GbP 1-2014 Wulf Dietrich

Kein Ärztemangel – aber wo sind sie geblieben?

Von Wulf Dietrich

Wulf Dietrich entzaubert die Zahlenmystik der Standesvertretungen und zeigt: Einen absoluten Mangel an ÄrztInnen gibt es nicht. Im Gegenteil. Die Diskussion muss anders geführt werden. Nicht Mangel sondern Fehlversorgung ist das Problem.

 

Vor dreißig Jahren wurden unsere Standesfunktionäre nicht müde, vor einer drohenden Ärzteschwemme zu warnen. Genau so eifrig wird heute ein angeblich anstehender Ärztemangel von unseren Funktionären an die Wand gemalt. Doch wie sehen die Zahlen aus?
Im Studienjahr 2012/13 haben 11 329 Studierende ihr Medizinstudium aufgenommen. Seit 2008 ist das ein Anstieg um sechs Prozent. Etwa 27 Prozent davon sind ausländische Studienanfänger. Knapp 10 000 Studentinnen und Studenten haben 2013 ihr Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen. Diesem Zuwachs an jungen Ärztinnen und Ärzten stehen ca. 6 600 Ärzte gegenüber, die bis 2015 altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden. Auch wenn man bedenkt, dass die jungen Studienabgänger wegen ihrer Facharztweiterbildung dem Arbeitsmarkt nur bedingt zur Verfügung stehen, sind dies eigentlich keine alarmierenden Zahlen. Für ausreichend Nachwuchs ist gesorgt.
Nun kommt natürlich sogleich der Einwand, dass unsere jungen ÄrztInnen wegen angeblich schlechter Bezahlung und miserablen Arbeitsbedingungen »alle« ins Ausland abwandern. Es arbeiten ca. 24 000 Ärzte, die in Deutschland ihren Abschluss gemacht haben, im Ausland. Darunter sind auch die Ärzte ohne deutschen Pass, die nur für das Studium nach Deutschland kamen. Diesen 24 000 Ärzten stehen aber laut Bundesärztekammer im Jahr 2010 25 316 ausländische Ärzte, die in Deutschland tätig sind, gegenüber. Das Institut der Wirtschaft (IW) geht sogar von 35 900 Ärztinnen und Ärzten aus, die ihren Studienabschluss im Ausland erlangt haben und die in Deutschland arbeiten. Von diesen sind ca. 16 400 Personen deutsche Staatsbürger (z. B. NC-»Flüchtlinge«), während die übrigen 19 500 mit einem ausländischen Abschluss zugewanderten Humanmediziner über eine ausländische Staatsangehörigkeit verfügen. Das IW geht von 31 000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten mit einem im Ausland erworbenen Studienabschluss aus. Es wird in diesem Zusammenhang von einem »Braingain« von 7 000 Ärztinnen und Ärzten gesprochen.

 

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Natürlich hat die Verbesserung der Arbeitszeitbedingungen in den letzten zehn Jahren neue Arbeitsstellen geschaffen und damit Mediziner absorbiert. Obwohl der weibliche Anteil der Ärzteschaft ca. 44 Prozent beträgt, sind nur 14,1 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit tätig. Das Argument, der große weibliche Anteil der Berufstätigen würde familienfreundlichere Arbeitszeiten bedingen und damit mehr MedizinerInnen binden, ist also nicht stichhaltig.
Und schließlich wird Deutschland mit einer Arztdichte von 3,8 ÄrztInnen/1 000 EinwohnerInnen diesbezüglich nur noch von Österreich, Spanien, Italien und Schweden übertroffen. Die USA, nicht gerade ein Vorbild in der medizinischen Versorgung, haben dagegen nur 2,46 ÄrztInnen/1 000 EinwohnerInnen. (OECD). Es ist also noch reichlich Luft für die Übernahme bisher ärztlicher Tätigkeit durch andere Berufsgruppen.
Es soll hier sicher nicht geleugnet werden, dass in bestimmten Bereichen der hausärztlichen Versorgung, insbesondere auf dem Land und in ärmeren Stadteilen deutscher Großstädte, Versorgungslücken bestehen. Diesen Engpässen steht aber eine enorme ärztliche Überversorgung in den Ballungsgebieten gegenüber. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass immer noch mehr Ärzte in Deutschland ausgebildet werden, als aus dem Berufsleben ausscheiden. Auch wird die Auswanderung ins Ausland zahlenmäßig vom »Import« von Arbeitskräften mit im Ausland erworbenem Hochschulabschluss um ca. 7 000 Arbeitskräfte übertroffen. Es handelt sich also nicht um absoluten Mangel an Arbeitskräften, sondern um eine eklatante Fehlversorgung.

Quellen

IW-Trends, September 2013
Roland Berger, Oktober 2013
OECD Health Data, 2013
BÄK, Ärztestatistik 2013

Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Artikel von Daniel Rühmkorf: »Die Mär vom Ärztemangel« im Neuen Deutschland vom 10. Januar 2014 (siehe: vdää-Homepage unter Themen/ambulanter Sektor).

 

(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Im Schlaraffenland?, 1/2014)


Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
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