Politikversagen
Mit dem geplanten Krankenhaus-Struktur-Gesetz wird sich die Misere der Krankenhäuser weiter verschärfen – Von Peter Hoffmann*
Nach der vergangenen Bundestagswahl schien ein breiter Konsens zu bestehen: Dem stationären Sektor wurde übereinstimmend eine schwere Krise attestiert. Parteien, Große Regierungskoalition sowie Bund und Länder erklärten, sich gemeinsam der Pflichtaufgabe einer Krankenhausreform zu stellen. Peter Hoffmann glaubte für einige Zeit, die drängenden Probleme würden von der herrschenden Politik so ernstgenommen, dass einzelne bedarfsgerechte Lösungsansätze in dem Krankenhaus-Struktur-Gesetz zu erwarten seien. Wie sich erweisen sollte, war dies eine zwar verständliche aber – wie er hier zeigen wird – naive Einschätzung.
Dem Koalitionsvertrag folgte die Bildung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die im Dezember 2014 Eckpunkte vorlegte. Darin wurde ein »Einstieg in den bedarfsgerechten Umbau der Krankenhausversorgung, der von der Versorgung der Patientinnen und Patienten her gedacht ist« versprochen. Der Referentenentwurf zum Krankenhaus-Struktur-Gesetz (KHSG) wurde Ende April veröffentlicht, am 7. September folgt die Anhörung im Gesundheitsausschuss, 2. und 3. Lesung des KHSG werden für Oktober erwartet.
Investitionen
Das InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus gGmbH) veranschlagt das notwendige Jahresinvestitionsvolumen für die Kliniken in Deutschland auf sechs Mrd. Euro. Nach dem Prinzip der dualen Finanzierung sind die Bundesländer gesetzlich verpflichtet, eine bedarfsgerechte und flächendeckende Krankenhausversorgung sicherzustellen und den Krankenhäusern die erforderlichen Investitionsmittel zur Verfügung stellen. Tatsächlich sind die bereitgestellten Mittel jedes Jahr rückläufig und liegen mittlerweile unter drei Mrd. Euro jährlich.
Daran ändert der vorliegende Referentenentwurf nichts. Die Länder haben im Gesetzgebungsprozess lediglich zugesagt, die Investitionsmittel für bestehende Krankenhäuser nicht noch weiter zu kürzen. Die Hoffnung, der Bund werde in die Investitionskostenfinanzierung der Kliniken einsteigen, hat sich nicht erfüllt. Also müssen die Krankenhäuser für selbstfinanzierte Investitionen weiterhin Krankenkassengelder aus ihren DRG-Erlösen zweckentfremden, die aber gesetzlich für den laufenden Betrieb bestimmt sind und dort fehlen. Gestrichene Personalstellen finanzieren Baustellen. Nach Angaben des WIDO (Wissenschaftliches Institut der Ortskrankenkassen) waren das in 2013 rund zwei Mrd. Euro.
Das KHSG verpflichtet Gesundheitsfonds und Bundesländer zudem, bis zu insgesamt eine Mrd. Euro für einen Strukturfonds aufzubringen, »zur Verbesserung der Versorgungsstruktur insbesondere den Abbau von Überkapazitäten, die Konzentration von stationären Versorgungsangeboten, sowie die Umwandlung von Krankenhäusern in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtungen (z.B. Gesundheits- oder Pflegezentren, stationäre Hospize) zu fördern.«
Werden damit Klinikbetten abgebaut, für die kein Bedarf in der Versorgung besteht, oder solche, die nicht kostendeckend oder profitabel zu »bewirtschaften« sind? Um diese Frage geht es beispielsweise beim Streit um den geplanten drastischen Bettenabbau am defizitären Städtischen Klinikum in München. Gibt es unnötige Krankenhausbetten am Stadtklinikum oder an privaten, profitorientierten medizinischen Fachkliniken in München?
Werden die Bundesländer Bedarf und die Sicherstellung der Versorgung planen oder die Ergebnisse der Ökonomisierung des Krankenhauswesens, also das Marktgeschehen primär beobachten und anhand der geplanten, vom G-BA zu definierenden Qualitätsindikatoren selektionieren? Was passiert, wenn Notwendiges schlecht und Überflüssiges in guter Qualität erbracht wird? Geht es nach medizinischem Bedarf oder ökonomischen Erfolg?
Das zynische Spiel der herrschenden Politik
So läuft das zynische Spiel der herrschenden Politik: Im Wahlkampf bekennen sich die PolitikerInnen der herrschenden Parteien noch zu unverbrüchlichen sozial- und gesundheitspolitischen Prinzipien der Daseinsvorsorge und kündigen noch im Koalitionsvertrag an, »die Menschen müssen sich darauf verlassen können, nach dem neuesten medizinischen Stand und in bester Qualität behandelt zu werden.«
Der Gesetzentwurf zeigt: Statt nachhaltige gesundheitliche Daseinsvorsorge zu gestalten, ziehen sich Politik und Staat aus der Affäre und überlassen PatientInnen und Beschäftigte den Privaten, damit diese aus Krankheit ein Geschäft machen. Dem Rückzug des Staates – und nichts anderes ist das Verweigern notwendiger Krankenhaus-Investitionsmittel – wird ein weiterer Vormarsch profitorientierter Investoren in den »Gesundheitsmarkt« und eine weitere Privatisierungswelle von Krankenhäusern folgen. Private bringen das nötige Kapital mit und pressen anschließend ihr eingesetztes Kapital plus Profit wieder aus.
Nebenbei: Lohnend wäre eine vertiefte Analyse, ob die herrschenden PolitikerInnen wissen, was sie da tun. Vielleicht ist das aber sekundär, weil nach Marx entscheidend ist, wie wir wirklich handeln und nicht so sehr, welchen Illusionen wir uns dabei hingeben. Anzunehmen ist, dass zumindest die Spin-Doktoren aus der »Gesundheitswirtschaft« als Einflüsterer der Politik wissen, was sie tun.
Kostendeckende Preise
Seit Jahren geht die Schere zwischen Betriebskosten und DRG-Erlösen immer weiter auf, so dass rund die Hälfte der Krankenhäuser defizitär ist. »Eine nachhaltige Sicherung der Betriebskosten der Krankenhäuser« wird im KHSG versprochen aber nicht verwirklicht. Die Preise im DRG-System sind über Jahre nicht angemessen gesteigert worden. Die Refinanzierung unvermeidlicher Kostensteigerungen der Krankenhäuser (z.B. Tariflohnerhöhungen) über einen realistisch ermittelten Orientierungswert soll auch in Zukunft nicht garantiert werden sondern lediglich »geprüft«.
Die Kliniken müssen, um als konkurrierende Wirtschaftsbetriebe im DRG-System zu überleben, Behandlungen zu geringstmöglichen Selbstkosten erbringen. Outsourcing und Dumpinglöhne verschlechtern Arbeits- und Einkommensverhältnisse für die Beschäftigten in den Krankenhäusern. Weiter werden Stellen in der Pflege und in den therapeutischen Bereichen gestrichen, die für eine fachlich qualifizierte und menschlich anständige Versorgung unverzichtbar sind. Zunehmend können Stellen nicht mehr kompetent besetzt werden, weil angesichts unzumutbarer Arbeitsbedingungen kaum noch Bewerbungen eingehen. Wenn den Krankenhäusern die notwendigen Betriebsmittel weiterhin vorenthalten werden, werden selbst die im KHSG angekündigten verschärften Qualitätskontrollen und finanziellen Sanktionen für schlechte Leistungen nichts bewirken können.
Verschärfung des DRG-Systems
Die im KHSG geplante verschärfte Verbetriebswirtschaftlichung der Abläufe in den Krankenhäusern setzt trotz aller öffentlich bekannt gewordenen Fehlentwicklungen weiterhin das Geld über das Patientenwohl. Auch in Zukunft sollen Krankenhäusern Vorhaltekosten nicht erstattet werden. Für Notfallversorgung und die Sicherstellung in der Fläche soll es aber Zuschläge zu den Fallpauschalen geben, die allerdings anderen abgezogen werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rechnete 2015 vor, dass bei ambulanten Notfallbehandlungen Selbstkosten von durchschnittlich 126 Euro Erlöse von 32 Euro gegenüberstünden. Abzuwarten bleibt, ob die offensichtliche finanzielle Besserstellung von (häufig privaten) spezialisierten Fachkliniken gegenüber Maximal- und Notfallversorgern wirklich reduziert wird.
Entscheidend ist: Wenn auch zukünftig Geld ausschließlich über Fallpauschalen ins Krankenhaus kommt, bleibt den Kliniken bei Strafe der Pleite weiterhin kein anderer Ausweg, als zu versuchen, immer mehr »Fälle« zu behandeln und die Zahl der lukrativen Operationen und invasiven Prozeduren zu steigern. Auch mit medizinisch fragwürdigen und unnötigen Maßnahmen kann man schöne Gewinne machen. In der Hauptsache aber wird dabei Körperverletzung an Patientinnen und Patienten begangen und Geld im Gesundheitswesen verschwendet. Die vielfach und zu Recht kritisierten Mengenausweitungen sind eine strukturell unvermeidliche Konsequenz eines ökonomischen Zwangsgesetzes, nämlich der unsinnigen deutschen Ausgestaltung des DRG-Systems in der Form eines durchgängigen Preissystems. Auch die Bundesärztekammer fordert einen »Wandel des G-DRG-Fallpauschalensystems von einem unmittelbaren Preissystem in ein Krankenhauserlösbemessungsinstrument«, um »künftig ausreichende Ermessensspielräume für die regionale / lokale Vereinbarung von Vergütungen« zu bekommen. »Damit könnten ökonomische Fehlanreize behoben werden (...) bürokratische Überbelastungen vermieden werden und durch eine gezieltere Bereitstellung der benötigten Mittel die primäre Ausrichtung der Krankenhausfinanzierung an den individuellen Patientenbedürfnissen wieder hergestellt werden.«(1)
Mit dem KHSG soll das DRG-System stattdessen wesentlich verschärft werden. Dazu sollen mit einem ganzen Maßnahmenbündel die bisherigen Festpreise weiter abgesenkt werden können, u.a. durch Selektivverträge zwischen einzelnen Krankenkassen und Krankenhäusern, »bei mengenanfälligen (!) planbaren Eingriffen«, bei schlechter Qualität und »bei Leistungen mit wirtschaftlich begründeten Fallzahlsteigerungen«.
Gesetzliche Personalbemessung
Zur Verbesserung der Situation der Pflege bringt das KHSG ein Pflegeförderprogramm. Leider ist es lächerlich ausgestattet. Bei großzügiger Kalkulation wird es höchstens drei zusätzliche Pflegestellen pro Klinik bringen. Wer wirklich mehr Qualität will, muss aber mehr Fachkräfte in die Krankenhäuser bringen. Der Konkurrenzkampf der Krankenhäuser um die niedrigsten Behandlungskosten und den hemmungslosesten Stellenabbau muss gestoppt werden. Völlig zu Recht hat die Gewerkschaft ver.di deshalb die Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung ins Zentrum ihrer Kampagne gestellt und hat die Charité für eine bessere Personalausstattung gestreikt. Eine Nachbesserung des Pflegeförderprogramms im KHSG wird in der Politik offensichtlich ernsthaft diskutiert. Eine allgemeinverbindliche Personalbemessung würde das Kostendumping im zentralen Bereich der Aufwendungen für Personal ins Mark treffen und den wichtigsten Konkurrenzmechanismus des DRG-Systems aushebeln. Auch der Marburger Bund setzte im Juli die Forderung nach gesetzlichen Vorgaben zur Personalausstattung, auch für ÄrztInnen, an die erste Stelle eines 10-Punkte-Forderungspapiers zum KHSG.
Offensichtlich verhaken sich auch und gerade im Krankenhaussektor zwei wohlbekannte, in gegensätzliche Richtung strebende Kontinentalplatten. Gemeinwohlprinzip oder Profitorientierung, Bedarfsgerechtigkeit oder Ökonomisierung, Planung oder Wildwuchs, Kooperation oder Konkurrenz sind die Gegensätze. Ob es Menschen guten Willens, Gewerkschaften und Initiativen wie dem Bündnis Gesundes Krankenhaus gelingen wird, größer und stärker zu werden und im Herbst soziale Kämpfe um das KHSG anzuzetteln, bleibt abzuwarten. Derzeit stehen potentielle Bündnispartner wie die gesetzlichen Krankenversicherungen, Gewerkschaften wie die IG Metall und die Sozialdemokratie wohl noch auf der gegnerischen Seite.
Peter Hoffmann ist Anästhesist an einem Krankenhaus in München und stellvertretender Vorsitzender des vdää
Anmerkung:
1 B. Rochell/M.Rudolphi: »Positionen der Bundesärztekammer zur Reform der Krankenhausversorgung und -finanzierung«, G+S (Gesundheits- und Sozialpolitik), 4-5/2014, S. 85
(aus: Gesundheit braucht Politik, Zeitschrift für eine soziale Medizin. Schwerpunkt: Wie funktioniert unser Gesundheitswesen? 2/2015)