GbP 1-2015 Bernhard Winter

Unabhängig oder frei, das ist hier die Frage

Bernhard Winter zum Verhältnis der Hessischen Ärztekammer zur Pharmaindustrie

 

Bernhard Winter berichtet von den unerfreulichen Entwicklungen in der Hessischen Ärztekammer, die der Pharmaindustrie sukzessive die Einflussnahme auf Fortbildung ermöglicht.

»Hessen vorn« war vor Jahrzehnten der Slogan der SPD – als noch selbstverständlich war, dass sie dieses Bundesland regierte. Die Landesärztekammer in Hessen scheint sich diesen Slogan zu eigen gemacht zu haben, wenn es darum geht, in der Fortbildung die letzte Distanz zur Pharma- und Medizingeräteindustrie aufzugeben. Auch in dieser Ärztekammer wird ständig das hohe Lied vom ärztlichen Berufsstand, der nur dem Wohl der Patienten verpflichtet ist, gesungen und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens beklagt.

Unverzichtbarer Teil dieses Ethos ist es auch, dass Patienten nur nach bestem Wissen behandelt werden sollen. Für ein fundiertes Wissen stellt die ständige Fortbildung ein unverzichtbares Element dar. Dieses Wissen kann aber nur unabhängig von wirtschaftlichen Interessen Dritter resp. Pharma- und Geräteindustrie erworben werden. Wie vielfach dokumentiert und täglich erfahrbar, ist der überwiegende Teil der Fortbildungsveranstaltungen von der Pharmaindustrie gesponsert und beeinflusst (Zusammenstellung bei www.bioskop-forum.de/hinschauen/fortbildungen-und-pharmasponsoring.html). Auf den Kongressen der Fachgesellschaften vermengt sich zusehends das wissenschaftliche Programm mit den durch die Industrie gestalteten Satellitenprogrammen. Werbefreie Fachzeitschriften sind rar gesät. Angesichts dieser unübersehbaren Dominanz der pharmazeutischen Industrie bei Fortbildungen, müsste den Ärztekammern als Verantwortlichen für die Fort- und Weiterbildung die Aufgabe zuwachsen, einen Raum zu schaffen, diese ohne wirtschaftliche Einflussnahme zu ermöglichen. In einigen Kammern scheint die Sensibilität für diese Problematik ein wenig zugenommen zu haben. Gelegentlich wurden CME-Punkte bei allzu deutlicher Einflussnahme auf den Inhalt von Fortbildungsveranstaltungen wieder aberkannt.

Die Kammer in Hessen scheint dies wenig anzufechten, sie geht den entgegengesetzten Weg und erleichtert der Pharmaindustrie sukzessive die Einflussnahme.
Erster Schritt: Die Delegiertenversammlung im September 2014 verabschiedete eine neue Fortbildungsordnung der LÄK Hessen. Im § 8 findet sich dort u.a.. »Die Anerkennung der Fortbildungsmaßnahme setzt voraus, dass … 3. Die Inhalte unabhängig von wirtschaftlichen Interessen sind…«. Die Musterfortbildungsordnung der Bundesärztekammer schlug in Anlehnung des § 95d Sozialgesetzbuch V den Terminus »frei von wirtschaftlichen Interessen« vor. Getrost kann man davon ausgehen, dass dies nicht nur eine semantische Aufweichung ist.

Zweiter Schritt: Bei der darauffolgenden Delegiertenversammlung im November 2014 wurde eine Sponsoring-Richtlinie verabschiedet und damit Sponsoring für die Arbeit der Ärztekammer festetabliert. Auch hier wird in erster Linie an Pharma- und Medizintechnikunternehmen gedacht, die u.a. Fortbildungsveranstaltungen sponsern sollen. Natürlich ginge man davon aus, dass damit keine inhaltliche Einflussnahme verbunden sei. Die Landesärztekammer Hessen ist stolz darauf, dass sie auch hier bundesweit Vorreiter ist.

Wir können gespannt sein, was als nächster Schritt folgt…

Kritische Einwände wurden in der üblichen Manier abgebügelt: »Wir brauchen die Pharmaindustrie, Fortbildung ohne Pharmaindustrie ist heute nicht mehr möglich …« und was da einem mitunter recht erregt noch so alles um den Kopf gehauen wurde, nur um nicht über Alternativen nachdenken zu müssen. Ach ja – und manchmal hängt man dann doch seinen Stichwortgebern hinterher: Natürlich wurde auch das Argument bemüht, die Pharmaindustrie müsse auch die Kosten für die Forschung wieder reinholen können. Dies zu einer Zeit, in der der Vorstand des Pharmakonzerns Gilead zu seiner Preispolitik im Hinblick auf das Hepatitis C-Medikament Sofosbuvir offen erklärte, diese habe nun gar nichts mit Forschungskosten zu tun, sondern orientiere sich daran, was die Märkte hergeben…

 Bernhard Winter

 (aus: Gesundheit braucht Politik. Zeitschrift für eine soziale Medizin, Schwerpunkt Prävention, 1/2015)


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