Oben und Unten?
Neue Kooperationsformen in der Patientenversorgung
Solange ist es noch gar nicht her, und in manchen Kliniken vielleicht immer noch gängige Praxis, dass der Arzt als Halbgott das Sagen hatte und die Schwester – Pfleger war früher ein eher seltener Beruf – ihm treuergeben die Wünsche von den Augen ablas. Diese Spielart einer hierarchischen Krankenversorgung wird zunehmend überwunden. Neue, kooperative Arbeitsformen beginnen, sich durchzusetzen. Diese Änderung der Berufsbilder untersucht die vorliegende Ausgabe von Gesundheit braucht Politik.
Schön wäre es, würden sich die neuen Kooperationsformen durchsetzen, weil sie eine deutliche Verbesserung der Patientenversorgung mit sich bringen. Diese Illusion nehmen uns die ersten beiden Beiträge dieses Heftes: Gerd Dielmann zeigt auf, dass die zunehmende Konkurrenz und Kommerzialisierung im Gesundheitswesen nicht nur einen krassen Abbau im Bereich der Pflege gebracht haben, sondern auch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch Outsourcing und Tarifabsenkung. Ziel »moderner« Krankenhausmanager ist es, im Krankenhaus nur noch einen »weißen« Kernbereich zu belassen, zu dem nicht unbedingt das Pflegepersonal zählen muss, und alle übrigen Bereiche in Service GmbHs auszulagern. Das soll Kosten sparen. Die Pflegeberufe werden darüber hinaus aufgeteilt und spezialisiert, wobei die ganzheitliche Pflege der Patienten verloren zu gehen droht. Nur mit einer gesetzlich geregelten Personalbemessung ist diese Abwärtsspirale aufzuhalten. An Hand des Beispiels Vivantes (Berlin) zeigt Volker Gernhardt, wie weit die Ausgliederung von Pflege- und Versorgungsberufen aus der Klinikorganisation in der Praxis schon gekommen ist. Dort soll mit den Heilberufen die erste Gruppe aus dem »weißen Bereich« ausgegliedert werden. Keine schönen Aussichten.
Dass die Betroffenen sich öffentlich und spektakulär gegen diese Tendenzen zur Wehr setzen, zeigt das Beispiel der »Pflege am Boden«, einer gewerkschaftsunabhängigen Bewegung, die den Notstand in der Pflege provokativ in der Öffentlichkeit darstellt.
Diese Änderungen der Berufsbilder sind auch im ambulanten Bereich festzustellen: Bedingt durch den Mangel an Ärzten in ländlichen Bereichen gibt es schon seit Jahren auf Deutschen Ärztetagen heftige Diskussionen um Substitution und Delegation von Pflege. Viele bisher ärztliche Tätigkeiten lassen sich natürlich genauso gut, wenn nicht manchmal besser, durch ausgebildetes Pflegepersonal ausführen. So weit so gut, doch wer hat das Sagen? Die Ärzteschaft will nur delegieren und damit auch die finanzielle Verantwortung behalten, aber nichts vom eigenen Bereich abtreten. Diese Diskussion wird weitergehen und wohl nicht von der Ärzteschaft sondern vom Gesetzgeber gelöst werden.
Ob es in der DDR da besser war? Hartmut Betins Bericht gibt ein gespaltenes Bild: Ein selbstbewussteres Pflegepersonal, aber auch streng hierarchische Strukturen. Das gemeinsame Frühstück von Ärzten und Pflegpersonal im Frühstücksraum als »Sozialausgleich« kann heute als romantische Reminiszenz angesehen werden – diese Frühstücke gibt es nicht mehr.
Positiver dagegen scheinen die Bedingungen in Norwegen zu sein. Harald Kamps berichtet von Arbeitsverteilung im Team und der Organisation von Hauskrankenpflege. Besonders interessant scheint hier auch das Berufsbild einer »Gesundheitsschwester« zu sein, die eher präventiv als pflegend tätig ist. Seine Schlussfolgerung nach 25 Jahren Norwegen ist, »dass nicht Delegation, sondern Dialog die spannendere, bessere Versorgung ausmacht, mit der sowohl Pflegende und ÄrztInnen als auch PatientInnen zufrieden sind.« In Norwegen ist die Akademisierung der Krankenpflege eine Selbstverständlichkeit. Apropos Akademisierung: Nach Heino Güllemann sind Deutschland und Österreich die einzigen Länder, die für die Ausbildung in der Krankenpflege keinen gymnasialen Schulabschluss verlangen.
Ein Weg, dem Mangel im Pflegebereich zu begegnen, ist die Abwerbung von Pflegepersonal im Ausland. Für deutsche Kliniken besonders interessant sind die Staaten im Süden Europas. Zur Zeit sind besonders Griechenland und Portugal im Fokus. Ob die Bundesregierung die Abwerbung von Arbeitskräften wirklich »ausgesprochen sozialverträglich« gestaltet, bleibt abzuwarten. Der Bericht von Kalle Kunkel zu den Anwerbungspraktiken der Deutschen Gesellschaft für medizinische Intensivpflege spricht nicht für eine sozialverträgliche Praxis. Langfristig, und da ist Heino Güllemann zuzustimmen, »sind (attraktive Arbeitsbedingungen) auch ein wertvoller entwicklungspolitischer Beitrag zur Stabilisierung von Gesundheitssystemen im Süden.« Eine schwierige Gratwanderung, will man doch den Pflegenden aus diesen armen Ländern nicht die Chance nehmen, ihren Beruf unter besseren sozialen Bedingungen auszuüben. Andererseits bedeutet die Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte eine weitere soziale Schwächung dieser Länder. Hierfür müsste ihnen zumindest ein finanzieller Ausgleich erstattet werden.
Wie haben es nicht geschafft, alle Aspekte zu neuen Kooperationsformen in der Pflege in einem Heft von Gesundheit braucht Politik zu beleuchten. Besonders fehlt noch die Diskussion um die Akademisierung der Pflege. Wir werden das Heft 1/2015 erneut dem Thema Pflege widmen.
Zum Schluss noch der Hinweis auf unser Gesundheitspolitisches Forum im Rahmen der Jahreshauptversammlung des vdää, auf dem wir die Themen dieses Heftes ausführlich diskutieren werden. Sie sind alle recht herzlich zu dieser Veranstaltung in Hamburg eingeladen. Und nun wünsche ich Ihnen noch viel Spaß bei der Lektüre dieses Heftes.
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Pflege und Ökonomisierung - Heft I, 3/2014)