GbP 2-2015 Editorial

Im Labyrinth des deutschen Gesundheitswesens

Das deutsche Gesundheitswesen ist ein Labyrinth. Mit dieser Begründung hat der vdää vor jetzt fast drei Jahren das erste Grundlagen-Heft über das Gesundheitswesen herausgegeben, um mit diesem ein wenig Licht in den Irrgarten Gesundheitswesen zu bringen. Dies setzen wir mit der aktuellen Ausgabe fort, denn zum einen haben wir gesehen, dass sich die Komplexität des Gesundheitswesens schwerlich in nur einem Heft abbilden lässt; zu verschlungen sind die Pfade dieses Irrgartens. Zum anderen aber hat sich die Tendenz zur weiteren Kommerzialisierung des Gesundheitswesens in den vergangenen drei Jahren noch einmal verschärft. Sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor hat sich diese Entwicklung gezeigt. Besonders in den Krankenhäusern wurden die verheerenden Auswirkungen des Fallpauschalensystems, der DRGs, offenkundig. In der ambulanten Versorgung ist es ins­besondere das kürzlich verabschiedete GKV-Versorgungsstärkungs­gesetz, welches die ambulante Versorgungslandschaft nachhaltig beeinflussen wird.

Der Artikel von Kai Mosebach beschreibt die Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre. Wir können hier nur eine verkürzte Fassung seines Artikels bringen, die Langfassung ist auf unserer Homepage nachzulesen. Die Tendenz diese Gesetzgebung ist eindeutig: Es findet eine weitere Entstaatlichung des Gesundheitswesens statt, dabei bleibt äußerst fraglich, ob mit diesem neuen Gesetzgebungsverfahren das Hauptproblem der Versorgung angegangen werden kann: nämlich die ungleichmäßige Versorgung zwischen den großen Städten und dem flachen Land.

Peter Hoffmann beschreibt die Auswirkungen der Fallpauschalen und des geplanten Krankenhausstrukturgesetzes auf die stationäre Versorgung in den Krankenhäusern, welche in den vergangenen Jahren immer offensichtlicher wurde. Fünfzig Prozent der Krankenhäuser schreiben inzwischen rote Zahlen. Ursache hierfür ist zum einen sicher das Fallpauschalensystem: Vielen Kliniken ist es nicht möglich, ihre Leistungen kostendeckend zu erbringen. Und es kommt hinzu, dass die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nur ungenügend nachkommen. Ein ganz anderer wesentlicher Grund für die Misere der Finanzierung der stationären Versorgung ist aber die mangelnde Planung im Gesundheitswesen. Insbesondere in den Ballungsgebieten und in den Großstädten stehen die kommunalen Kliniken in heftiger Konkurrenz zu den privat getragenen Häusern. Während die privaten Kliniken die Leistungen auswählen, die sie kostengünstig erbringen können, müssen die kommunalen Kliniken praktisch ein Rundum-Programm für ihre Patienten anbieten. In dieser Konkurrenzsituation können die öffentlichen Krankenhäuser sie nur verlieren.

Neuerdings hat sich die Politik ein neues Zauberwort für die Steuerung im Gesundheitswesen erdacht: die Qualität. Wer gute Qualität abliefert, der soll einen Zuschlag bekommen, wer aber schlechte Qualität erbringt, dem wird mit Abschlägen bei der Vergütung gedroht. Auf den ersten Blick eine logische Lösung, beim näheren Hinschauen aber populistische Forderung. Denn Qualität in der Medizin zu messen, also zu beurteilen, welchen Nutzen medizinische Interven­tionen letztendlich für die Patienten haben, ist extrem schwierig und ein bis heute nicht gelöstes Problem. Statt Krankenhäuser, die vielleicht schlecht organisierte Prozesse haben, noch mit finanziellen Abschlägen zu bestrafen, könnte es notwendig sein, diese Häuser finanziell zu unterstützen, damit sie ihre Prozesse verbessern können. Darüber, was denn nun gute Qualität ist, soll sich zukünftig ein neu zu gründendes Institut (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen – IQTiG)) Gedanken machen. Wir werden das mit Interesse verfolgen.

Über den Tellerrand der heutigen Strukturen des Gesundheitswesens weist der Artikel von Kirsten Schubert und Udo Schagen zur Geschichte der ambulanten Versorgung in Deutschland hinaus. Sie diskutieren hier die Perspektive der früheren Polikliniken, deren kooperatives Modell auch heute insbesondere für jüngere Kolleginnen und Kollegen eine Perspektive darstellt.

Bei aller Kritik aber muss man im Auge halten, dass wir in Deutschland immer noch eine relativ gute medizinische Versorgung haben. Das wurde uns vor Augen geführt, als wir im Juni dieses Jahres wieder dem griechischen Gesundheitswesen einen Besuch abstatteten. Dort sind nach wie vor ca. 30 Prozent der Bevölkerung nicht mehr in der Krankenversicherung, medizinische Ambulanzen und Kliniken auf den Inseln werden geschlossen, die ambulante medizinische Versorgung wird aufrechterhalten durch solidarische Kliniken, in denen Kolleginnen und Kollegen freiwillig und ohne Entgelt die Patienten versorgen, die Gehälter der Beschäftigten wurden um ca. 40 Prozent gesenkt, viel Beschäftige entlassen. Zustände, die bei uns zur Zeit undenkbar sind, die aber als Schande für die europäische Finanz- und Sozialpolitik zu bezeichnen sind. Auf unserer Homepage berichten wir über diese Reise.

Ich hoffe aber, dass Sie trotz aller schlechter Nachrichten, Spaß beim Lesen des vorliegenden Heftes haben. Sollten Sie Kritik oder Verbesserungsvorschläge haben, so würden wir uns über diese freuen. Zu allererst aber wünschen wir eine geruhsame Ferienzeit.

Wulf Dietrich

(aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Wie funktioniert unser Gesundheitswesen?, 2/2015)


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