Der Nebel lichtet sich
Seit einem Jahr ist die neue Bundesregierung und mit ihr der neue CDU-Gesundheitsminister im Amt. Langsam werden erste Konturen der Gesundheitspolitik sichtbar. Die Auseinandersetzung um eine einheitliche Bürgerversicherung ist erst einmal vom Tisch. Auch die SPD hat kein Interesse mehr daran, im Koalitionsvertrag wird sie nicht erwähnt. Wir können aber sicher sein: Zur nächsten Bundestagswahl wird dieses Thema wieder auf den Tisch kommen. Die Absurditäten eines zweigeteilten Gesundheitswesens, mit der Parallelstruktur von Gesetzlicher Krankenversicherung auf der einen und der Privaten Krankenversicherung auf der anderen Seite, sind zu offensichtlich.
So weit, so schlecht, aber was kommt jetzt? Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zeigt, dass keine eingreifenden Reformen geplant sind. Praxissitze sollen, statt wie bisher können, in überversorgten Zulassungsbezirken bei Abgabe der Kassenzulassung von der KV aufgekauft werden. Man muss sehen, ob und wie dieses Instrument greifen wird. Sicher werden sich hier auch einige Schlupflöcher finden. Und über die Höhe des Kaufpreises gibt es bisher auch nur Spekulationen. Es ist sicher dringend notwendig, die Zulassungen besser zu steuern. Fraglich ist aber, ob mit positiven Anreizen nicht mehr erreicht werden kann. Bei der fast hysterisch anmutenden Diskussion in der Ärzteschaft sollte eines klargestellt werden: Es geht hier nicht um »Zwangsenteignung«, zur Diskussion steht nur das Recht auf die Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten. Und darüber zu entscheiden, sollte nun einmal der GKV und den KVen zustehen.
Ebenfalls für viel Wirbel sorgte die Ankündigung, die Wartezeit auf Facharzttermine auf vier Wochen zu begrenzen. Kann diese Frist nicht eingehalten werden, sollen Terminvergabestellen bei der KV einen Termin vermitteln oder aber Kliniken die ambulante Behandlung durchführen dürfen. Sicher ist zu begrüßen, dass hierdurch die Kliniken in die ambulante Facharztversorgung eingebunden werden, doch ist sehr fraglich, ob die Krankenhäuser darauf organisatorisch, fachlich und personell eingestellt sind. Ebenfalls richtig ist, dass dies dann aus dem KV-Topf bezahlt werden soll, denn die KV versagt in diesen Fällen eben als Sichersteller ambulanter Versorgung. Klar ist, dass heute Privatversicherte schneller einen Facharzttermin erhalten als GKV-Versicherte. Kein Brei wird aber so heiß gegessen, wie er gekocht wird. Doch zeigt die Empörung der KV-Funktionäre, dass mit dieser Regelung ein empfindlicher Nerv getroffen wird.
Zur Krankenhausfinanzierung hat der vdää ein Papier vorgelegt, das weite Beachtung fand. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat jetzt ein Papier mit Vorschlägen zur Verbesserung der Finanzen veröffentlicht. Leider sind diese Eckpunkte im Kern ungenügend, in wichtigen Teilen kontraproduktiv und nur in einzelnen Details interessant. Das Kernproblem der Krankenhausfinanzierung ist die alleinige Abrechnung nach Fallpauschalen und die praktisch fehlende Bedarfsplanung im stationären Bereich. Dieses Problem wird leider von der Arbeitsgruppe nicht grundsätzlich angegangen.
Statt einer stringenten Bedarfsplanung soll nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe der Wettbewerb über Qualität zu einer Reduzierung der Krankenhausbetten führen. Wir haben uns schon mehrfach kritisch zur Messung von Qualität medizinischer Leistungen geäußert: Wie soll was gemessen werden oder wie werden outcome-relevante Daten ermittelt? Viele Fragen sind hier noch offen, aber eines hat man aus den bisherigen pay-for-performance Programmen gelernt: die Suche nach dem gesunden Patienten wird verstärkt, kritische Risiken werden abgewimmelt und bei der Dokumentation wird gemogelt. Selbstredend sind wir nicht gegen Qualität in der Medizin, im Gegenteil. Wir haben nur starke Zweifel daran, dass Qualität eine angemessene Grundlage der Bedarfsplanung und Finanzierung darstellt.
Passend zum Thema des vorliegenden Heftes beschäftigte sich die Arbeitsgruppe auch mit der Situation der Pflege. Ein verbindlicher Pflegepersonalschlüssel wird von dieser aber abgelehnt, dafür soll ein Förderprogramm von 660 Millionen Euro aufgelegt werden, um den Personalmangel zu mildern. Bleibt aber fraglich, woher die neuen Pflegekräfte kommen sollen. Schon heute besteht ein krasser Fehlbedarf.
Spannend wird im kommendem Jahr die Auseinandersetzung um den nächsten Entwurf eines Präventionsgesetzes und um die Regelung der Sterbehilfe werden. Hier wird sich der vdää sicher in die Diskussion einmischen, auch wenn wir in dieser Frage nicht unbedingt zu einer einheitlichen Meinung kommen werden. Sie sehen, die Themen werden uns auch im kommenden Jahr nicht ausgehen.
Wir berichten in dieser Ausgabe von »Gesundheit braucht Politik« auch über unsere im Flair der Reeperbahn abgehaltene und trotz Lokführerstreik sehr erfolgreiche Jahreshauptversammlung. Diese war in weiten Teilen von unseren jüngeren Mitgliedern organisiert worden. Deshalb werden auch im kommenden Jahr unsere »Jungen« die Organisation der JHV in Leipzig mitübernehmen.
Bevor ich Ihnen jetzt ein paar ruhige Tage und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünsche, möchte ich noch an unsere Fahrt ins Gesunde Kinzigtal Anfang Februar sowie auch an unsere Spendenaktion zum Jahresende erinnern. Schon jetzt vielen Dank.
Viel Spaß beim Lesen dieses Heftes.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Pflege und Ökonomisierung - Heft II, 4/2014)