno sichergestellt. Die Finanzmittel für »Daou Pentelis« wurden mit unterschiedlichem Erfolg mehreren Krankenhäusern in Athen zur Verfügung gestellt. Die psychiatrische Klinik in Tripoli arbeitet mit 100 Akutbetten und hat über 1 000 Aufnahmen im Jahr. Das Management aller (bis jetzt) geschlossenen psychiatrischen Kliniken und das von Tripoli wurden seit dem Herbst 2011 den lokalen Allgemeinkrankenhäusern unterstellt, wobei die ehemaligen Direktoren Posten als stellvertretende Direktoren erhielten.

Es muss unterstützt werden, dass mit dem Wechsel des Managements in Allgemeinkrankenhäusern ein geeigneter Umgang mit den finanziellen und humanen Ressourcen, die der psychiatrischen Versorgung zustehen, garantiert ist; zumal die internistischen und chirurgischen Kliniken in ihrem Denken dazu tendieren, ihre Bedürfnisse als dringender anzusehen. Der vor kurzem erfolgte Tod eines alten stuporösen Mannes in Tripoli ist eine Warnung vor den Löchern, die durch das Unverständnis der Direktoren und Personalkürzungen hervorgerufen werden.

Die drei Krankenhäuser, die geschlossen werden sollen, haben jedes Jahr über 5 000 stationäre Aufnahmen. Der Anteil der Zwangseinweisungen beträgt in Athen 60 Prozent. Das Management der psychiatrischen Klinik in Thessaloniki wurde bereits dem Allgemeinkrankenhaus Papanikolaou unterstellt. Die anderen beiden Kliniken sind noch selbständig. Wenn wir über tausende von stationären Aufnahmen reden, erfordert die Schließung solcher Einheiten einen klar durchdachten und entwickelten Plan, wie alternative Bettenkapazitäten aufgebaut, die Aufnahmen und ihre Verbindung zu externen Einheiten gestaltet werden können, so dass die Patienten, das Personal und die Gesellschaft nicht mit nicht voraussehbaren Situationen und »Unfällen « konfrontiert werden.

Es war angedacht, dass die psychiatrischen Einheiten in den Allgemeinkrankenhäusern eine alternative Lösung für die stationäre Behandlung von Patienten darstellen sollen. Mehr als 20 Einheiten arbeiten in Griechenland. In Athen sind neun vergleichbare Abteilungen so überbelegt, dass Flurbetten üblich wurden.
Die Schließung der psychiatrischen Krankenhäuser würde nicht nur mehr Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern erfordern, sondern ebenso eine Verbindung zu Einrichtungen außerhalb der stationären Versorgung, was die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme vermindern würde.

Personalmangel ist in allen psychiatrischen Einheiten verbreitet. Dieses schwerwiegende Problem hat in der letzten Dekade zu einer verzögerten oder überhaupt nicht erfolgten Akzeptanz von Patienten geführt. Das Ziel der Psychiatriereform ist, Krankenhausbehandlungen nach außen zu verlagern. Der Grad der Umsetzung war in den einzelnen Regionen des Landes unterschiedlich. Daraus resultierte ein vermehrter Bedarf an stationären Aufnahmen gerade in den Einheiten, die jetzt geschlossen werden sollen. Wir sind extrem beunruhigt über die fehlende Planung in Bezug auf die Zentren für geistige Gesundheit (CMH) und deren strategische Bedeutung, da sie eine Basisversorgung (medizinisch, psychotherapeutisch, sozial) anbieten. Unsere Erfahrungen mit den bereits arbeitenden CMH haben gezeigt, dass die Kombination einer geringen sozialen Absicherung (Renten und Krankenversicherung) mit Psychotherapie es diesen Patienten erlaubt, ein stabiles Leben zu führen.

Es ist bekannt, dass privat tätige Ärzte und Psychologen mit den Konsequenzen der Krise wegen des sinkenden Einkommens der griechischen Haushalte und der fehlenden Krankenversicherung konfrontiert sind. Darüber hinaus ist die stationäre Behandlung in psychotherapeutischen Privatkliniken wegen der ernsthaften Probleme in der Kostenübernahme, insbesondere bei EOPPY, problematisch.

Gibt es irgendwelche Lösungsansätze?

Ganz sicher sind die fortgesetzten Kürzungen ohne eine Reorganisation der Dienste nicht die Lösung. Eine Hauptbedrohung ist die Zukunft der Versicherungsorganisationen und die Instabilität ihrer Einkünfte.

Die aktuelle Situation zwingt das Personal in den Einrichtungen für geistige Gesundheit dazu, für den Erhalt der bestehenden Abteilungen, die den Bedürfnissen der Bevölkerung offen stehen, und für ein soziales Netzwerk von Unterstützern, das von deren Notwendigkeit überzeugt ist, zu kämpfen. Es ist allgemein bekannt: Wenn Abteilungen geschlossen wurden, weiß niemand, ob sie jemals wieder eröffnet werden und wie die Arbeitsbedingungen sein werden.

Dimitris Ploumpidis ist Professor für Psychiatrie und Chef des kommunalen Zentrums für geistige Gesundheit in Vironas- Kaisariani (Athen) (Quelle: Efimerida ton Syntakton vom 6. September 2013)

Übersetzung: Bernhard Winter

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Sonderheft Griechenland Herbst 2014)


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