»Mehr von uns ist besser für Alle« –
aber vor allem überlebensnotwendig für PatientInnen / Von Cordula Mühr*
Die Forderung nach gesetzlicher Personalregelung wird im Moment in der Öffentlichkeit vorrangig aus Beschäftigtenperspektive betrachtet. Cordula Mühr stellt die Zusammenhänge von Personalmenge und -qualifikation mit dem gesundheitlichen Outcome und der Sterblichkeit von PatientInnen im Krankenhaus dar.
Pflegepersonalmangel ist eine gefährliche Entwicklung, bei der es neben der Belastung für die Pflegenden vor allem auch um die Patientensicherheit geht. Und das eine hängt mit dem anderen direkt zusammen. In einer Studie konnte anhand von Krankenhaus-Grunddaten, Meldedaten für Krankenhausinfektionen und Befragungsdaten der Zusammenhang von Burnout bei Krankenhauspflegekräften und nosokomialen Infektionen nachgewiesen werden: Das Zahlenverhältnis Pflegekraft zu Patient korrelierte signifikant mit Infektionsraten für Blasenentzündungen und Wundinfektionen. Multivariate Regressionsanalysen wiesen dabei das Ausmaß des Burnouts der Pflegenden als einzigen signifikanten Einfluss-Faktor nach. Umgekehrt ging eine verminderte Burnout-Rate mit geringeren Infektionsraten für beide Infektionsarten einher.(1)
Es gibt Zusammenhänge, die von sich aus einleuchten (evident sind) und eigentlich nicht mehr umfassend durch RCT’s belegt werden müssten. So ist leicht einsichtig, dass, je weniger Pflegepersonal pro Patient zur Verfügung steht, desto geringer auch die Zeit ist, die pro Patient zur Verfügung steht. Darunter leiden nicht nur die so genannten »weichen« Faktoren wie Zuwendung, psychosoziale Unterstützung, Informationsvermittlung (die ohnehin häufig fälschlicherweise als nicht so wichtig für das medizinische Outcome gehalten werden), sondern auch allgemein als medizinisch notwendig erachtete Prozesse wie z.B. die hygienische Händedesinfektion vor einem Patientenkontakt.
Bereits im Pflege-Thermometer 2012, bei dem bundesweit 535 Leitungskräfte von Intensivstationen zur Personalausstattung, Patientenversorgung, Patientensicherheit und zum Aufgabenbereich der Intensivpflege befragt wurden, konnte nachgewiesen werden, dass weniger als ein Drittel der Intensivstationen die personellen Vorgaben der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-und Notfallmedizin (DIVI) umsetzt und dass dies mit höheren Risiken für Patienten verbunden ist.(2)
Erschien der Hygieneskandal am Bremer Klinikum 2010, bei dem mehrere Frühgeborene mit einem resistenten Darmkeim in Berührung kamen und drei daran starben, noch wie ein Einzelfall, konnte 2013 durch eine nationale Kohortenstudie, bei der 108 neonatologische Intensivstationen in Deutschland mit insgesamt 5 586 Frühgeborenen untersucht wurden, nachgewiesen werden, dass ein Unterschreiten der intern festgelegten Personalschlüssel ein signifikant erhöhtes Risiko für Blutstrominfektionen (p = 0,008) sowie eine signifikant erhöhte Rate an Labornachweisen für Blutstrominfektionen (p = 0,028) zur Folge hatten.(3)
Bereits 2008 war in einem Übersichtsartikel der Zusammenhang von Überbelegung und Personalmangel zum Aufkommen von MRSA-Übertragungen nachgewiesen worden: verminderte Händehygiene, Erhöhung des Patiententransportaufkommens wie auch des Mitarbeiteraustausches zwischen den Stationen, der verringerte Umfang von Kohorten-Isolation und Überlastung bei Screening- und Isolationsmaßnahmen hatte das Versagen von MRSA-Präventionsprogrammen zur Folge.(4)
Zahlreiche weitere Studien haben den engen Zusammenhang von Personalausstattung und Patientensicherheit nachgewiesen.(5) Explizit soll an dieser Stelle nur noch auf die erst in diesem Jahr veröffentlichten Ergebnisse einer internationalen Studiengruppe unter Federführung des Center for Health Outcomes and Policy Research der University of Pennsylvania hingewiesen werden, in der die Auswirkungen der Arbeitsbelastung und der Ausbildung im Pflegebereich auf das Wohl von Krankenhauspatienten und vor allem ihre Mortalität untersucht wurden.(6) Analysiert wurden die Daten von mehr als 420 000 Patienten im Alter von mindestens 50 Jahren, die sich in circa 300 Krankenhäusern in neun europäischen Ländern chirurgischen Eingriffen unterzogen hatten. Die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte wurde in der »patient/nurse-ratio« ausgedrückt, der Ausbildungsstand im Prozentsatz der Pflegenden, die einen Bachelor-Abschluss hatten. Es ließ sich nachweisen, dass mit der Arbeitslast der Pfleger und Pflegerinnen die Mortalität der Patienten ansteigt: Mit jedem zusätzlichen Patienten, den eine Pflegeperson versorgen musste, nahm die Wahrscheinlichkeit, dass ein chirurgischer Patient binnen 30 Tagen nach der Aufnahme stirbt, um sieben Prozent zu. Um ebenfalls sieben Prozent nahm dagegen die Sterblichkeit mit jeder zehn-prozentigen Zunahme des Anteils der mit einem Bachelor-Abschluss ausgestatteten Pflegepersonen ab (p ≤ 0,002 für beides). In Kliniken, in denen 60 Prozent der Pflegenden einen Bachelor hatten und sich im Durchschnitt um sechs Patienten kümmerten, lag die Sterblichkeit um 30 Prozent unter jener von Kliniken, in denen die Pflegenden nur in 30 Prozent einen Bachelor-Abschluss vorweisen konnten und im Durchschnitt jeweils acht Patienten versorgten. Wobei hier nicht das akademische Moment des Bachelorabschlusses das entscheidende sein mag, sondern die Tatsache einer gründlichen Ausbildung (die in Deutschland der Ausbildung einer examinierten dreijährigen Kranken- und Gesundheitspflegerin entsprechen dürfte).
Fazit
Der Zusammenhang zwischen Personalschlüssel und Behandlungsqualität ist so überdeutlich, dass über Patientensicherheit und Qualitätssicherung nicht mehr ohne die Berücksichtigung der Personalausstattung von Krankenhäusern diskutiert werden darf. Personelle Unterbesetzung verhindert Hygiene-Routinen, und ganz offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung, Erschöpfungserscheinungen und (hygienischer) Qualität der Arbeit von Pflegekräften. Bisher fehlt es jedoch sowohl an Möglichkeiten, die diesbezüglichen Risiken der Patientenversorgung systematisch und kontinuierlich – z.B. im Rahmen der gesetzlichen Qualitätssicherung – zu beobachten, öffentlich zu berichten und ggf. gezielt zu adressieren, als auch am erkennbaren politischen Willen, Konsequenzen aus den oben geschilderten Evidenzen zu ziehen. Forderungen nach gesetzlich festgelegten Mindestpersonalbesetzungsregelungen wurden bisher nicht erfüllt.(7) Bei Fortschreibung der bisherigen Politik rechnet das statistische Bundesamt bis 2015 mit 260.000 fehlenden Pflegekräften.
* Cordula Mühr ist Ärztin und Patientenvertreterin und lebt in Berlin.
Anmerkungen
1 Cimotti et al: »Nurse staffing, burnout and health-care-associated infection«, Am J Infect Contr 2012
2 Pflegethermometer 2012; www.dip.de/fileadmin/data/pdf/projekte/
Pflege_Thermometer_2012.pdf
3 Leistner, Thürnagel, Gastmeier et al: »The impact of staffing on central venous catheter-associated bloodstream infections in preterm neonates – results of nation-wide cohort study in Germany«, Antimicob Resist Infect Control 2013; 2:11
4 Clements et al: »Overcrowding and understaffing in modern health-care systems: key determinants in metiticillin resistant Staph. aureus transmission«, Lancet Infect, Dis 2008 (8)
5 Stone et al.: »Hospital Staffing and Health Care-associated Infections: A Systemic Review of the Literature«, Clin Infect Dis 2008: 47 – Harbarth et al.: »Outbreak of Enterobacter cloacae related to understaffing, overcrowding, and poor Hygiene Practices«, Infect Contr Hosp Epidemiol 1999 – Nijssen et al.: »The relative risk of physicians and nurses to transmit pathogens in a medical intensive care unit«, Arch Int Medicine 2003
6 Aiken LH, et al.: »Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European Countries: a retro-spective observational study«, Lancet February 26 2014, 383: 1824–30; http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)62631-8
7 Zwischen 29.10.2013-28.04.2014 fand die Online-Petition »Mindestpflegepersonalbesetzung in deutschen Krankenhäusern« 52 401 Unterstützer. www.openpetition.de/petition/
online/mindestpflegepersonalbesetzung-in-deutschen-krankenhaeusern
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Pflege und Ökonomisierung - Heft II, 4/2014)