GbP 2-2014 Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser

Medizinische Versorgung von Flüchtlingen

Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser* über Medical Justice in London

Medical Justice (MJ) wurde nach einem Hungerstreik von Flüchtlingen in England 2005 als NGO von Ärzten, Psychologen und Hebammen gegründet. Insgesamt gibt es vier hauptamtliche Mitarbeiter und 45 freiwillige. Eine der Hauptamtlichen, Theresa Schleicher, hat uns die Arbeit von MJ und die Situation der Flüchtlinge in England vorgestellt. MJ wird aus Spendengeldern und Stiftungen finanziert. Sie haben ihren Hauptsitz in London und jeweils Anlaufstellen in der Nähe von den elf Immigration Removal Centers (IRCs)

 

Die Situation der Flüchtlinge in England

Derzeit gibt es jährlich knapp 30.000 Asylanträge in England. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2013 109.580. Da England als Insel keine Außengrenzen hat, ist es für Flüchtlinge äußerst schwierig, nach England zu kommen. Flüchtlinge kommen vorwiegend mit dem Flugzeug, wenige über Drittländer wie Italien, Griechenland und Frankreich. Außerdem gibt es welche, die nach Ablauf des Visums nicht in ihre Heimatländer zurück wollen oder können und dann zu »Illegalen« werden.
Asylsuchende, Menschen, deren Visa abgelaufen ist, Menschen ohne Papiere, »Fast track«-Fälle (bei denen klar ist, dass sie sofort wieder abgeschoben werden) und andere Flüchtlinge werden in England in den elf IRCs untergebracht, die wie Gefängnisse ausgestattet sind und auch so geführt werden. Sieben von diesen elf IRCs werden von privaten Betreibern geführt, übrigens dieselben Firmen, die auch in den USA oder Australien tätig sind. In den IRCs gibt es teilweise Arbeit für die Einsitzenden. Allen aufgenommenen Flüchtlingen werden bei Aufnahme die Handys abgenommen, sodass sie erst keinen Kontakt nach außen haben. Die Handys werden auch deshalb abgenommen, dass keine Bilder gemacht werden können, die nach Außen gelangen könnten. Später können sich die Flüchtlinge wieder ein Handy ohne Kamera kaufen.

GbP 14 2 Schwarzkopf Grafik 1

In der Tabelle sind die 11 IRCs mit dem Eröffnungsjahr und der Anzahl von einsitzenden Flüchtlingen für 2013 dargestellt.

 

 

GbP 14 2 Schwarzkopf Grafik 2

In der Grafik wird die Zunahme der in den IRCs einsitzenden Flüchtlinge von 1975-2013 dargestellt.

 

Nach EU-Recht dürfen Flüchtlinge maximal sechs Monate in diesen IRCs untergebracht werden. Dagegen wird aber immer wieder verstoßen. Ein Flüchtling saß neun Jahre ein. Zurzeit ist der Flüchtling, der am längsten einsitzt, drei Jahre und elf Monate inhaftiert. Es werden auch Flüchtlinge in Isolationszellen untergebracht. In der Regel sind das Flüchtlinge, die sich gegen etwas auflehnen. In der Nähe vom Flughafen Gatwick gibt es ein IRC für Familien, wo auch Kinder untergebracht sind. 40 Prozent der Flüchtlinge kommen wieder frei. Der Rest wird abgeschoben.
Grundsätzlich haben alle einsitzenden Flüchtlinge Zugang zum Gesundheitswesen über den NHS, das heißt, dass für das IRC ein General Practicioner zuständig ist. Medical Justice wird von einsitzenden Flüchtlingen angefordert bei gesundheitlichen Problemen, die sich nicht ausreichend behandelt fühlen. Medical Justice kann nur auf Anforderung eines Flüchtlings in die IRCs gehen.
Mit folgenden Themen tritt Medical Justice an die Öffentlichkeit:
• Kampagne für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung
• Kampagne zur Abschaffung der IRCs
• Kampagne gegen das Einsperren von Flüchtlingen mit z.B. HIV, Folteropfer, Schwangere und anderen Erkrankungen.
• MJ strengt in Einzelfällen Gerichtsverfahren für einsitzende Flüchtlinge an.
Die Situation für Flüchtlinge in England ist dadurch, dass alle erst in die IRCs eingesperrt werden, insgesamt sehr schlecht, und es ist dadurch für sie äußerst schwierig, zu ihrem Recht auf Asyl zu kommen. Obwohl es deutlich weniger Flüchtlinge sind als in anderen europäischen Ländern, wird von der Regierung diese restriktive Flüchtlingspolitik durchgezogen.

* Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser ist Facharzt für Mikrobiologie u. Infektionsepidemiologie in München

 

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Keep our National Health Service Public, 2/2014)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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