Migrationspolitisches Netzwerk
Von Gisela Penteker über PICUM, die Plattform für Internationale Zusammenarbeit zu Migranten ohne Aufenthaltsstaus
Durch verschiedene Gründe können Menschen in allen europäischen Staaten durch das asylrechtliche Raster fallen. Ihr legaler Status ist meist ungeklärt, praktisch sind sie jedoch illegalisiert von gesellschaftlicher Teilhabe und Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ausgeschlossen. In vielen Ländern gibt es zivilgesellschaftliche Organisationen, die um eine Durchsetzung der Rechte der »sans papiers« kämpfen. Die europäische Plattform PICUM wurde gegründet, um die Akteure in diesem Bereich zu vernetzen.
PICUM (Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants) wurde im Jahr 2000 von Menschenrechtsaktivisten aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland gegründet, um die zivilgesellschaftliche Unterstützung für undokumentierte MigrantInnen zu mobilisieren. Die Plattform hat ihren Sitz in Brüssel. Undokumentierte Migranten, Menschen ohne Papiere, Menschen in der ausländerrechtlichen Illegalität, holprige Begriffe im Deutschen, aber wichtig, denn illegale Menschen gibt es nicht. »Die Wege, undokumentiert zu werden, sind komplex und oft das Ergebnis willkürlicher Politik und von Verfahren, die der Migrant/die Migrantin wenig oder nicht beeinflussen kann. Einmal in einem unregulierten Status sind Migrantinnen und Migranten von grundlegenden Sozialdiensten ausgeschlossen, die dazu beitragen, in den Bereichen medizinische Versorgung, Unterkunft und Bildung einen angemessenen Lebensstandard zu halten. Die wachsende Verknüpfung von Migrationskontrolle und Bereitstellung sozialer Dienste bedeutet, dass ein hoher Prozentsatz undokumentierter Migrantinnen und Migranten seine Rechte nicht wahrnimmt, auch wenn ein Anspruch besteht«, sagt die PICUM-Direktorin Michele LeVoy.
Während es in vielen europäischen Ländern immer wieder Legalisierungskampagnen gab, wurde in der Bundesrepublik Deutschland das Problem der undokumentierten Migranten geleugnet und Migranten und Helfer kriminalisiert. Erst durch soziologische Untersuchungen in einigen Großstädten und Kampagnen von NGOs (Nichtregierungsorganisationen) wie z.B. »kein mensch ist illegal« hat hier langsam ein Umdenken begonnen.
Auf politischer Ebene wird in der EU eine Harmonisierung des Asylrechts angestrebt und eine gerechte Verteilung der Aufgaben. Einig ist man sich bisher meist nur bei Restriktionen, wie der Einrichtung der Grenzschutzbehörde Frontex und der Dublin-Regelung, nach der ein Flüchtling sein Asylverfahren in dem Land durchführen muss, in dem er zuerst EU-Boden betreten hat.
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind verpflichtet, bestimmte regionale und internationale Menschenrechtsstandards einzuhalten. PICUM achtet darauf, dass die EU-Politik hinsichtlich des Migrationsmanagements diesen Verpflichtungen nachkommt oder legt zumindest den Finger in die Wunde, wo das nicht geschieht. In der politischen Diskussion in Brüssel und auch bei den Vereinten Nationen ist PICUM inzwischen ein gefragter Gesprächspartner.
Inzwischen gehören Menschen und Organisationen aus 31 nicht nur EU-Ländern zu PICUM. In vier Arbeitsgruppen zu den Themen Gesundheit, Frauen, Kinder, Arbeit werden vergleichende Untersuchungen gemacht und Berichte erstellt. Es werden gute Beispiele aus verschiedenen Ländern zusammen getragen. Es gibt Treffen mit politischen Entscheidungsträgern auf europäischer, nationaler und kommunaler Ebene. PICUM gibt einen monatlichen Rundbrief zu den Entwicklungen im Migrationsbereich heraus, der einmal im Quartal auch als Zusammenfassung in deutscher Übersetzung erscheint und auch Quellen zu Studien und anderen Veröffentlichungen nennt.
Europa macht zur Zeit keinen guten Eindruck. Überbordende Bürokratie und der Vorrang für nationale Interessen, fehlende Solidarität und scheinheilige Berufung auf längst nicht mehr respektierte Werte drohen das Projekt Europa scheitern zu lassen. Ein Netzwerk wie PICUM gibt einen Funken Hoffnung.
Ich arbeite mit in der Arbeitsgruppe Gesundheitsversorgung. Wenn ich in Brüssel bin, freue ich mich über die tüchtigen jungen Leute aus ganz Europa, die sich sicher und engagiert in all den Sprachen und Kulturen bewegen, die sich auskennen mit den komplizierten Rechtsvorschriften, die sich klar für universale Menschenrechte positionieren. Wenn wir heute in Deutschland über einen anonymen Krankenschein für undokumentierte Menschen diskutieren, dann ist das auch ein Verdienst der unermüdlichen Arbeit von PICUM.
In den meisten deutschen Universitätsstädten in Deutschland organisieren StudentInnen sogenannte Medinetze oder medizinische Flüchtlingshilfen, die medizinische Versorgung für Menschen ohne Papiere vermitteln. Beim diesjährigen Treffen in Jena waren Vertreterinnen von PICUM dabei und warben für eine engere Zusammenarbeit. Notwendig ist die Arbeit auch nach 15 Jahren. Kirchen, Wohlfahrtsverbände, das Deutsche Institut für Menschenrechte, die Zentrale Ethikkommission der deutschen Ärzteschaft und viele mehr haben sich zur Situation der Menschen ohne Papiere in Deutschland zu Wort gemeldet. Insbesondere der Zugang zur Gesundheitsversorgung steht dabei im Fokus.
Die Politik argumentiert, es sei alles in Ordnung. Jeder Mensch in Deutschland mit oder ohne Papiere habe das Recht auf Krankenbehandlung bei akuten und schmerzhaften Krankheiten. Kostenträger ist das jeweilige Sozialamt. Der Haken ist nur, dass das Sozialamt die Daten an die Ausländerbehörde melden muss und somit dem Patienten die Ausweisung droht. Das hindert viele undokumentierte Menschen daran, rechtzeitig einen Arzt aufzusuchen. Auch Vorsorgeuntersuchungen, besonders bei Kindern, und Impfungen unterbleiben. Schwangerenvorsorge und Geburtsurkunden für Kinder sind weitere Probleme. Viele Medinetze haben ein funktionierendes Netz von niedergelassenen ÄrztInnen aufgebaut, die im Notfall Behandlungen übernehmen. Notwendige Krankenhausbehandlung und Operationen können manchmal durch Spenden finanziert werden. Als erster Erfolg konnte erreicht werden, dass Notfallbehandlungen im Krankenhaus ohne Weitergabe von Personalien mit dem Sozialamt abgerechnet werden können, die Klinken also nicht privat liquidieren müssen oder auf ihren Kosten sitzen bleiben. Von einem ungehinderten Zugang undokumentierter Migranten zur Gesundheitsversorgung sind wir jedoch weit entfernt. In Bremen, Hamburg, München und Berlin gibt es Modellversuche mit anonymen Krankenscheinen oder einem Fonds für stationäre Behandlung. In Hannover und Göttingen sind solche Modellversuche in der Planung.
Anfang Oktober trifft sich die PICUM Arbeitsgruppe Gesundheit in Frankfurt/Main. Am 2. Oktober findet dort auf Einladung der Stadt ein Kongress statt mit dem Titel: Ensuring health services for undocumented migrants: International, national & local perspectives. Auf dem Abschlusspodium sind Vertreter des Gesundheitsministeriums, der Menschenrechtsagentur FRA, von UNICEF, Caritas und der Bundesärztekammer.
Wir erhoffen uns von dort starke Impulse für den ungehinderten Zugang zur Gesundheitsversorgung für undokumentierte Migranten in Deutschland.
Zum Weiterlesen: www.picum.org
Dr. med. Gisela Penteker ist Allgemeinärztin im Ruhestand. Sie ist in der Arbeitsgruppe Flüchtlinge und Asyl der IPPNW, ist Vorsitzende des Flüchtlingsrats Niedersachsen und arbeitet im Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN) Sie lebt in Otterndorf an der Niederelbe.
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Flucht und Migration, 3/2015)