Krankenschwestern und Ärzte in einem globalisierten Kontext
Von Diana Hoeflake und Linda Mans*
Diana Hoeflake und Linda Mans von der niederländischen Wemos Foundation, die sich einsetzt für das globale Recht auf Gesundheit, diskutieren die Krise des Gesundheitspersonals, bei der Europa Teil des Problems nicht der Lösung ist.
Hanna Wafula lebt ein einem kleinen Dorf in Sambia. Sie ist 50 Jahre alt und lebt mit ihrem Ehemann und vier Enkeln zusammen. Drei ihrer sechs Kinder sind gestorben: zwei sehr jung und eines letztes Jahr im Alter von 30 Jahren. Sie stellt fest, dass der Arzt im nächstgelegenen Gesundheitszentrum selten anwesend ist. Im Radio hat sie gehört, dass die Regierung mehr Geld für die Gesundheitsversorgung ausgeben will, aber sie hat bis jetzt keinerlei Effekte der Mehrausgaben gesehen. Wenn sie zur Gesundheitseinrichtung geht, gibt es absolut keine Garantie, dass ein Arzt oder eine Krankenschwester sich um sie kümmert. Der Mangel an Gesundheitspersonal wirkt sich ernsthaft auf Hannas Leben aus. Sollte sie medizinische Hilfe brauchen, steht möglicherweise kein Gesundheitsarbeiter zur Verfügung, der sie oder ihre Familie behandeln könnte.(1)
Auf der Welt fehlen 7,2 Millionen Gesundheitsarbeiter.(2) Länder mit wenig Einkommen sind besonders von dem Mangel an Gesundheitspersonal betroffen.(3) Zu wenige Gesundheitsarbeiter werden ausgebildet und gehalten wegen ungenügenden öffentlichen Investitionen in Gesundheitsfürsorge und medizinisches Personal. Die Migration von Gesundheitsarbeitern vergrößert die Ungleichheiten und stellt eine Herausforderung für alle Länder dar. Vakanzen in Ländern mit hohem Einkommen haben eine Sogwirkung auf qualifiziertes Gesundheitspersonal aus Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. Einer der Gründe ist, dass das Gesundheitspersonal nach grüneren Weiden strebt – Länder in denen das Einkommen höher und die Bedingungen besser sind.(4) Im vorliegenden Fall ist es so, dass 57 Prozent der in Sambia ausgebildeten Ärzte heute im Ausland arbeiten, vorrangig in reicheren Ländern.
Wenn die internationale Rekrutierung von Arbeitskräften nicht verantwortungsvoll vorgeht, kann das schwerwiegende Auswirkungen haben. Wenn die dringend gebrauchten Gesundheitsarbeiter aus fragilen Gesundheitssystemen rekrutiert werden, können diese Systeme gefährlich unterminiert werden. In gleicher Weise können Individuen, die unter ungewohnten Bedingungen arbeiten, anfällig für Ausbeutung sein, wenn keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden. Allutis et al. (2014) stellen fest, dass die Krise des Gesundheitspersonals als »eines der drängendsten Gesundheitsprobleme unserer Zeit« angesehen werden kann.(5) Wenn sich nichts ändert, wird der globale Mangel an Gesundheitspersonal im Jahr 2035 12,9 Millionen erreichen.(6)
Europa ist Teil des Problems. Einige europäische Länder rekrutieren ausgebildetes Gesundheitspersonal aus dem Ausland – eine Praxis, die nicht nachhaltig ist und die Gesundheitssysteme innerhalb und außerhalb Europas noch weiter schwächt. In diesem Kontext macht es noch mehr Sorgen, dass in den alternden Gesellschaften Europas die Anzahl der Menschen, die langfristige Hilfe brauchen, wächst; auf diese Weise wird der Bedarf an Gesundheitsarbeitern befeuert.(7) So wie der Arbeitsmarkt globalisierter wird, treibt der steigende Bedarf Migration und Mobilität unter dem Gesundheitspersonal an.
Geeignete Maßnahmen sind notwendig, um Personalmangel überall auf der Welt zu verhindern. Im Mai 2010 vereinbarten die Mitgliedsstaaten der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) einen globalen Praxis-Kodex (WHO CoP) für die ethische Rekrutierung von Gesundheitsarbeitern.(8) Der WHO CoP ermutigt Länder, das Problem ihres eigenen (antizipierten) Mangels an Gesundheitspersonal auf nachhaltige und verantwortliche Weise zu lösen. Indem sie den Kodex angenommen haben, stimmen die Mitgliedsländer zu, dass sie selbstgenügsam im Einsatz einheimischen Gesundheitspersonals sind und sicherstellen, dass Gesundheitssysteme in Ursprungsländern nicht durch internationale Migration unterminiert werden. Zusätzlich fordert der WHO CoP eine faire und gleiche Behandlung ausländischer Gesundheitsarbeiter. In Anwendung all dieser Prinzipien des WHO CoP werden Länder weniger abhängig von ausländischem Gesundheitspersonal und auf globaler und europäischer Ebene werden sie in der Folge weniger Gesundheitsprofis abziehen.
Trotz dieses Kodex ist es noch ein langer Weg zu einem politischen Konsens über ein nachhaltiges Management von Gesundheitspersonal und die Migration von Gesundheitsarbeitern auf europäischer Ebene. Es gibt mächtige – wenn auch manchmal kurzsichtige – widerstreitende Interessen, und in vielen Ländern haben EU-bedingte Einschränkungen den Gesundheitsausgaben einen Dämpfer aufgesetzt und begrenzen die Implementierung politischer Optionen. Einige Länder versuchten, die Ausgaben zu begrenzen durch Kürzungen oder Einfrieren von Löhnen sowie durch die Reduzierung von Fonds für Ausbildung und Erhalt der Arbeitskräfte, aber diese Politik hat das Ungleichgewicht der Löhne verschärft und dadurch Migration und Mobilität der Gesundheitsarbeiter gesteigert.
Es ist deshalb höchste Zeit, dass alle Länder die Prinzipien des WHO CoP implementieren. Die in Amsterdam ansässige Hilfsorganisation Wemos ruft die beteiligten Akteure auf, diesen Kodex zu befolgen und unterstützt Aktionen für eine nachhaltige Gesundheitsversorgung und die Stärkung der Gesundheitssysteme. Wemos ist Mitglied und Koordinator eines europäischen Projekts mit dem Titel »Gesundheitsarbeiter für alle und alle für Gesundheitsarbeiter«. Für das Projekt arbeitet Wemos mit Organisationen der Zivilgesellschaft (CSOs) in acht europäischen Ländern: Belgien, Großbritannien, Italien, Deutschland, Polen, Rumänien, Spanien und Niederlande. Das Projekt hat zum Ziel, eine verantwortliche Rekrutierung von Gesundheitsarbeitern innerhalb und außerhalb der europäischen Union zu fördern. Die CSOs lenken die Aufmerksamkeit auf Konsequenzen von Migration und Mobilität der Gesundheitsarbeiter.
Um sicher zu stellen, dass jeder, überall in der Welt, Zugang zu Gesundheitsarbeitern hat, ist es notwendig, dass verschiedene Ministerien und andere Akteure wie Gesundheitsdienstleister an einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Lösung zusammen arbeiten. Norwegen und Irland sind führende Beispiele für die Implementierung des WHO CoP. Sie haben einen nachhaltigen nationalen Gesundheitsplan erstellt und haben die Erfahrung gemacht, dass dies nur in Kooperation mit verschiedenen Ministerien erreicht werden kann. Für Irland bedeutet der WHO CoP eine besondere Herausforderung, weil dieses Land eine besonders große Anzahl von Krankenschwestern und Ärzten aus dem außereuropäischen Ausland beschäftigt. Norwegen war einer der Vorreiter für den WHO CoP. Beide Länder haben den Aufbau eines effektiven Registrierungssystems voran getrieben, das dazu dienen kann, Gebiete zu erkennen, wo Mangel entstehen könnte. Zusätzliche Anstrengungen werden in Ausbildung und Fortbildung gesteckt, z.T. um mehr Personal zu halten. Es werden auch Schritte unternommen, Karrieren im Gesundheitswesen attraktiver zu machen – z.B. durch höhere Gehälter. Wo die Rekrutierung von Gesundheitsarbeitern aus anderen Ländern die einzige Option ist, berücksichtigen Norwegen und Irland die ethischen Aspekte, indem sie feste Vereinbarungen mit diesen Ländern treffen. Weiterhin bieten beide, Norwegen und Irland, diesen Ländern an, ihnen dabei zu helfen, ihre Gesundheitssysteme zu stärken. Auf diese Weise kann globale nachhaltige und faire Personal-Politik gesichert werden.
Aber nicht nur Zielländer, sondern auch die Europäische Union kann eine wichtige Rolle bei fairen und nachhaltigen Lösungen der Krise der Gesundheitsfürsorge spielen. 2006 gab die EU an, dass sie »(…) danach streben will, Migration zu einem positiven Faktor für Entwicklung zu machen durch die Förderung konkreter Maßnahmen, die zum Ziel haben, ihren Beitrag zur Reduktion von Armut zu leisten, was die Erleichterung von Überweisungen und die Begrenzung des ›brain drain‹ qualifizierter Leute einschließt.«(9) Dennoch, um der globalen Krise menschlicher Gesundheitsressourcen mit Instrumenten zu begegnen, ist mehr Kohärenz zwischen Migration, Gesundheit, Entwicklung, Handel, Ausbildung, Arbeit, staatlichem und anderem Gesundheitspersonal sowie eine auf Migration bezogenen Politik der EU notwendig. Auf europäischer Ebene gibt es eine Vielfalt von Interventionen und Mitteln, mit dem Problem umzugehen, wie politische Kohärenz zu einem lebendigen Element bei der Lösung der Krise der Gesundheitsfürsorge gemacht werden kann. Politische Kohärenz hilft, einen geeigneten Kontext zu schaffen, um Gewinne für beide zu sichern, Gewinne des europäischen Gesundheitspersonals, die Rechte der individuellen Gesundheitsarbeiter, und Gewinne der Gesundheitssysteme in den Quellenländern innerhalb und außerhalb Europas, die Gewinne werden maximiert, und die Kosten – ökonomische, soziale, menschliche, administrative – werden auf einem Minimum gehalten.
Wemos unterstützt, zusammen mit anderen Mitgliedern von HW4ALL, mit Nachdruck eine rentable Gesundheitsfürsorge durch langfristige Investitionen in Ausbildung und Weiterbildung, begleitet von kohärenter Planung und Politik auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene. Indem wir das tun, fördern wir die Anwendung des WHO CoP als Rahmen zur Regulation des überregionalen Zugangs zu menschlichen Gesundheitsressourcen und zur Stärkung der Gesundheitssysteme, nicht nur in Europa, sondern auch global. Zum Beispiel rufen wir die EU und ihre Mitgliedsländer auf, gleiche Behandlung und gleiche Rechte für migrierte Gesundheitsarbeiter zu gewähren und die volle Übertragbarkeit von sozialer Sicherung und Pensionsrechten zu sichern. Zusätzlich befürworten wir ausdrücklich die Annahme eines politischen Kohärenz-Rahmens, um nachhaltige Gesundheitsfürsorge innerhalb und außerhalb Europas zu entwickeln. Weiter beleuchten wir zusammen mit anderen die zurzeit begrenzte Möglichkeit europäischer Staaten, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um Gesundheitspersonal, das – im Kontext von vielen Ländern auferlegten Sparmaßnahmen – für die spezifischen Bedingungen eines jeden Landes geeignet wäre, auszubilden, zu behalten und zu erhalten (wie im WHO CoP erwünscht)
Wir glauben, dass jeder auf dem Globus Zugang zu ausgebildeten Gesundheitsarbeitern haben kann. Verantwortliche und kohärente Politik für eine nachhaltige Gesundheitsfürsorge wird dazu beitragen, dass ausreichend Gesundheitshelfer für jeden überall sichergestellt sind. Dann werden auch Hanna und ihre Familie Gesundheitsfürsorge erfahren, wann immer sie sie brauchen. Das ist der Grund, warum wir nachhaltige Lösungen des globalen Mangels an Gesundheitspersonal befürworten.
* Diana Hoeflake ist Policy Researcher Global Health bei der Wemos Foundation, Niederlande,
Linda Mans ist Global Health Advocate bei der Wemos Foundation, Niederlande
Übersetzung: Ingelore Fohr
Anmerkungen
1 www.wemos.nl/files/Documenten%20Informatief/Bestanden%20voor%20‘Organisatie‘/Bird‘s_Eye_View_2011-2015.pdf
2 World Health Organization: «A Universal Truth: No Health Without a Workforce«, WHO Press, Geneva 2014
3 Die Afrikanischen Länder südlich der Sahara tragen mehr als 24 Prozent der globalen Mortalität, haben aber nur Zugang zu drei Prozent der weltweiten Gesundheitskarte. In Deutschland gibt es 34 Ärzte pro 10 000 Einwohnern, während Länder wie Sambia oder Kenia mit einem überleben müssen.
4 P. Ferrinho, et.al.: »The human resource for health situation in Zambia: deficit and mal distribution«, Human Resources for Health 2011, 9:30
5 C. Aluttis: »The workforce for health in a globalized context – global shortages and international migration«, Global Health Action 2014, 7: 23611
6 World Health Organization: »A Universal Truth: No Health Without a Workforce«, WHO Press, Geneva 2014
7 European Union: »Commission Staff Working Document on an Action Plan for the EU Health Workforce«, 2012, in: http://ec.europa.eu/dgs/health_consumer/docs/swd_ap_eu_healthcare_workforce_en.pdf
8 »WHO Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel«, in: www.healthworkers4all.eu/fileadmin/docs/gb/WHO_Code_of_Practice.pdf
9 Siehe § 38 des »European Consensus on Development«, OJ C 46/01, 24. Februar 2006
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Pflege und Ökonomisierung - Heft I, 3/2014)