GbP 3-2014 Gerd Dielmann

Fabrik Krankenhaus

Gerd Dielmann* zur Neuorganisation der Arbeitsteilung im Krankenhaus

Die Arbeitsteilung zwischen den Berufsgruppen in Krankenhäusern war früher nicht unbedingt in jeder Hinsicht sinnvoll. Eine Veränderung dieser Arbeitsteilung müsste also nicht von Nachteil für die PatientInnen oder die Beschäftigten sein. Heute findet sie aber in der Perspektive der Kostensenkung statt. Gerd Dielmann zeigt, wie diese Änderungen vonstattengehen und was die Konsequenzen sind: eine Verengung des Pflegebegriffs und die Taylorisierung der Arbeit.

Die Gesundheitspolitik in Deutschland war in den letzten Jahrzehnten darauf ausgerichtet, wettbe­werbliche Bedingungen im Gesundheitswesen zu entwickeln und auszubauen. Auch während der letzten Legislaturperiode unter der CDU/CSU/FDP Regierungskoali­tion (17. Wahlperiode von 2009-2013) galt die Weiterentwicklung wettbewerblicher Strukturen als zentrales Element der Gesundheitspolitik. »Wir wollen, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht als Ordnungsrahmen grundsätzlich auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung findet« (CDU/CSU/FDP 2009, 87). Die Wettbewerbsorientierung findet ihre Fortsetzung in der Politik der aktuell regierenden Großen Koalition (CDU/CSU/SPD 2013, 59).

Krankenhäuser im Wettbewerb

Die Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf ein an diagnosebezogenen Fallpauschalen orientiertes Vergütungssystem verstärkte in Verbindung mit der fortbestehenden Deckelung des Budgets (vgl. Simon 2013) vor allem den Kostendruck auf die Krankenhäuser mit negativen Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität (vgl. Braun, B. et al. 2009). Dass es dabei unter den Krankenhäusern Gewinner und Verlierer gibt, wird ebenso bewusst in Kauf genommen wie die Unterfinanzierung vieler Krankenhäuser (Simon 2013, 1782). Auf betrieblicher Ebene äußert sich dies u.a. in Outsourcing von Servicebereichen (z.B. Küchen, Reinigungsdienste) mit dem Ziel der Tarifabsenkung für die dort Beschäftigten. Ausgliederungen und Neugründungen von Tochtergesellschaften ohne Tarifbindung sind auch bei Kirchen und Wohlfahrtsverbänden probate Mittel, sich in diesem Verdrängungswettbewerb zu behaupten. Ganze Kliniken werden an private Aktiengesellschaften verkauft, ein Prozess, der selbst vor Universitätskliniken nicht Halt machte. Einzelne Länder haben begonnen, auch die Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung zu privatisieren.

Personalsituation in Krankenhäusern

Die Personalsituation war in den letzten zwei Jahrzehnten geprägt von einem massiven Personalabbau bei den Wirtschafts- und Versorgungsdiensten, im Pflegedienst (vgl. DKG 2014) und bei Ausbildungsplätzen an den Krankenpflegeschulen (vgl. Dielmann 2010). Von über 65 000 Ausbildungsplätzen in der Gesundheits- und Krankenpflege waren mehr als 10 000 abgebaut worden. Erst mit der Neugestaltung der Ausbildungsfinanzierung 2004 erholte sich der Ausbildungsmarkt allmählich, sodass aktuell immerhin wieder rund 60 000 Ausbildungsplätze in der Gesundheits- und Krankenpflege erreicht werden (vgl. BiBB 2014).
Die Stellen im Wirtschafts- und Versorgungsdienst wurden seit 1995 von rd. 85 500 auf 41 500 in 2012 überwiegend durch Outsourcing mehr als halbiert. Im Pflegedienst wurden zwischen 1995 und 2008 von ehedem 350 571 mehr als 50 000 Stellen (Vollkräfte) abgebaut. Erst in den letzten Jahren gab es wieder einen leichten Anstieg auf nunmehr 313 000 Vollkraftstellen in 2012 (vgl. DKG 2014). Dieser Stellenabbau war nicht durch einen Mangel an Pflegefachkräften verursacht, sondern durch ökonomische Überlegungen bedingt. Während im Pflegedienst, hier
insbesondere im Pflegeassistenzbereich Stellen abgebaut wurden, erlebten der ärztliche Dienst, trotz allgemein beklagten Ärztemangels, die Funktionsdienste und nicht zuletzt auch die med. techn. Dienste bemerkenswerte Stellenzuwächse.

Entwicklung der Personalsituation im Krankenhaus

Die zahlenmäßigen Steigerungen beim ärztlichen Dienst und beim Funktionsdienst dürften mit der Einführung der an der medizinischen Diagnose orientierten Fallpauschalen, den damit verbundenen Fallzahlsteigerungen und der Verweildauerverkürzung in Verbindung zu sehen sein. Das DKI (2010a) sieht hingegen eine der Hauptursachen für den höheren Ärztebedarf in der Neuregelung des Arbeitszeitrechts im Jahre 2004, mit dem der Ausdehnung der Wochenarbeitszeit durch zusätzliche Bereitschaftsdienste Schranken gesetzt wurden. Relativiert wird diese Annahme durch den hohen Anteil (47 Prozent) an Ärztinnen und Ärzten, die von der tariflichen Möglichkeit des Opt-Out bei der durch das Arbeitszeitgesetz vorgegebenen Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 48 Stunden Gebrauch machen (DKI 2013, 50).
Die Zahl der Studierenden in Humanmedizin sank im Zeitraum von 1992 von über 93 000 auf 82 770 im WS 2011/12. Betrachtet man die erfolgreich abgelegten Abschlussprüfungen, so lagen die Zahlen in den letzten Jahren mit 10 213 in 2009 und 9 794 in 2011 um etwa 1 000 niedriger als Anfang der 1990iger Jahre (BMG 2013, 93 f.).
Trotz wieder gestiegener Studierendenzahlen und relativ stabiler Abschlussquoten verweist die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) in einer aktuellen Pressemeldung auf 5 000 derzeit nicht besetzte Arztstellen (DGCH 2014), eine Zahl, die auch das DKI bereits für 2009 festgestellt hatte (DKI 2010, 5). Für das Jahr 2011 ging das DKI bundesweit von 3 800 Arztstellen, die nicht besetzt werden konnten aus, für 2013 nurmehr von 2 000. Das entspricht einem Anteil von knapp zwei Prozent der ärztlichen Vollkraftstellen im Krankenhaus bundesweit (DKI 2013, 32). Der Mangel betreffe besonders die Chirurgie, weshalb hier besonders auf anderes Fachpersonal zurückgegriffen werden müsse. »Nicht-ärztliches Fachpersonal kann auch im OP dazu beitragen, diese Lücken zu schließen, indem es genau definierte Bereiche übernimmt und damit den behandelnden Operateur entlastet« (DGCH 2014).

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Änderungen in der Arbeitsteilung zwischen ärztlichen, pflegerischen und Versorgungsdiensten

Kostendruck und regionaler sowie fachbezogener Personalmangel vor allem im ärztlichen Dienst und in den Funktionsdiensten hatten erhebliche Umstrukturierungen in der Arbeitsorganisation und den Arbeitsabläufen in den Krankenhäusern zur Folge (vgl. DKI 2008; DKI 2010; ver.di 2009; Bräutigam et al 2013). Eine der Maßnahmen war die verstärkte Delegation ärztlicher Tätigkeiten an pflegerisches und anderes Personal (vgl. BÄK 2008; Dielmann 2005). Dabei ging es u.a. um venöse Blutentnahmen, Injektionen, intravenöse Applikation von Zytostatika, Assistenz bei operativen Eingriffen, Wund- und Schmerzmanagement u.a.m. (vgl. DKI 2008). Auf Grund des Heilkundevorbehalts und der vergleichsweise restriktiven Rechtsprechung, etwa zum Facharztstandard, ist die Delegation von ärztlichen Aufgaben an Bedingungen geknüpft (Roßbruch 2003; ver.di 2009), die dieser Möglichkeit, Personalkosten einzusparen, Grenzen setzt. Trotz erster Ansätze, die selbständige Ausübung der Heilkunde auch z.B. den Pflegeberufen durch Einbringen einer Modellversuchsklausel zum Erwerb erweiterter Kompetenzen (vgl. Dielmann 2008; Roßbruch 2008; G-BA 2011) zu ermöglichen, handelt es sich hier um eine rechtliche Grauzone, die dringend weiterer gesetzlicher Regelungen Bedarf (vgl. Bohne 2012).
Neben der Delega­tion ärztlicher Tätigkeiten wurden zahlreiche neue Berufsprofile und Tätigkeitszuschnitte entwickelt und erprobt (vgl. Bals/Dielmann 2013), die allesamt Auswirkungen auf die Berufsausübung und die Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe haben. Als besonders kreativ beim Berufe Basteln, ohne auf staatliche Regelungen zu warten, erwiesen sich die chirurgischen Fachgebiete. Operationstechnische (OTA), Anästhesietechnische (ATA) oder Chirurgisch-technische Assistenzberufe (CTA) wurden in Konkurrenz zu pflegerischen Fachweiterbildungen kreiert und sind zumindest was die OTA betrifft, aus den Operationssälen nicht mehr wegzudenken. Drei landesrechtliche Regelungen der OTA sind zwischenzeitlich erfolgt, eine bundesgesetzliche Regelung liegt im Bundestag auf Eis und wird weiterhin von der Bundesregierung abgelehnt. Daneben gibt es eine Reihe von staatlich nicht geregelten Weiterbildungen und Zusatzausbildungen als Chirurgie- oder GefäßassistentIn oder als Bachelorstudiengang zum/zur Physician Assistant. Als Zusatzausbildung für Pflegeberufe sind vielfach hauseigene Bildungsmaßnahmen mit englischsprachigen Bezeichnungen im Angebot, wie Breast Nurse, Pain Nurse, Stroke Nurse, Study Nurse oder Nurse Practitioner.
Problematisch wird es immer dann, wenn ärztliche Tätigkeiten übernommen werden sollen, für die es bislang keine gesicherte Rechtsgrundlage gibt, wie 1. OP-Assistenz, Entnahme von Gefäßen oder Wundverschluss durch Nähte. Aus Sicht der Pflegeberufe führt die Entwicklung von ATA und OTA als grundständige Berufsausbildungen zur Einschränkung von Weiterbildungsmöglichkeiten für den OP-Dienst und in der Anästhesie.
Gravierender noch als die Übernahme ärztlicher Tätigkeiten oder das Entstehen von spezialisierten Berufen im Berufsfeld Pflege ist die Neuorganisation der Arbeitsteilung zwischen Pflegefachkräften, Assistenz-, Service- und Versorgungsdiensten. Nachdem der Stellenabbau im Pflegedienst an objektive Grenzen gestoßen zu sein scheint und die Arbeitsverdichtung durch Fallzahlsteigerungen und Verweildauerverkürzung wieder zu Stellenzuwächsen führen musste, werden verstärkt Pflege- und ServiceassistentenInnen mit pflegerischen und pflegenahen Aufgaben betraut.
In einer Studie zur Neuordnung von Aufgaben des Pflegedienstes unterscheidet das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) patientennahe und patientenferne sowie stationsinterne und stationsübergreifende Tätigkeiten (DKI 2010, 17). Diese Unterscheidung erweist sich jedoch für die Zuweisung von Aufgaben an unterschiedliche Qualifikationsniveaus in der Pflege als problematisch, weil auch patientenferne Aufgaben von Pflegefachpersonal auszuführen sein können, wie etwa die Pflegedokumentation oder die Verwaltung von Pflege- oder Arzneimitteln.
Neben Reinigungsarbeiten, Hol-und Bringe-Dienst und Vorratsverwaltung werden auch pflegerische Aufgaben an Assistenzpersonal übertragen, die zu den Kernaufgaben der Pflegfachberufe gezählt werden müssen. So verweist die genannte DKI Studie auf ein Praxisbeispiel aus den Asklepioskliniken. Hier werden »Pflegeassistenten« in 900 Stunden auf ihre Aufgaben vorbereitet

»Folgende Aufgabenschwerpunkte sind für die Pflegeassistenten vorgesehen:
• Mithilfe bei der Pflege,
• Unterstützung der Patienten (Körperpflege, Aufnahme von Mahlzeiten)
• Begleitung der Patienten (Untersuchungen, Behandlungen, Spaziergänge)
• Hauswirtschaftliche Tätigkeiten (Betten beziehen/ machen, Ordnung in Patientenzimmern)
• Bereiten von Zwischenmahlzeiten/ Tee und servieren
• Auf tägliche Wünsche und Bedürfnisse von Patienten eingehen
• Beratung von Patienten bei täglichen Problemen – beobachten, zuhören, zureden, handeln« (DKI 2010, 61).

Bei Patienten, die weitgehend selbständig sind, ist das unproblematisch. Sie können selbst entscheiden, wann und in welchem Umfang sie der Unterstützung bedürfen. Durch die Verweildauerverkürzung wird der sich selbst versorgende Patient jedoch zur Seltenheit. Der Krankenhausaufenthalt konzentriert sich auf die akute Behandlung oder den chirurgischen Eingriff, eine Phase, in der fachpflegerische Unterstützung gefragt ist. Das gilt bei der Körperpflege (Ganzkörperwaschung) ebenso wie für die Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme, wenn sie nicht mehr eigenständig erfolgen kann. Die Entscheidung wer wann welcher pflegerischen Unterstützung bedarf, ist oft nur im Einzelfall zu treffen und situativ zu entscheiden. Bei ausgedünntem Stellenplan mit einer hohen Anzahl an Assistenzkräften entfällt dieser notwendige Entscheidungsspielraum weitgehend.
Die Verengung der Arbeit auf behandlungspflegerische (medizin­nahe) und Dokumentationsaufgaben haben deutlich weniger Patientenkontakte für das Pflegefachpersonal zur Folge. Kontakt mit Pflegebedürftigen, ihre Beratung und Unterstützung sind aber wesentliche Motivationen, den Pflegeberuf zu ergreifen. Hinzu kommt, dass die Pflegeassistenzstellen gewöhnlich nicht zusätzlich zur Unterstützung des Pflegefachpersonals geschaffen werden, sondern zulasten des Personalschlüssels beim Fachpersonal gehen. Das führt dort zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit, weil bestimmte Aufgaben oder Dienste eben doch nur von Fachpflegekräften übernommen werden können. Die hohe Arbeitsverdichtung und der rückläufige Patientenkontakt führen oft zu Unzufriedenheit und nachlassender Identifikation mit dem gelernten Beruf. Die Pflegeberufe drohen im Zuge einer vertikalen Arbeitsteilung ihres Kerns, der Hilfe bei Verrichtungen des täglichen Lebens, beraubt zu werden.
Betrieblicher Widerstand gegen die weitere Taylorisierung der Arbeit durch Aufteilung der ganzheitlichen Pflegehandlungen in einzelne Verrichtungen, die dann auch von weniger qualifizierten Hilfskräften durchgeführt werden können, ist angesagt. Stationsleitungen in der Verantwortung für die Pflegeorganisation und betriebliche Interessenvertretung durch extensive Nutzung der Mitbestimmungsrechte kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Darüber hinaus bedarf es eines rechtlichen Rahmens durch eine gesetzlich geregelte Personalbemessung, die für eine am notwendigen Pflegeaufwand orientierte Personalausstattung sorgt, die dann auch von den Kostenträgern zu refinanzieren ist.

* Gerd Dielmann ist Krankenpfleger und Gewerkschaftssekretär für die Gewerkschaft ver.di und lebt in Berlin und Zürich.

Die Literaturliste ist bei der Geschäftsstelle des vdää zu erhalten:

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Pflege und Ökonomisierung - Heft I, 3/2014)


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