Flüchtlinge welcome
Ein Faktencheck aus Berlin – von Michael Janßen und Jürgen Hölzinger
Oft wurde in den letzten Wochen die »Willkommenskultur« in Deutschland gelobt und ohne Zweifel ist es für die Flüchtlinge angenehmer, so freundlich empfangen zu werden. Was dann kommt, wenn die Stadt bzw. die Kommune zuständig ist, beschreiben die beiden Ärzte Michael Janßen und Jürgen Hölzinger konkret am Beispiel der Situation vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in Berlin.
Bei Naturkatastrophen in abgelegenen Regionen der Welt erstellen Rotes Kreuz oder THW in kürzester Zeit eine funktionierende Basisversorgung. Mitten in Berlin sind staatliche Stellen jetzt schon seit Wochen vom Andrang der Flüchtlinge völlig überfordert. Auf dem Gelände des zuständigen Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) – einem ehemaligen Krankenhausgelände (!) – halten sich seit dem Frühjahr 2015 werktäglich bis zu 2000 Menschen auf. Die neu ankommenden Flüchtlinge und ihre Familien bekommen zunächst eine Wartenummer und müssen bis zu einer Woche (sic!) auf ihre Registrierung als Asylsuchende warten. Sie stehen täglich im Freien ohne Schutz vor Sonne oder Regen in langen Reihen und warten darauf, aufgerufen zu werden. Dann erst bekommen sie mit ihrer Registrierung Unterkunft, Geld und Krankenscheine. Ehrenamtliche Helfer vom Verein Moabit hilft, unterstützt von Geld- und Sachspenden der Bevölkerung, sorgen während dieser tagelangen Wartezeit für Essen, Müllbeseitigung, Information, ärztliche Notversorgung und Suche nach Unterkunft.
Erst nach einer Medienoffensive der UnterstützerInnen während der Zuspitzung in der sommerlichen Hitzeperiode reagierten die Behörden der CDU-geführten Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und übernahmen einen Teil ihrer eigentlichen Aufgaben. Bis dahin hatten sie sich eher durch Behinderung der HelferInnen bemerkbar gemacht: So wurde die Verteilung von Lebensmitteln unter Verweis auf Hygienestandards zeitweilig untersagt.
Im August noch arbeiteten ehrenamtliche Ärztinnen und Ärzte im Dritte-Welt-Standard im offenen, bodenlosen Zelt mitten auf der Wiese, notdürftig mit Flatterband und Planen vor neugierigen Besuchern geschützt. Eine Sommerliege, drei Stühle, ein Tisch mit einem Sammelsurium gespendeter Medikamente, alles musste abends in abschließbare Räume zurückgebracht werden. Behandelt wurden die Flüchtlinge, die eine Wartemarke hatten, aber noch nicht registriert waren. Über eine Apotheke konnten auf Privatrezept Medikamente bestellt werden. Diese wurden von den ausstellenden Ärzten oder aus Spenden von Moabit hilft bezahlt. Erst nach dem Umzug in einen Raum ohne fließendes Wasser und abschließbaren Medikamentenschrank, aber wenigstens mit einer Behandlungsliege und einem Schreibtisch besserten sich die äußeren Bedingungen geringfügig. Medikamente werden allerdings immer noch nicht regelmäßig von behördlicher Seite bereitgestellt. Die nötige professionelle, bezahlte ärztliche Versorgung mit einem Allgemein- und Kinderarzt, statt ständig wechselnden ehrenamtlichen Ärzten, wurde nicht eingerichtet.
Flüchtlinge, die laut EU-Richtlinien 2013/33 unter den Begriff der besonders schutzbedürftigen Personen fallen, die bei ihrem Eintreffen identifiziert und einer entsprechenden Behandlung und Betreuung zuzuführen sind, sollen nach einer Absprache als Härtefälle eigentlich an der normalen Warteschlange vorbei direkt zur Registrierung gebracht werden. Die Praxis sieht allerdings anders aus; wegen Personalüberlastung gelten auch für diese Personen Wartezeiten bis zu zwei Tagen, am Wochenende entsprechend länger. Neben vielen psychisch Traumatisierten gibt es auch Querschnittsgelähmte, Herzoperierte, Hochschwangere, alte Menschen und Menschen mit Behinderungen.
Das Chaos mit den Warteschlangen, fehlende muttersprachliche Informationstafeln, unhaltbare hygienische Zustände, ärztliche Notversorgung auf der Wiese in einem Zelt mehrere Tage lang: Warum bekommt eine Senatsverwaltung das alles nicht in den Griff? Zwar sind Verbesserungen durch staatliche Stellen inzwischen in Minischritten erfolgt, von einem menschenwürdigen, professionellen Betrieb kann allerdings immer noch nicht die Rede sein.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Zögerlichkeit der Abschreckung dienen soll, damit nicht alle Flüchtlinge nach Berlin kommen. Ein gängiges politisches Motiv. Die Effekte stellen sich dramatisch dar. Fluchtbewegungen lassen sich durch menschenunwürdige Aufnahmebedingungen nur selten steuern, dienen allerdings der gesellschaftlichen Stimmungsmache nach dem Motto: »Das sind einfach zu viele, die da anstürmen, das müssen wir begrenzen und unattraktiv gestalten«.
Wenn das Chaos aber nur Folge des Personalmangels der Behörden ist, dann zeigt sich hier massiv, was wir anderswo von Krankenhäusern, Bürgerämtern, öffentlichem Nahverkehr, von Polizei und Feuerwehr etc. kennen: Personalabbau hilft der Rendite, der schwarzen Null und der Schuldenbremse, nicht aber den Menschen.
Wenn eine Behörde überfordert ist, sollte sie sich Hilfe holen. Mitarbeiter, deren Aufgabe die Bearbeitung von Asylanträgen ist, sind nicht trainiert, ein Platzmanagement dieser Dimension zu organisieren. Naheliegend wäre es, Organisationen wie Rotes Kreuz, THW oder Bundeswehr mit der Logistik zu beauftragen. Nötigenfalls muss, wie in München geschehen, der Katastrophenfall ausgerufen werden, um effektivere Maßnahmen zu ermöglichen und den ankommenden Flüchtlingen schnell zu ihren Rechten zu verhelfen. Flüchtlinge welcome? In Berlin gibt es noch viel zu tun!
Dr. Jürgen Hölzinger ist Urologe und Mitglied der FrAktionGesundheit Berlin
Michael Janßen ist Allgemeinarzt und Mitglied des erweiterten Vorstands des vdää
(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Flucht und Migration, 3/2015)