Anträge des Deutschen Ärztetags 2015
Auch wenn die deutsche Ärzteschaft mehrheitlich ziemlich konservativ und wenig fortschrittlich ist, gibt es seit Jahren gute Beschlüsse zum Thema Flucht und Migration. Das fällt ihr dann besonders leicht, wenn es die Ärzteschaft nichts kostet. Wir dokumentieren ein paar Beschlüsse von 2015.
1. Antrag
Der Deutsche Ärztetag schließt sich den folgenden Forderungen der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Behandlungszentren für Flüchtlinge und Folteroper (BafF) an:
• Früherkennung in den Erstaufnahmeeinrichtungen von Vulnerabilität
• Einleitung von geeigneter Unterstützung und Behandlung
• Diagnostik und Indikationsstellung mit Hilfe von Dolmetschern
• schnelle ärztliche , psychotherapeutische und soziale Hilfen
• Übernahme von Fahrtkosten zur Behandlung.
Begründung:
Menschen, die durch Folter, Verfolgung oder Misshandlung oft große Qualen erlitten haben, sind häufig psychisch traumatisiert und bedürfen spezieller Behandlung. Der deutsche Staat weigert sich weiter, konsequent seiner humanitären und mittlerweile auch rechtlichen Verantwortung nachzukommen und erkrankten Flüchtlingen ausreichende medizinische und psychosoziale Hilfe zukommen zu lassen obwohl Deutschland bis Mitte 2015 die EU-Richtlinie 2004/83/EG umsetzen muss, die besagt, dass der Aufnahmestaat verpflichtet ist, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge und ihren Hilfsbedarf zu erkennen und entsprechende Unterstützung bereit zu stellen. Als besonders schutzbedürftige Personen gelten u.a. Traumatisierte, psychisch Kranke, Gefolterte und Opfer von Gewalt
2. Antrag
Der Deutsche Ärztetag fasst den Beschluss, die Behindertenbeauftragten der Länder und die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung aufzufordern, sich für die umfassenden Belange von behinderten Flüchtlingen einzusetzen.
Insbesondere müssen hier genannt werden:
• eine geeignete Unterbringung auch in den Erstaufnahmen, die einen Zugang zu Toiletten und Duschen ermöglichen um zusätzliche Verletzungsgefahren auszuschließen
• ein sofortiger Zugang zu ausreichender medizinischer und psychosozialer Versorgung,
• eine sofortige Bemühung um Familienzusammenführung, da behinderte Flüchtlinge ganz besonders auf die Hilfe ihrer Angehörigen angewiesen sind.
Begründung
Es kommt immer wieder vor, dass behinderte Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen kommen, in denen weder die Sanitäranlagen noch die sonstige Umgebung für sie geeignet sind. Behinderte Menschen gelten gemäß der EU-Richtlinie 2004/83/ EG als besonders schutzbedürftig und müssen daher gemäß der Richtlinie Behandlung erfahren.
3. Antrag
Der Deutsche Ärztetag fasst den Beschluss, die zuständigen Behörden darüber zu informieren, dass die Befundweitergabe aus den Erstuntersuchungen von Asylsuchenden nicht operationalisiert stattfindet und oftmals die Befunde nach einem Transfer gar nicht mehr aufzufinden sind. Die zuständigen Behörden werden aufgefordert, hier ein sicheres System aufzubauen, das einen sicheren Zugang zu den Befunden besonders für die Flüchtlinge selbst und Betreuer und Behandler gewährleistet.
Begründung
Die Erstuntersuchungen nach §62 Asylverfahrensgesetz soll ansteckende Krankheiten erkennen und den Flüchtling, seine Mitbewohner, Betreuer und Behandler diesen schützen. Die Mitteilung der Befunde funktioniert oftmals nur lückenhaft oder findet gar nicht statt, sodass hier eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann.
4. Antrag
Der Deutsche Ärztetag beschließt, die Bundesregierung aufzufordern, eine gültige Auslegung für §6 des Asylbewerberleitungsgesetzes auszuarbeiten.
Begründung
Gerade in Bereichen der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung wird die Notwendigkeit von Überweisungsscheinen von Seiten der damit erheblich überforderten Sachbearbeiter überprüft und genehmigt. So kommt es bei
• psychiatrischen Behandlungen in Kliniken oft zu Wiederaufnahmen, da nur der akute Notfall behandelt wird und die Weiterbehandlung nicht möglich wird, weil der Bedarf eines Überweisungsscheines erst überprüft werden muss;
• psychotherapeutischen Behandlungen zu einem langwierigen Verfahren, in dem die Behandler, die sich überhaupt in der Lage fühlen, Psychotherapien für traumatisierte Flüchtlinge anzubieten (Sprachschwierigkeiten, Dolmetschernotwendigkeit, modifizierte Verfahren), oftmals weit in Vorleistung gehen müssen, da erst ab einer Genehmigung durch den Amtsarzt die Sitzungen bezahlt werden. Der Behandler muss auf alle Fälle die erste Sitzung, Probesitzungen und den Bericht für das Amt auf eigene Rechnung schreiben, ohne zu wissen, ob dies je bezahlt wird und genehmigt wird.
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Flucht und Migration, 3/2015)