GbP Sonderausgabe 2014 Bernhard Winter

Besuch im Gefängnis der Vergessenen

Eindrücke aus einem Polizeigefängnis in Piräus – Von Bernhard Winter

Während unseres Aufenthaltes in Athen im Frühjahr besuchten wir auch die solidarische Klinik in Piräus. Den Aktivisten der Klinik war es ein besonderes Anliegen, uns noch zwei weitere Projekte zu zeigen, mit denen sie eng verbunden sind. Zunächst fuhren wir zur Migrantenschule: In einer gefängnisartig gesicherten Schule wurden von der Schulverwaltung Räume zur Verfügung gestellt, die für den Sprachunterricht von Migranten genutzt werden können. Interessierte aus dem Stadtteil erhalten im Austausch auch die Möglichkeit, Fremdsprachen zu lernen (z. B. auch Dari und Urdu). Als Gegenleistung für den Unterricht wird um ein Stück Seife gebeten.

Mit diesem Stück Seife hat es eine besondere Bewandtnis: Es ist den Gefangenen der Polizeistation in diesem Stadtteil zugedacht. In den Zellen der Polizeistation, die eigentlich zu dem Zweck gebaut wurden, Menschen für einige Stunden oder allenfalls einen Tag festzuhalten, werden Migranten, die ohne Papiere aufgegriffen wurden, über mehrere Monate bis zu 1,5 Jahren festgehalten. Der Zellentrakt dieser Polizeistation ist dafür ausgelegt, dass hier kurzzeitig 76 Männer untergebracht werden können. Bei unserem Besuch war er dauerhaft mit 50 Männern belegt. Es wurde uns aber berichtet, dass es durchaus nicht unüblich sei, hier auch 100 Männer einzusperren. In den einzelnen Zellen werden bis zu 16 Gefangene untergebracht.

Der noch sehr jung wirkende und wegen unserer Anwesenheit doch sehr verunsicherte Dienststellenleiter bestätigt, dass den allermeisten Gefangenen lediglich vorgehalten wird, ohne Papiere angetroffen worden zu sein. Nur einigen wenigen werden kleinere Straftaten wie Diebstahl vorgeworfen.

Nach längeren Verhandlungen, die dankenswerterweise von der Soligruppe geführt werden, wird unserer gesamten Gruppe genehmigt, den Zellentrakt zu besuchen. Wir betreten einen Raum der zwei Stockwerke hoch ist. An der Decke des oberen Raumes gibt es ein Oberlicht, durch das nur spärlich Tageslicht in den Raum fällt. Links und rechts des Ganges liegen die einstöckigen Zellen. Die Gefangenen haben die Gitterstäbe notdürftig mit Kartons abgedeckt, um sich so eine minimale Intimsphäre zu schaffen. Wir betreten die Zellen nicht, erfahren aber später von Polizisten und den Unterstützern der Gefangenen, dass viele Gefangene entweder auf Decken oder auf dem blanken Fußboden schlafen müssen. Die Matratzen mussten z. T. wegen Skabies verbrannt werden. Inmitten des Ganges ist eine notdürftige Gebetsnische aus Pappkarton aufgebaut worden. Die Zellentüren stehen offen, was von der Polizei als Entgegenkommen gegenüber den Gefangenen (und Verstoß gegen die Vorschriften ihrer Vorgesetzten) dargestellt wurde. Sanitäre Anlagen gibt es praktisch kaum. Wir konnten zwei Waschbecken sehen, dahinter lag wohl eine Toilette. Es ist gängige Praxis, dass sich die Gefangenen Toilettenartikel wie Zahnbürsten oder Handtücher teilen müssen. Am Ausgang des Zellentraktes hängt ein Münztelefon an der Wand. Wir haben nicht überprüft, ob es funktioniert.

Die Möglichkeit eines Hofganges gibt es nicht. Ein aus Ruanda stammender Gefangener berichtet uns, dass er in den letzten neun Monaten keine Sonne gesehen habe. Er erzählt uns auch, dass er noch mit neun weiteren Monaten rechne, die er hier verbringen müsse, aber dann sei er ja schließlich frei… Ein Mann aus Pakistan berichtet, dass er schon 17 Monate und 3 Tage einsitze. Auch einen Mann, der aus Aleppo vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen ist, trafen wir an.Ein weiterer Gefangener lebt seit 14 Jahren in Griechenland. 12 Jahre habe er regulär mit Papieren gearbeitet. Infolge der Krise habe er seinen Arbeitsplatz und damit seinen Aufenthaltsstatus verloren. Vor einigen Monaten wurde er von der Polizei aufgegriffen.

Essen wird zweimal täglich zentral angeliefert. Die Polizisten berichten, dass sie früher von ihrem eigenen Geld Medikamente für die Gefangenen gekauft hätten. Dies könnten sie sich heute – nach weiteren Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst – nicht mehr leisten.

Allein in Piräus sollen etwa 200 Gefangene auf verschiedene Gefängnisse aufgeteilt sein. Einige wenige – vor allem diejenigen, die mit gefälschten Papieren aufgegriffen werden – würden länger als 18 Monate gefangen gehalten. Die Solidaritätsinitiative versucht, die Gefangenen mit Toilettenartikeln, Medikamenten, Büchern und Kleidern zu unterstützen. Falls möglich, stellen sie auch Kontakte zu Rechtsanwälten her. Dies ist aber schwierig, da es nur vereinzelt Rechtsanwälte gibt, die sich ohne Aussicht auf ein Salär für die Gefangenen einsetzen. Darüber hinaus versucht die Gruppe, die Verhältnisse in den Gefängnissen, wo immer es geht, zu skandalisieren.

Bei unseren Gesprächen in den nächsten Tagen stellen wir fest, dass vielen Aktivisten in Athen diese Verhältnisse bekannt sind. Auch hat amnesty international darüber einen umfangreichen Bericht verfasst. Dennoch werden diese Gefangenen von den EU-Behörden vergessen…

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Sonderheft Griechenland Herbst 2014)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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