Da bewegt sich was ...
Interview mit dem Vivantes-Betriebsrat Volker Gernhardt*
Outsourcing – das Ausgliedern ganzer Beschäftigungsgruppen in Tochterunternehmen geht nahezu immer mit deutlichen Lohneinbußen für die Angestellten einher. Aber auch die Zergliederung des »Teams Krankenhaus« darf nicht unterschätzt werden. Kirsten Schubert sprach mit Volker Gernhardt, Betriebsrat bei dem größten kommunalen Krankenhauskonzern Deutschlands, über die Rolle der Gewerkschaft, die Folgen der Ausgliederung und die Situation der Pflege.
Bei Vivantes sind aktuell massive Umstrukturierungen bei den Service-Mitarbeitern und Heilberufen geplant. Worum geht es und was sind die Folgen?
Geplant ist, dass wir eine Service GmbH bekommen – vergleichbar mit der CFM an der Charité. Bislang hatten wir eine Tochtergesellschaft, in der nur ein kleiner Teil der Servicemitarbeiter wie z.B. die Sterilisation untergebracht waren. Insgesamt ca. 200 Angestellte. Jetzt soll dort alles untergebracht werden, was mit Technik und Handwerk zu tun hat, also noch mal 750 Menschen. Zentral ist auch, dass die Beschäftigten, die bis jetzt noch im Gestellungsverhältnis sind, dorthin überführt werden sollen. Die Personalgestellung ist ein übliches Mittel im öffentlichen Dienst gewesen, um Alt-Beschäftigte zu schützen. Wurde eine Tochtergesellschaft im öffentlichen Dienst gegründet, sollten nur die neu Eingestellten an die aktuell üblichen Tarife angepasst werden, aber den anderen sollte ermöglicht werden, ihre alten Löhne zu behalten. Nun gibt es eine neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGh): Die Beschäftigten müssen jetzt nach einem Jahr in die neuen tariflichen Bedingungen überführt werden. Für unsere Reinigungskräfte könnte das einen Lohnverlust von 30 Prozent bedeuten! Bei den gegenwärtigen Plänen wären jedoch insgesamt ca. 2 000 Menschen bei Vivantes davon betroffen. Wahrscheinlich werden es sogar mehr, weil geplant ist, eine Verwaltungs-GmbH zu errichten und die Verwaltung bei einem, Unternehmen wie Vivantes doch sehr groß ist. Es geht hier um ca. 800 weitere Angestellte! Es sind ganz umfassende Umstrukturierungen, die da stattfinden und mit erheblichen Lohneinbußen einhergehen, wenn wir das nicht schaffen zu verhindern.
Auch der sogenannte »weiße Bereich«, also Berufsgruppen in der direkten Patientenversorgung, sind von Umstrukturierungen betroffen. Was sind die Folgen?
Bis jetzt ging es nur um den Bereich der technischen Berufe, also der sog. »Hotelkosten«. Das erste Exempel im »weißen Bereich« wird an den Heilberufen statuiert. Die therapeutisch tätigen Berufsgruppen wie Physio-, Ergo- oder Musiktherapeuten, ca. 300 Angestellte, sollen ebenfalls ausgegliedert werden – in eine Therapeuten GmbH. Hier soll es nicht mal mehr einen Tarifvertrag geben, d.h. die Kolleginnen und Kollegen stürzen in einen tariflosen Zustand. Dann gäbe es Verhandlungen über sog. Lohn- und Gehaltsvereinbarungen, aber das ist mit einem Tarifvertrag überhaupt nicht zu vergleichen. Dem Betriebsrat würden sämtliche Druckmittel fehlen! Der Betriebsrat hat ja eine Friedenspflicht und darf nicht zu Streik aufrufen und auch nicht zu anderen Aktionen, die sich gegen die Interessen der Geschäftsführung richten. Die Kolleginnen und Kollegen Therapeuten wehren sich mit allen Mitteln dagegen und haben auch schon verschiedene Eben der Politik erreicht. Es bedarf aber dringend weiterer Unterstützung.
Verwaltungs-GmbH, Reinigungs-GmbH, Therapeuten-GmbH und bald vielleicht eine Ärzte-GmbH: Was sind die Hintergründe dieses Ausverkaufs?
Vivantes ist eine GmbH aber der alleinige Anteilseigner ist das Land Berlin. Mit der Umwandlung von einer Anstalt öffentlichen Rechts in eine GmbH wurden wir insolvenzfähig. Es wurde uns damals gedroht, dass wir in die Insolvenz gehen würden, wenn wir nicht auf Teile unsere Löhne verzichten würden. Wir haben deutlichen Widerstand gezeigt, konnten jedoch nicht verhindern, dass den Beschäftigten das Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen und die Tariferhöhung eingefroren wurde. Wir konnten jedoch einen Plan durchsetzen, nachdem der Lohn jedes Jahr wieder mehr dem Tariflohn angeglichen werden muss. Jetzt, wo die Angleichung gerade abgeschlossen war, kommt die Geschäftsführung und sagt, dass wir wieder kurz vor der Pleite stehen und durch Umstrukturierungen Geld einsparen müssen.
Es ist also das Standardargument: Kosten sparen. Es handelt sich hier in erster Linie um Gelder, die uns das Land Berlin verwehrt, die sog. Investitionskosten. Doch der Berliner Senat behauptet, er habe das Geld nicht. Von den notwendigen 80 Millionen Euro bezahlt er gerade mal 20 Millionen. 30 bis 40 Millionen Euro konnten durch die Lohn- Personalkürzungen eingespart werden. Dadurch konnten die dringendsten Investitionen getätigt werden. Es besteht aber weiterhin ein Investitionsstau, den sie nun gerne durch die Umstrukturierung ausgleichen würden. Es ist absehbar, dass es dabei zu massiven Lohnkürzungen kommen wird, auch wenn die Geschäftsführung das Gegenteil behauptet. Das ist eine schlichte Lüge, denn warum sollten sie das sonst machen?
Es werden also »Personalstellen zu Baustellen«?
Definitiv! Einem drastischen Bettenabbau in den 80er und 90er Jahren – Berlin hatte zuvor tatsächlich überdurchschnittlich viele Betten, wurde aber in diesem Prozess auf deutlich unterdurchschnittlich runtergedrückt – folgte ein deutlicher Personalabbau, bis man dann den Pflegenotstand ausrufen musste. Ähnliche Entwicklungen gab es bundesweit. Es wurde versucht dies mit dem »Import« von Pflegekräften zu kompensieren und es wurde die Pflegepersonalregelung (PPR) eingeführt. Doch diese Verordnung wurde schon wenig später wieder außer Kraft gesetzt, da sie zu teuer war. Alleine im Krankenhaus Neukölln hätten wir nach der PPR 200 Stellen bekommen sollen. Nachdem sie 80 Pflegekräfte eingestellt hatten, sagten sie: »Schluss, kein Geld mehr da«. Die PPR gilt jedoch weiterhin als Maßstab und die Ergebnisse werden auch in den Verhandlungen mit den Krankenkassen vorgelegt und zum Vergleich von Abteilungen, haben jedoch sonst keine Relevanz mehr.
Ich habe über Jahre hinweg immer wieder vergleichende Untersuchungen gemacht auf bestimmten Stationen – wir haben über acht Wochen auf zehn Stationen aufgeschrieben, was für Patienten und was für eine Besetzung da war – und konnte zeigen, dass die Kolleginnen nur 40 bis 60 Prozent von dem erledigen können, was laut der PPR vorgesehen ist. Man muss sagen, dass all das, was in den Pflegestandards schön gesammelt auf den Stationen steht, bloßer Schein ist. In Krankenhäusern wird heute nicht gepflegt, es wird bestenfalls versorgt!
Du bist zwar ver.di-Mitglied aber hast eine eigene Liste im Betriebsrat. Warum?
Bei ver.di war die Bereitschaft damals sehr hoch, die Umstrukturierungen zur GmbH mitzumachen. Der damalige Bezirksvorsitzende wurde sogar der erste Arbeitsdirektor. Der hat sich sozusagen sein eigenes Nest bereitet. Die einzige Stimme – von zehn Krankenhäusern, die sich gegen den Prozess ausgesprochen hatte, kam vom Klinikum Neukölln – also von mir. In dem Augenblick habe ich beschlossen, dass ich so nicht mit ver.di nicht weitermachen kann, obwohl ich nie ein Gewerkschaftsgegner war! Ich habe die Führungsstrukturen in der Gewerkschaft nicht gerade geliebt, aber damals gelernt, dass ich sowohl intern als auch extern den Kampf um eine andere und konsequentere Gewerkschaftspolitik führen muss. Da das bei den Betriebsratswahlen schwierig war, habe ich eine eigene Liste gegründet: die Liste »Gegen den Strom«. Wir haben aber ganz klar gesagt, wir machen Gewerkschaftspolitik und das was ver.di macht, ist nicht gerade eine gute Gewerkschaftspolitik. Das Konzept hat sich als gut erwiesen. Wir sind auf der einen Seite bei ver.di anerkannt und auf der anderen Seite haben wir fast 40 Prozent aller Stimmen bekommen, sind also die stärkste Liste bei Vivantes. Unsere Positionen haben sich verfestigt und sind Teil des Denkens der Beschäftigten geworden.
Der vdää setzt sich für eine Abschaffung des Fallpauschalen-Systems ein. Kannst Du aus der Praxis berichten?
An dem eigentlichen Ziel, das Gesundheitswesen billiger zu machen, geht das ganze auf jeden Fall deutlich vorbei. Krankenhäuser werden durch das System in Konkurrenz gesetzt und es kommt zu einer deutlichen Steigerung der Fallmenge, d.h. insbesondere in den rentablen Bereichen werden immer mehr Patienten behandelt. Ein eigener Berufszweig ist entstanden, um die Haupt- und Nebendiagnose so zu sortieren, dass ein Patient ein möglichst gut zu bearbeitender wirtschaftlicher Faktor ist. Es werden zunehmend Untersuchungen und Therapien durchgeführt, die gut vergütet werden. In der Praxis bekommt man dann mit, dass der Durchsatz auf den Stationen unheimlich in die Höhe gegangen ist. Auf einer normalen Station hat man die Patienten aktuell im Durchschnitt 6,8 Tage, d.h. man hat sie nur in der Phase, in der sie schwer zu behandeln sind. Früher lagen die Patienten oft etwas länger und es gab immer eine Phase, in der sie leichter zu versorgen waren und die Behandlung nicht so personalintensiv war. Heute haben wir nur schwere Fälle. In der Pflege gab es ja zudem noch einen Stellenabbau. Bei den Ärzten nicht. Dass sie trotzdem überlastet sind, liegt an der gesteigerten Fallzahl und an der geforderten Fantasie, die Krankheitsbilder so zu gestalten, dass sie gut abzurechnen sind.
Wie sieht unter diesen Bedingungen die Kooperation der Gesundheitsberufe bei Euch aus?
Unterschiedlich, aber man merkt deutlich, dass auf Stationen, wo die Zusammenarbeit noch funktioniert, die Versorgung deutlich besser ist. Genau das ist aber in Gefahr durch die Ausgliederung der Berufsgruppen. Ist z.B. eine Reinigungskraft Teil des Teams, erleichtert dies auch die Arbeit der Pflegekräfte deutlich. Es kann abgesprochen werden, welche Räume besonders wichtig sind, und die Reinigungskräfte folgen nicht einem abstrakten Plan, sondern dem tatsächlichen Bedarf. Die Kollegen bei Viva Clean, der Reinigungsgesellschaft von Vivantes, unterstehen einem wahnsinnigen Druck. Ihnen wird u.a. gesagt, dass sie nur den Boden putzen sollen und alles, was darüber hinausgeht, ist ihr Privatvergnügen. Zudem werden ihnen nur Teilzeitverträge gegeben und bei niedrigen Löhnen so prekäre Arbeitsbedingungen geschaffen, dass die Kollegen geradezu um Überstunden betteln.
Man müsste mal definieren, was eigentlich Krankenhaus ist. Gehören neben Ärzten und Pflege auch der Koch, die Reinigungskraft, der Handwerker, die Verwaltung mit dazu? Durch die Ausgliederung steht dieses Gebilde sehr wacklig da und droht jederzeit zu kippen.
Was kann man gegen diese Zustände tun? Geht das: Streik im Krankenhaus?
Es ist schon schwierig, im Krankhaus zu streiken, aber möglich. Gerade bei den Mitarbeitern, die für die sogenannten Hotelleistungen zuständig sind, wie z.B. Reinigung oder Speisenversorgung. Aber es sind ja nicht mal alle Mitarbeiter bei der gleichen Gewerkschaft. Die Reinigungskräfte sind bei der IG BAU und die müsste dann zum Streik aufrufen. Genau das gilt für die Speisenversorgung. Die Kollegen sind bei der NGG. Es gibt meines Erachtens für ver.di die Möglichkeit, all diese unter ihrem Dach zu organisieren, aber der Organisationsgrad in den Krankenhäusern ist ja schon unter den anderen Mitarbeitern sehr gering. Dennoch ist Streik auch im Bereich der Pflege möglich. Es ist definitiv einfacher in Bereichen ohne regelmäßigen Patientenkontakt, z.B. im OP, da viele Pflegekräfte sich den Patienten, die sie täglich versorgen, verpflichtet fühlen. Es ist dennoch möglich, z.B. ist eine Methode, dass der Nachtdienst bleibt und der Tagdienst nicht kommt. Dann muss der Arbeitgeber Ersatz besorgen und wenn er das nicht kann, müssen Betten gesperrt, Patienten entlassen werden und es dürfen keine neuen aufgenommen werden. So schafft man es dann langsam, ein paar Stationen leer zu streiken. Das haben wir auch schon gemacht. So ein Streik tut dem Arbeitgeber weh! Aktuell haben wir wieder einen Pflegenotstand, wenn man jetzt noch einen Streik androht, dann bewegt sich was, da bin ich mir sicher. Dafür bedarf es aber des Muts und der Entschlossenheit einiger Krankeschwestern und Krankenpfleger!
Und der solidarischen Unterstützung von Ärztinnen und Ärzten!
Vielen Dank für das Gespräch!
* Volker Gernhardt (62) ist Betriebsrat bei Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH in Berlin. Er ist gelernter Röntgenassistent, hat jedoch sehr früh mit der Arbeit im Personalrat und später Betriebsrat bei den damals noch kommunalen Krankenhäusern in Berlin-Neukölln angefangen. Er hat den gesamten Umstrukturierungsprozess von den öffentlichen Häusern hin zu Deutschlands größtem kommunalem Krankenhauskonzern mitbegleitet – die meiste Zeit im Widerstand.
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Pflege und Ökonomisierung - Heft I, 3/2014)