GbP 2-2015 Jan Lukas

Staatliche Strukturen im Gesundheitsmarkt

Ein Überblick von Jan Lukas


Jan Lukas liefert uns einen nützlichen Überblick über die verschiedenen Ebenen von staatlicher Verantwortung im Gesundheitswesen und von den Widersprüchen in diesem System.

 

In der BRD ko-existieren drei strukturelle Ebenen im Gesundheits­wesen: Die staatliche (bzw. »etatistisch-bürokratische«), die korporatistische sowie die Ebene des freien Marktes. Die Beziehung zwischen diesen Ebenen ist über mehr als 130 Jahre aus den sozialen Widersprüchen während der verschiedenen Epochen vom Kaiserreich über Weimarer Republik, Faschismus bis heute gewachsen. Es verwundert daher nicht, dass dieses historisch überfrachtete Mit- und Gegeneinander der Akteure auf den verschiedenen Ebenen in einer ausgesprochenen Reformresistenz des deutschen Gesundheitswesens resultiert (Schwartz & Arolt, 1998).

Eine Besonderheit dieser historisch gewachsenen Situation in der BRD ist die Tatsache, dass der Staat definierte Aufgabenbereiche an die Organe und Körperschaften der gemeinsamen Selbstverwaltung delegiert. Dies sind insbesondere die (gesetzlichen) Krankenkassen sowie die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen, die untereinander sowie mit anderen Einrichtungen (Verbänden von Krankenhäusern, Apotheken, etc.) Verträge abschließen. Zentrales Beschlussgremium in der Domäne der Selbstver­waltung ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der aus Vertretern von gesetzlichen Kranken-
kassen, ärztlichen Standesvertretern, Krankenhäusern und PatientInnenorganisationen besteht.

Letztendlich liegt jedoch die Gestaltung der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen im Verantwortungsbereich der jeweiligen Regierung sowie des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG).

Die Rolle des Staates im deutschen Gesundheitswesen

Artikel 2, Abs. 2 des Grundgesetzes weist dem Staat die Aufgabe zu, »das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ zu gewährleisten. Ihm kommt damit eine sehr ambivalente Rolle im Gesundheitswesen zu. Einerseits agiert er als »ideeller Gesamtkapitalist« (Friedrich Engels), der für eine Optimierung der Bedingungen zur Kapitalverwertung zu sorgen hat.

Das BMG verweist ganz offen darauf, dass die Gesundheitswirtschaft einer der stärksten Wirtschaftszweige in der BRD mit einem Anteil von über elf Prozent am Bruttoinlandsprodukt ist. Sie gelte als »Wachstumsbranche auf Ex­pansionskurs« mit einer überdurchschnittlichen Bruttowertschöpfung (Steigerung von 2007 bis 2012 um durchschnittlich 3,7 Prozent versus 2,3 Prozent in der Gesamtwirtschaft) (BMG, 2014). Die liberale Gesetzgebung und der Konjunktur­eifer des Staates führen häufig zu zusätzlichen Belastungen für die Bevölkerung, wie die Beispiele des Tamiflu-Skandals1, die Mondpreise für neue Medikamente2 oder die begünstigte Situation der privaten Krankenversicherungen zeigen. Andererseits haben staatliche Maßnahmen der Gesundheitspolitik insbesondere im Bereich von Arbeits- und Umweltschutz sowie dem gesundheitsbezogenen Verbraucherschutz häufig einen reagierenden und »marktkorrigierenden« Charakter (Rosenbrock & Gerlinger, 2014).

Staatliche Akteure

Staatliche Akteure sind föderalistisch auf Bundes-, Länder-, sowie kommunaler Ebene involviert und jeder Ebene kommen dabei bestimmte Aufgaben zu. Auf Bundesebene stecken der Bundestag sowie das BMG die Rahmenbedingungen für staatliche Aufgaben sowie die Selbstverwaltung ab. Dies geschieht z.B. durch Regelung von Grundsatzfragen der Krankenkassen im Sozialgesetzbuch V und andere Bereiche der Sozialversicherung. Die Krankenhausfinanzierung ist ebenfalls durch den Bund gesetzlich geregelt, die konkrete Organisation und Erbringung von Leistungen ist hingegen Aufgabe der selbstverwalteten Körperschaften.

Strukturell agieren auf Bundesebene neben dem Bundestag insbesondere das BMG, dem wiederum die Bundesbehörden des öffent­lichen Gesundheitsdienstes3 direkt unterstellt sind. (Siehe Tabelle) Neben den genannten Aufgaben sind Querschnittsaufgabenbereiche aller dieser Bundesbehörden die Forschung sowie auf Anfrage die Bereitstellung von Informationen zur fachlichen Beratung der Bundesregierung.

Unter der Bundesebene gibt es die Landesämter für Gesundheit, die allerdings uneinheitliche Bezeichnungen tragen, z.B. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Öffentlicher Gesundheitsdienst in Baden-Württemberg, Niedersächsisches Landesgesundheitsamt (NLGA), Landesuntersuchungsanstalt Sachsen (LUA), Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW).

Der öffentliche Gesundheitsdienst gilt als chronisch unterfi­nanziert und unterbesetzt. Es verwundert daher nicht, dass auf Landesebene Gesundheit meist nur eines unterer mehreren Themen wie Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit oder Umwelt ist. Auf kommunaler Ebene sind die Gesundheitsämter meist ein Sachgebiet innerhalb der Landratsämter. Auch hier stehen das bemerkenswert breite Aufgabenspektrum und die finanzielle sowie personelle Ausstattung in einem stark ungleichen Verhältnis. Die Aufgaben reichen von der Gesundheitsberichterstattung über Kinder- und Jugendärztliche Dienste, Gesundheitsförderung, Schwangerenkonfliktberatung und Heilpraktikerzulassung bis zu Umweltmedizin und Hygieneüberwachung.

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Supranationale Ebene

Die wohl bekannteste internationale Struktur im Gesundheitsbereich dürfte wohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein. Gegründet als Sonderorganisation der Vereinten Nationen im Jahr 1948 spielte sie zunächst eine starke Rolle bei der Bekämpfung und Elimination von übertragbaren Erkrankungen wie Malaria, Pocken usw., entwickelte jedoch aufbauend auf der Alm Ata-Deklaration von 1978 eine progressive Gesundheitsstrategie, die auf eine globale Stärkung der Basisgesundheitsversorgung abzielte. In den letzten zwei Jahrzehnten befindet sich die WHO jedoch in einem Umbruchprozess, der durch Finanzierungsprobleme und politische Orientierungslosigkeit ungünstig beeinflusst wird.

Zunehmend spielen die Einrichtungen der Europäischen Kommission (EC) eine wichtige Rolle in der inner-europäischen Gesundheitspolitik. Der EC unterstellt ist die Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG SANTE) mit drei themenbezogenen Agenturen. Für Gesundheit ist das European Center for Disease Control (ECDC) in Stockholm zuständig – eine Art europäisches Robert Koch-Institut (stark vereinfacht ausgedrückt). Neben den Agenturen gibt es noch Exekutivagenturen, wie z.B. Consumer, Health and Food Executive Agency (CHAFEA), die für die Umsetzung des EU Health Programme4 im Kontext der EUROPE 2020-Strategie5, zuständig ist.

Die Rolle der EU im Gesundheitsbereich ist letztendlich ähnlich, wenn nicht noch mehr äquivalent wie die der Nationalstaaten. Da die Zuständigkeit für Gesundheit im Aufgabenbereich der Nationalstaaten liegt, kommt der EU wenig Handlungsmacht zur Durchsetzung von Maßnahmen der sozialen Sicherung zu, jedoch eine starke regulierende Rolle in marktliberali­sierenden Prozessen, die sozialer Sicherheit häufig diametral gegenüber stehen (Mossialos, 2010).

 Jan Lukas

 

Referenzen:
Bundesministerium für Gesundheit: »Bedeutung der Gesundheitswirtschaft«, in: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/gesundheitswesen/gesundheitswirtschaft/bedeutung-der-gesundheitswirtschaft/ (30. Juli 2015)

E. Mossialos: »Health systems governance in Europe: the role of European Union law and policy«, Cambridge University Press 2010

Rolf Rosenbrock/Thomas Gerlinger: »Gesundheitspolitik: eine systematische Einführung«, 3. Aufl., Bern 2014

Friedrich Wilhelm Schwartz/V. Arolt e.a.: »Das Public-Health-Buch: Gesundheit und Gesundheitswesen, München 1998

www.sueddeutsche.de/thema/Der_Tamiflu-Skandal
www.arznei-telegramm.de/html/sonder/1502017_01.html
3  Landläufig werden unter dem Begriff »ÖGD« meist nur die Strukturen der kommunalen und regionalen Ebene, insbesondere Gesundheitsämter, bezeichnet.
http://ec.europa.eu/chafea/documents/health/hp-factsheets/factsheet-hp_en.pdf
http://ec.europa.eu/europe2020/index_en.html

 

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt: Wie funktioniert unser Gesundheitswesen? 2/2015)


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