Der Arzt im Mittelpunkt...
Bericht vom 117. Deutschen Ärztetag von Wulf Dietrich
Jetzt ist er wieder vorbei, der 117. Deutsche Ärztetag, und wie in jedem Jahr fällt es schwer, darüber zu berichten. Natürlich, es ging ums Geld. Unter dem Obertitel Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik ging es vier Stunden lang um die neue GOÄ. Sie sei das »Alleinstellungsmerkmal des freien Arztes«. Traurig, wenn den Arzt nichts Besseres alleinstellt! Die Diskussion um die GOÄ ist aber auch ein Zeichen der Hybris der deutschen Ärzteschaft: Um 29 Prozent soll der Punktwert steigen, zudem wird ein rückwirkender Inflationsausgleich verlangt. Wer soll es zahlen? Nicht das Problem des Ärztetages. Dass die Länder alle klamm sind und sicher nicht die Beihilfe um 29 Prozent erhöhen werden, wen kümmert´s?
Positiv ist zu vermerken, dass doch inzwischen ein anderer Ton, auch in politischer Hinsicht, auf dem Ärztetag angeschlagen wird: Des verstorbenen Medizinhistorikers Ernst Klee wurde in der Totenehrung gedacht; Professor Gerhard Trabert, der Initiator des Mainzer Modells der gesundheitlichen Versorgung von wohnungslosen Menschen wurde mit der Paracelsus-Medaille geehrt und schließlich stand das Thema medizinische Versorgung in den europäischen Krisengebieten auf der Tagesordnung.
Es gab wenige Konfliktthemen auf diesem Ärztetag. Präsident Montgomery versuchte den neuen Gesundheitsminister Gröhe in seiner Eingangsansprache mit einigen Themen zu provozieren
1. Beim geplanten Qualitätsinstitut müsse die Ärzteschaft angemessen beteiligt werden: Wir produzieren die Qualität, sie verwalten sie nur. Ohne Ärzte wäre das Institut wie ein Orchester ohne Musiker… – Wie immer: Der Arzt muss im Mittelpunkt stehen.
2. Die maximal vier Wochen Wartezeit bis zur Facharztüberweisung, die im Koalitionsvertrag gefordert werden, ließen sich einfach regeln, wenn die Honorierung auf das GOÄ-Niveau angehoben würde. – Hier also das offene Eingeständnis der Ärzteschaft, dass mit Patienten aus Geldgründen unterschiedlich umgegangen wird.
3. In der Krankenhausplanung müssen die Länder endlich ihren Verpflichtungen nachkommen. Zahlten sie früher 10% der Krankenhausausgaben, so seien es jetzt nur noch 3%. – Ein richtiger Einwand, wie er auch vom vdää vorgebracht wird.
4. Ökonomische Anreize führen zu Fehlplanungen im Gesundheitswesen. Deshalb müsse die hundertprozentige Finanzierung der Kliniken über die DRGs aufgegeben werden. – Hier stimmt Montgomery mit dem Positionspapier des vdää zur Krankenhausfinanzierung überein – sehr gut!
5. Für die Haftpflichtprämien in der Geburtshilfe forderte er staatliche Absicherung. – Wenn es ums Zahlen geht, ist der Staat immer gefragt, nur kontrollieren darf er nicht.
6. Europa dürfe keine Normen für ärztliche Dienstleistungen setzen. – Sicher ein wichtiger Punkt, der auch uns in der Zukunft beschäftigen könnte. Zudem erhob er die Forderung, dass das geplante TTIP-Abkommen nicht für das Gesundheitswesen gelten dürfe. Hierzu wurde später auch ein entsprechender Antrag von uns verabschiedet.
7. Auch in der Versorgung von Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus müssen humane Lösungen wie z.B. der anonyme Krankenschein gefunden werden. – Auch dies eine Forderung, die der vdää unterstützt.
Minister Gröhe ließ sich von diesem Katalog nicht beeindrucken: Langweilig und sehr nervös spulte er sein vorgegebenes Programm herunter. Eine Initiative gegen die organisierte und gewerbsmäßige Sterbehilfe will er zum Jahresende auf den Weg bringen. Mehr blieb von seiner Rede nicht hängen.
Die Plenumsdiskussionen plätscherten dann auch so dahin. Wir konnten einen sehr guten Antrag zur Finanzierung der Krankenhäuser, der unserem vdää-Papier entspricht, unterbringen. Aber ein Beschluss des Ärztetages (siehe Homepage des vdää) heißt noch lange nicht, dass diejenigen, die politisch das Sagen haben, diesen auch umsetzen werden. Dass der TOP Prävention aufgenommen wurde, ist zu begrüßen. Dabei aber wurde weniger über Verhältnisprävention (es fiel auch der Ausdruck »Strukturprävention«) als über Verhaltensprävention gesprochen. Und natürlich steht für die Mehrheit der Ärzteschaft auf dem Ärztetag der Arzt oder die Ärztin im Mittelpunkt aller Präventionsbemühungen.
Zum öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und zur Schmerzmedizin wurde wenig Neues berichtet und diskutiert. Beides ist wichtig. Mehr wurde dazu nicht gesagt.
Bei der Diskussion um den Sachstand der Novellierung der Weiterbildungsordnung, der sehr kompetent vom schleswig-holsteinischen Kammerpräsidenten Bartmann vorgetragen wurde, zeigte sich, dass der Weg zu einer kompetenzbasierten Weiterbildung sehr weit ist. Es ist sehr zu begrüßen, dass man weg will von der reinen Aufzählung irgendwelcher Leistungen im Facharztkatalog – wurden die 25 Thoraxnarkosen gemacht und bestätigt? – hin zum Kennen, Können und Beherrschen von medizinischen Tätigkeiten. Also, nicht wie viele Koloskopien hat der Kandidat gemacht, sondern: Kann er koloskopieren?, Das soll die künftige WBO prüfen. Bis zur Umsetzung dieser WBO auf Kammerebene wird es sicher noch bis zum Jahr 2018 dauern. Aber würde diese WBO wirklich umgesetzt, so wäre das eine wahre Revolution in der Ausbildung.
Interessant ist die »harmlose« Satzungsänderung« zur Honorierung des Präsidiums der BÄK: Der Vorstand entscheidet im Einvernehmen mit der Finanzkommission über die Höhe der Bezüge. Ausdrücklich – einer zweiten Lesung zu diesem Punkt wurde nicht zugestimmt – wurde es abgelehnt, dass das Plenum des Ärztetages dieser Regelung zustimmen muss. Die Delegierten des Ärztetages haben also keine Mitbestimmung bei der Höhe der Bezüge des Präsidiums. Man liegt sicher nicht falsch, wenn man hier gravierende Mängel im Demokratieverständnis vermutet.
Zum Tätigkeitsbericht gab es dann wieder das übliche Potpourri an unterschiedlichsten Themen: Zur gesundheitlichen Versorgung in den Krisenländern hielt Montgomery ein bemerkenswertes Referat (»die Hilfsgelder der EU dürften nicht den Banken und Reedern zugute kommen, sondern müssten die Armen und Leidtragenden stützen«) und ein Antrag von uns zu Griechenland (siehe Homepage) wurde fast ohne Gegenstimmen angenommen.
Eine lange Diskussion gab es dann um den Sachstandsbericht zur Zusammenarbeit mit der gematik, wiederum vorgetragen vom Kammerpräsidenten Bartmann. Obwohl in einem 48-seitigem Papier (ist über die BÄK zu beziehen) die Probleme der E-Card und der Stand der Diskussion aufgelistet wurden, war die Ablehnung der E-Card in der Diskussion einhellig. Zugegebenermaßen konnten durch die Teilnahme der Ärzteschaft in der gematik einige Forderungen der Ärzteschaft inzwischen durchgesetzt werden, doch überwogen in der Diskussion die kritischen Fragen nach der Sicherheit dieses Projektes. Leider wurde viel zu wenig über den Nutzen oder besser: angeblichen Nutzen dieses Monster-IT-Projektes gesprochen. Was der Patient schließlich davon haben soll, blieb im Dunklen. Dass sich ein Lipobay Skandal durch die E-Card verhindern ließe – wie angeführt wurde-, ist eine gewagte These. Schließlich wurde der zustimmende Vorstandsantrag und ein weitgehend ablehnender Antrag, beide mit großer Mehrheit, angenommen. So läuft die Demokratie.
Zur Frage der medizinischen Versorgung von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus wurden einige sehr gute Anträge verabschiedet (siehe Homepage).
Was schließlich bleibt: Es wurden 1,5 Millionen Blatt Papier im Laufe des Ärztetages bedruckt. Ob es sich gelohnt hat?
Wulf Dietrich
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Keep our National Health Service Public, 2/2014)