Politik ist zu wichtig, um sie Politikern zu überlassen…
Edgar Thimm* über ein Treffen mit Medact1
Am Samstagmorgen konnten wir mit David McCoy im Greystone Center über Medact diskutieren. David McCoy arbeitet – neben einer Lehrtätigkeit an der Londoner Queen Mary`s Universität – seit ca. einem Jahr ehrenamtlich als chair of the board (Vorstandsvorsitzender) und Interims-Direktor bei Medact. Die ersten 15 Jahre seiner Berufslaufbahn verbrachte er in Südafrika, wo er als Kliniker und im Aufbau des dortigen Gesundheitswesens tätig war. Anschließend kam er nach London und beschäftigte sich sowohl als Akademiker als auch im NHS mit verschiedenen Aspekten »globaler Gesundheit«. Unter anderen Aktivitäten wirkte er maßgeblich am »Alternative World Health Report« des Global Health Watch mit.
Historisch betrachtet hat Medact als Nachfolgeorganisation der Medical Association for Prevention of War (MAPW) und der Medical Campaign Against Nuclear Weapons (MCANW) mit seiner Gründung im Jahre 1992 seine Wurzeln in der ärztlichen Friedensbewegung – einem Zweig, der auch in England leider zunehmend an öffentlichem Interesse verliere. 80 Prozent der aktuell etwa 900 Mitglieder von Medact sind Ärzte, daneben Pflegekräfte, Sozialarbeiter und vereinzelt Ökonomen und Juristen. In den vergangenen acht Jahren war es trotz eines zunehmenden Interesses auch jüngerer Leute (das Durchschnittsalter bei Medact beträgt 60 Jahre) zu einem Mitgliederschwund gekommen. Deshalb entstand 2012 der Gedanke, Medact mit einer gut vorbereiteten Kampagne »wiederzubeleben« und zu erneuern. Dabei ging es einerseits darum, die falsche öffentliche Wahrnehmung der Organisation als reine Anti-Atomwaffen-Initiative zu korrigieren, und andererseits die unzeitgemäßen Vereinsstrukturen zu modernisieren.
Ein wichtiger Beitrag dazu stellte v.a. eine Professionalisierung der Internet-Präsentation und die Nutzung der neuen sozialen Medien wie Facebook und Twitter dar. Die Öffentlichkeitsarbeit rückte also neben der inhaltlichen Arbeit in der Prioritätensetzung nach vorne – so berichtete David McCoy mit einen lachenden und einem weinenden Auge, welche Lehren er gezogen habe, wenn es um mehr Aufmerksamkeit und das Bekanntmachen von Medact geht. Infoveranstaltungen werden teilweise über die Organisation selbst und nicht mehr nur über Sachthemen veranstaltet. Einmal jährlich im November wird eine eintägige Konferenz abgehalten, 2014 mit dem Thema »inequalities«. Auch wirbt Medact mit sogenannten »Berühmtheiten« – zuletzt dem Herausgeber des Lancet, Dr. Richard Horton, der bei ihrer »Relaunch Conference« auftrat –, um der Organisation sprichwörtlich »ein Gesicht« zu geben. Aller Erfahrung nach sei für die Präsenz in den Medien kurze Beiträge angemessener, selbst wenn dadurch komplexe Inhalte stark vereinfacht dargestellt werden müssten.
Medact firmiert als »Charity«-Organisation, die sich neben Spenden auch zu einem kleineren Teil aus Mitgliedsbeiträgen finanziert. Medact beschäftigt aktuell zwei feste Mitarbeiter. Der Fokus der Arbeit liegt immer auf der Perspektive der Gesundheitsexperten und deckt ein breites internationales Spektrum an Themen ab. Die primäre Zielgruppe, um die es Medact geht, sind die Gesundheitsprofessionellen. Diese will man gewinnen, damit sie das Anliegen der Gesundheit in vielen verschiedenen gesellschaftlichen Problembereichen thematisieren und dafür streiten, dass gesundheitliche Ungleichheit abgeschafft bzw. verhindert werde.
Die vier Hauptarbeitsbereiche von Medact sind: Krieg und Waffen (Frieden), Ökologie und Klima, ökonomische Gerechtigkeit sowie Gesundheit und Menschenrechte.Dabei wird eine Zusammenarbeit und strategische Allianzbildung mit anderen NGOs – u.a. Greenpeace, Friends of the Earth oder World Development Movement – gepflegt. Gleichzeitig betonte David McCoy auch, dass Medact durch seine Expertise im Gesundheitsbereich jeweils ganz eigene Schwerpunkte setzen kann und muss. Frei nach dem Motto der Organisation: «Politics is too important to leave it to the politicians.« Er verdeutlichte dies am Beispiel einer Kampagne zur Steuerpolitik, wo es z.B. um die Finanzierung des NHS und die Besteuerung (ungesunder) Nahrungs- oder Genussmittel geht. Zielgruppe sind dabei alle 1,2 Mio. Beschäftigten im NHS, speziell natürlich deren Organe, wie ärztlicherseits die BMA (British Medical Association), die Royal Colleges und die Medizinstudierenden.
Medact hat sich für die kommenden Jahre ambitionierte Ziele gesetzt und strebt bis Ende 2015 eine Mitgliederzahl von 3 000 an. Zudem soll die Themenarbeit durch mehr festangestelltes Personal – generiert z.B. aus projektgebundenen Finanzmitteln – vertieft werden.
Gegen Ende des Treffens stellte sich David McCoy noch einigen unserer Fragen, die nach zwei Tagen Informationen rund ums NHS geblieben waren. Zusammengefasst sieht er die Zukunft der öffentlichen Gesundheitsfürsorge durch die schon laufenden politischen Reformen als eher düster an: Der NHS sei zerbrochen worden, aktuell würde er kaum noch in seiner ursprünglichen Form existieren. Selbst wenn die Labour-Partei die Wahlen gewinnen sollte, wäre die vorgegebene Richtung zur Privatisierung hin kaum mehr umzukehren. Zudem hätte die Bevölkerung das Ausmaß der Veränderungen noch nicht erfasst, da sie nur nach und nach greifen würden und subtil geplant seien. Zurzeit herrsche eine Desorganisation bis hin zum Chaos, was die Planung im Gesundheitswesen anbelangt. Die einzelnen Regionen würden sehr ungleich versorgt. Das alte NHS sei ein »fließendes System« gewesen, wo Vieles auf Vertrauensbasis und durch peer review geregelt worden sei. Mit der neuen politischen Ausrichtung drohe eine weitgehende Marktregulierung.
* Edgar Thimm ist Facharzt für Allgemeinmedizin in Konstanz
Quellen
Gesprächsnotiz, Medact News Dez 2013, www.medact.org
Anmerkung
- Beschäftigte im Gesundheitswesen für eine sicherere, fairere und bessere Welt; siehe: www.medact.org/
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Keep our National Health Service Public, 2/2014)